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       # taz.de -- Kinotipp der Woche: Die Kämpferische
       
       > Seinerzeit auch in Deutschland bekannt, würdigt das Kino Arsenal die zu
       > Unrecht in Vergessenheit geratene Marina Vlady mit einer Werkschau.
       
   IMG Bild: Marina Vlady in Jean-Luc Godards „2 ou 3 choses que je sais d’elle“ (1967)
       
       Paar liebt sich, Paar will heiraten, doch es ist kompliziert. Gleich zwei
       Mal drehte die französische Schauspielerin Marina Vlady Anfang der 1950er
       Jahre in Italien zusammen mit Marcello Mastroianni Filme, die auf dieser
       Grundstruktur aufbauen. Doch „Penne nere“ und „Giorni d’amore“ sind sehr
       unterschiedlich.
       
       In „Penne nere“ ist die Grundstruktur Ausgangspunkt für einen halbherzigen
       Kriegsfilm in Alpenkulisse, in „Giorni d’amore“ inszeniert Giuseppe De
       Santis die beiden in bunten Bildern als Bauern in Süditalien. Weil das Geld
       der Familien von Angela und Pasquale nicht für eine Hochzeit reicht, wird
       den beiden nahegelegt, zum Schein durchzubrennen. Beide Filme zeugen davon,
       dass allem Neorealismus zum Trotz der Heimatfilm auch im italienischen Kino
       der Nachkriegszeit nicht weit entfernt war.
       
       Auf die konventionellen Anfänge der Schauspielkarriere von Marina Vlady
       folgten ab den 1960er Jahren außergewöhnlichere Filme. 1963 drehte Marco
       Ferreri mit ihr in der Hauptrolle die Parabel über „bürgerlich-katholische
       Bigotterie“ (Programmtext) “Una storia moderna – l’ape regina“. Die Rolle
       der Regina, einer jungen Frau aus katholischer Familie, die ihren Mann
       schon kurz nach der Hochzeit sexuell zu überfordern beginnt, brachte Vlady
       den Preis als beste Darstellerin in Cannes ein.
       
       1967 drehte Jean-Luc Godard mit Vlady „2 ou 3 choses que je sais d’elle“
       („Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß“). Über 30 Jahre lang – bis in
       die 1990er Jahre hinein – blieb Vlady eine vielbeschäftigte Schauspielerin,
       wirkte in über 80 Filmen mit. Nun widmet das Arsenal Vlady eine sommerliche
       Werkschau mit 22 Filmen.
       
       Geboren wurde Vlady 1938 in Clichy in der Nähe von Paris als Kind
       russischer Emigranten, die vor der Oktoberrevolution geflohen waren. Ihr
       Filmdebüt gibt Vlady mit gerade einmal 11 Jahren in Jean Gehrets „Orage
       d'été“, der parallel in französischer und italienischer Sprachfassung
       entstand. Die 1950er und 1960er Jahre hindurch wirkte Vlady Jahr für Jahr
       in gleich mehreren Filmen mit.
       
       1965 wirkte sie an Orson Welles Falstaff-Verfilmung „Campanadas a
       medianoche“ mit. 1969 drehte sie mit Miklós Jancsó einen Film über
       kroatische Faschisten „Sirokkó“ (1969) und mit Sergej Jutkewitsch eine
       Episode aus dem Leben von Anton Tschechow und dessen Liebesgeschichte zu
       Lydia Misinowa („Sjuschet dlja nebolschogo rasskasa“).
       
       Ab Ende der 1960er Jahre begann die Zahl der Produktionen, an denen die
       Schauspielerin mitwirkte, etwas zu sinken. Grund war unter anderem eine
       Beziehung, eine späte Ehe mit dem sowjetischen Sänger Wladimir Wyssozki.
       Einer der bemerkenswertesten Filme, die in dieser Zeit mit Vlady entstehen
       ist Márta Mészáros’ „Ők ketten“ („Zwei Frauen“).
       
       Vlady spielt eine Frau mittleren Alters, seit 20 Jahren verheiratet, die
       Leiterin eines Frauenwohnheims in der ungarischen Provinz wird. Über ihre
       Arbeit lernt sie die junge Juli kennen und beginnt, ihre Ehe zu
       hinterfragen. Mészáros zeigt in einfühlsamen Bildern die Verbundenheit der
       beiden Frauen und den Reflexionsprozess der Protagonistin.
       
       Nach Wyssozkis Tod 1980 steigt die Zahl der Filme wieder deutlich an und
       die Mitte der 1980er Jahre ist ein zweiter Schwerpunkt ihrer
       Schauspielkarriere. Wurde erneut zu einer wichtigen Schauspielerin des
       internationalen Arthousekinos.
       
       Sie spielte in Fernando Solanas Film über das Exilleben der Tangolegende
       Carlos Gardel mit „Tango – El Exilio de Gardel“ (1985), im Regiedebüt von
       Antonietta De Lillo und Giorgio Magliulo „Una casa in bilico“ (1986) über
       eine Gruppe älterer Menschen, die eine Erbschaft in einer Wohnung
       zusammenbringt und wirkt an [1][Maria Knillis Film] „Follow Me“ (1989) über
       einen tschechischen Philosophieprofessor, der nach dem Prager Frühling
       seinen Lehrstuhl und seinen Halt verliert und als Gepäckträger auf einem
       Flughafen im westlichen Ausland arbeitet.
       
       Das Arsenal widemet [2][Marina Vlady] nun eine Hommage. Die [3][Werkschau]
       konnte der Pandemie wegen erst im dritten Anlauf realisiert werden. Nun
       lädt sie ein zu einer ganzen Reihe von Wiederentdeckungen.
       
       31 Jul 2021
       
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