URI: 
       # taz.de -- Milliardäre im All: Ich bleibe ruhig – und arm
       
       > Millionäre gibt es immer mehr, Milliardäre fliegen ins All. Und ich?
       > Hoffe, dass die Biobananen an der Kasse als Chiquitas durchgehen.
       
   IMG Bild: Mehr Millionäre in Deutschland und mehr Milliardäre im All
       
       Ehrlich gesagt, dachte ich, dass ich mal Geld haben würde. Hat nicht
       geklappt. Ich habe Kulturwissenschaften studiert, eine Ausbildung gemacht
       für eine systemrelevante Branche, die im Sterben liegt – und heute arbeite
       ich bei der taz. Das heißt: Ich werde höchstwahrscheinlich kein Haus
       besitzen, keine Wohnung, vielleicht nicht mal ein Auto. Altersarmut scheint
       unausweichlich, deshalb verdränge ich das Thema Rente. Ich bin eine von
       sehr vielen – und wir sind alle ziemlich entspannt.
       
       Es ist Sommer, die schönste Zeit im Jahr! Ein paar Tage habe ich noch für
       die Steuererklärung. Ich werde meine popeligen Texthonorare ordentlich
       eintragen in die absolut nutzerfreundlichen Felder der elektronischen
       Steuererklärung. Ich werde den Tag fürchten, an dem sich das Finanzamt
       zurückmeldet, aber ich werde versuchen, ruhig zu bleiben. Ich werde mich
       freuen, wenn die Hafermilch reduziert ist und die Biobananen an der
       Supermarktkasse als Chiquitas durchgehen.
       
       Ich lese Zeitung. [1][„Deutsche sind reicher denn je“], „Deutsche haben
       sieben Billionen“, steht da. Schön für die Deutschen, denke ich und wundere
       mich, weil doch Wirtschaftskrise war. Oder sind mit „die Deutschen“ etwa
       nur eine Handvoll Leute gemeint, und der Rest hat eher weniger als mehr?
       Für diese Info fehlte wahrscheinlich der Platz. Kein Grund sich aufzuregen!
       
       Und wenn man aus den 7 Billionen einen komplett sinnlosen Durchschnittswert
       berechnet, der nichts über die Verteilung des Geldes aussagt, sieht das
       Ganze auch hübsch aus. [2][Das Handelsblatt sagt]: „Steigende Zahl von
       Millionären in Deutschland: Für eine Neiddebatte gibt es keinen Grund“.
       Das beruhigt mich.
       
       ## Gigantischer Penis
       
       Ausgeglichen, wie ich bin, schaue ich abends Nachrichten. Milliardäre
       fliegen jetzt ins Weltall. Einer sogar in einem gigantischen Penis. Toll!
       Ich finde es richtig, dass die gebührenfinanzierten „Tagesthemen“
       zweieinhalb Minuten ihrer Sendung dafür hernehmen, das Werbematerial aus
       dem All von Richard Branson zu zeigen.
       
       Die sogenannten kleinen Leute (vom All aus noch kleiner) wollen wissen, wie
       er sich fühlt. [3][Branson] richtet sich im Video an die nächste
       Generation, einfach nett, der Typ: „Wenn wir das hier können, was werdet
       ihr dann erst schaffen?“, fragt er. Und ich glaube, so könnte es klappen
       mit dem 1,5-Grad-Ziel.
       
       Und Jeffrey Bezos? [4][Bedankt sich] nach seinem Flug ins All bei den
       Amazon-Mitarbeiter*innen und -Kund*innen, die haben schließlich dafür
       bezahlt. Bei so einem coolen Arbeitgeber braucht es keine Gewerkschaft. Und
       wer ihn nicht mag, kann ja eine lustige Petition im Internet
       unterschreiben, die fordert, dass Bezos im All bleibt.
       
       Ich lese: Während das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland durch die
       Pandemie sank, stieg das Vermögen der Milliardär*innen. Das Privatvermögen
       von Dieter Schwarz (Lidl, Kaufland) stieg zwischen Februar 2019 und Februar
       2021 zum Beispiel um 15 Milliarden. Ich find’s gut, dass niemand ein
       Problem damit zu haben scheint. Zum Glück ist die Wiedereinführung der
       Vermögensteuer kein Thema im Wahlkampf, obwohl sie im Programm der SPD, der
       Linken und der Grünen steht.
       
       Ich bleibe ruhig, wie wir alle. Habt ihr vom Bündnis [5][„Superreiche zur
       Kasse für die Kosten der Krise“] gehört? Ist eine Aktion aus München, von
       Verdi, der dortigen SPD, den Linken und anderen Organisationen. Die Idee:
       Die, die extrem viel haben, sollen vergleichsweise mehr für die Kosten der
       Pandemie bezahlen als die, die eh schon wenig haben. Bisschen krass. Bleibt
       dann noch genug für den Weltraumtourismus? Zur Demo auf der Münchner
       Theresienwiese kamen laut Verdi 600 Leute. Aber das Wetter war ja auch
       schlecht.
       
       25 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.rnd.de/wirtschaft/7-billionen-euro-deutsche-sind-reicher-denn-je-doch-klug-angelegt-ist-das-meiste-geld-nicht-4GRSYV52VCD3VGGTUDPJM2NEFA.html
   DIR [2] https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-steigende-zahl-von-millionaeren-in-deutschland-fuer-eine-neiddebatte-gibt-es-keinen-grund/27355936.html?ticket=ST-11574762-QrMq60In7H3bcAcStKuB-ap6
   DIR [3] /Richard-Branson-fliegt-ins-All/!5784847
   DIR [4] https://www.businessinsider.com/jeff-bezos-thanks-amazon-customers-for-paying-trip-to-space-2021-7
   DIR [5] https://muenchen.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++bf77de26-a905-11eb-890f-001a4a160100
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Viktoria Morasch
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Aufräumen
   DIR Superreiche
   DIR Rente
   DIR Kolumne Habibitus
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Kolumne Aufräumen
   DIR Steuern
   DIR Rente
   DIR Schwerpunkt #metoo
   DIR Kolumne Aufräumen
   DIR Schwerpunkt Tag der Befreiung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Hochzeit von Christian Lindner: Wasser predigen, Champagner saufen
       
       Kritik an der Luxushochzeit von Finanzminister Lindner sei aus Neid
       erfolgt, sagt dessen Parteifreundin. Auf eine langweilige Heten-Hochzeit
       auf Sylt?
       
   DIR Ungleichheit bei Treibhausgasemissionen: Klimakiller Superyachten
       
       Superreiche emittieren oft tausendmal so viele Treibhausgase wie
       Durchschnittsmenschen. Grund dafür sind Luxusgüter wie Yachten und
       Privatjets.
       
   DIR Forderungen im Wahlkampf: Bekennt euch doch selbst!
       
       Die Linkspartei soll sich zur Nato bekennen. Wann bekennen sich die anderen
       Parteien endlich? Zum Kampf gegen rechts, zu mehr Hartz IV, zu echter
       Freiheit?
       
   DIR Mehr Steuergerechtigkeit: Reiche wollen zahlen
       
       Zwei Organisationen fordern höhere Abgaben für Vermögende – und erhalten
       Zuspruch von Millionären.
       
   DIR Zukunft der gesetzlichen Rente: Größeres Stück vom Kuchen
       
       Eine Erhöhung des Rentenalters ist unnötig und ungerecht. Vielmehr müssten
       Löhne vom Wirtschaftswachstum profitieren, dann steigen auch die Renten.
       
   DIR Metoo bei deutschen Rappern: Bullshit!
       
       Frauenhass geht seit Jahrhunderten als Kultur durch, dreht sich aber nur um
       Machterhalt. Das ist nicht okay, weder in der Oper noch „auf der Straße“.
       
   DIR Reden über den Nahen Osten: Hauptsache, alles so wie immer
       
       Unsere Kolumnistin traut der deutschen Debatte über den Nahen Osten nicht.
       Sie hört interessiertes Schweigen und viel desinteressiertes Sprechen.
       
   DIR Sieg über die Nazis im Mai 1945: Lasst uns diesen Tag feiern!
       
       Am 8. Mai 1945 war Nazideutschland am Ende – kein historisches Datum ist
       wichtiger. Warum aber spielt dieser Tag für uns heute kaum eine Rolle?