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       # taz.de -- Nach Alexander Zverevs Olympiasieg: Auf der Suche nach Anerkennung
       
       > Alexander Zverev dominiert das Tennisfinale gegen Karen Chatschanow.
       > Zuvor hatte er Novak Đoković besiegt. Tritt er nun aus Boris Beckers
       > Schatten?
       
   IMG Bild: Bringt bei Olympia jeden Ball zurück: Alexander Zverev
       
       Tokio taz | Es gab keinen Gefühlsausbruch, es gab keine Tränen. Im bislang
       größten Moment seiner Karriere lachte Alexander Zverev, nachdem er
       unmittelbar nach dem letzten Ballwechsel kurzzeitig auf die Knie gesunken
       war. Der Augenblick war zu groß für den 24-Jährigen, es muss sich
       unwirklich angefühlt haben. „Ich glaube, es gibt kaum jemanden auf der
       Welt, der gerade glücklicher ist als ich“, sagte er einige Zeit später.
       
       Der Tennisspieler hatte die vierte Goldmedaille für Deutschland bei den
       Olympischen Spielen in Tokio gewonnen. Die Bedeutung des Erfolgs ist aber
       weit größer als ein Strich in der Medaillenbilanz, Zverev wurde im Ariake
       Tennis Park zu einem Großen seiner Sportart – und wird vielleicht bald zu
       einem Liebling der Deutschen.
       
       Der [1][Name Boris Becker] ist in Deutschland auf ewig mit Tennis
       verbunden, seit der Leimener 1985 als 17-Jähriger in Wimbledon, dem Mekka
       seiner Sportart, siegte. Becker gewann 1992 zudem die olympische
       Goldmedaille in Barcelona – im Doppel mit Michael Stich. Zverev hat am
       Sonntag im Einzel triumphiert, was zuvor keinem männlichen Deutschen
       gelungen war. Es gab wenige Möglichkeiten für Zverev, aus dem Schatten
       Beckers zu treten. In Tokio hat er eine davon genutzt.
       
       In 79 Minuten fegte Zverev im Endspiel über den Russen Karen Chatschanow
       hinweg, der sich redlich mühte, bei der 3:6- und 1:6-Niederlage aber
       chancenlos blieb. Beim wichtigsten Auftritt seiner Laufbahn wirkte der
       Deutsche fokussiert wie selten zuvor, vom ersten bis zum letzten
       Ballwechsel gab es keinen Zweifel, wer im Anschluss die Goldmedaille in
       Empfang nehmen würde. Zverev agierte nahe dem Optimum.
       
       ## Einseitiges Endspiel
       
       Bei den US Open, einem der vier Grand-Slam-Turniere, stand er im
       vergangenen Jahr im Finale. [2][Die ATP-WM] und vier Masters-Turniere hatte
       er in den zurückliegenden Jahren gewonnen, aber erst in Japan widerlegte er
       den Vorwurf, große Triumphe könne er nicht feiern. „Die Olympischen Spiele
       sind so viel größer als alles andere, sie sind das größte im Sport“, sagte
       Zverev: „Ich habe jetzt diese Medaille um den Hals hängen, das bedeutet
       alles.“
       
       Der finale Akt auf dem Weg zu Gold war wenig spektakulär, weil einseitig.
       Doch im Halbfinale hatte er eine Leistung der besonderen Art vollbracht,
       als er Novak Đoković und damit die Nummer eins der Weltrangliste besiegte,
       die in diesem Jahr bislang alle Grand-Slam-Titel holte und als unbezwingbar
       galt. Zwei Tage vor dem Gewinn der Goldmedaille hatte Zverev auf dem Feld
       Emotionen gezeigt, Tränen rannen über seine Wangen.
       
       „Ich spiele hier nicht für mich, sondern für ein ganzes Land“, hatte er
       nach dem Erfolg gegen den Serben gesagt und diese Kunde nach dem Endspiel
       wiederholt. „Diese Medaille gehört ganz Deutschland“, erklärte er ein wenig
       staatstragend. Die Botschaft dahinter: Seht her, ich denke nicht nur an
       mich.
       
       Das Verhältnis zwischen Zverev und der deutschen Öffentlichkeit war bislang
       unterkühlt. Das Supertalent war in Interviews reserviert, wirkte oft
       egoistisch, zunächst mitunter kindlich trotzig. Auftritte im Davis-Cup, die
       die Nation bei seinem berühmten Vorgänger Ende der 80er und Anfang der 90er
       Jahre vor dem Fernseher fesselte, sagte er regelmäßig ab. Zudem erfüllten
       sich die Hoffnungen auf schnelle Erfolge bei den ganz großen Turnieren
       nicht, so dass dem Zverev-Clan in der Heimat Respekt, aber keine Liebe
       entgegengebracht wurde. Vater Alexander als Trainer und Bruder Mischa,
       ebenfalls Profi auf der ATP-Tour, bildeten mit dem jüngsten Spross der
       Familie eine enge Gemeinschaft. Bislang hat niemand dauerhaft Eintritt in
       diesen Kreis erhalten, auch die Tennisfans in Deutschland nicht.
       
       Der sportliche Wert des Olympiasiegs in Tokio reicht nicht an einen Erfolg
       bei einem der vier Grand-Slam-Turniere heran, wo sieben Siege im
       Best-of-five-Modus nötig sind. Für die Wirkung auf seinen Stellenwert in
       Deutschland könnte der Sieg in Japan trotzdem größer sein. Bei Olympischen
       Spielen geht die Aufmerksamkeit weit über die Tennisfans hinaus. Selbst ein
       Finale in Wimbledon würde den Fokus auf einen Tennisprofi nicht derart
       schärfen wie die Siegerehrung in Tokio. Zverev wird durch die Goldmedaille
       Anerkennung in der Heimat widerfahren, vielleicht sogar Liebe.
       
       Gleichzeitig würde er am liebsten eine fachliche Diskussion beenden. „Die
       anderen können sagen, was sie wollen“, erklärte er in Richtung der
       Tennisexperten und Exprofis, die Zverevs Fähigkeit angezweifelt hatten, die
       ganz großen Titel gewinnen zu können: „Ich habe Gold bei Olympia“, rief er
       den Skeptikern zu. Für immer, hätte er anfügen können.
       
       1 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Wilkening
       
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