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       # taz.de -- Waldbrände in Griechenland: Flammende Solidarität
       
       > Noch immer sind die verheerenden Waldbrände nicht unter Kontrolle. Der
       > Feuerwehr fehlt es an Ausrüstung, die Bewohner*innen springen ein.
       
   IMG Bild: Freiwillige unterstützen die Feuerwehr in der Nähe von Athen am 06. August 2021
       
       Athen taz | In der Suppenküche des Kollektivs Elchef im linken Athener
       Studentenviertel Exarchia treffen am vergangenen Freitag viele Menschen
       aufeinander. Eigentlich ist hier, wo sonst 150 bis 200 Mahlzeiten täglich
       verteilt werden, jetzt Sommerpause. Gefolgt sind die freiwilligen
       Helfer*innen dennoch dem Aufruf des Suppenküchenkollektivs.
       
       Seit nunmehr sechs Tagen sammeln und verteilen die Unterstützer*innen
       Hilfsgüter wie Augentropfen, Schmerzmittel, Bandagen, Sauerstoffflaschen,
       Lebensmittel, Tierfutter und Wasserflaschen an die Feuerwehrleute und die
       Opfer der [1][verheerenden Waldbrände] in der Region Attika rund um Athen.
       Trotz extremer Hitze und obwohl die griechische Zivilschutzbehörde die
       Bevölkerung dringend dazu aufruft, ihre Wohnungen und Häuser wegen der
       starken Rauchbildung nicht zu verlassen, kommen am Nachmittag
       kontinuierlich Leute, um neue Hilfsgüter zu bringen. Es scheint so, als
       wolle man sich ein wenig Mut zusprechen, angesichts des hilflosen Gefühls
       gegenüber der kilometerlangen Feuerfront.
       
       Denn viele Einwohner*innen Griechenlands fühlen sich derzeit wie in
       einem Ausnahmezustand. Ein Großteil ihres Landes steht in Flammen. Nicht
       nur in den [2][Vororten von Athen] und in den Waldgebieten Attikas wütet
       das Feuer und sind zahlreiche Häuser abgebrannt. Auch auf der Halbinsel
       Euböa im Norden brennen Dörfer und auch für die Region Ilia auf dem
       Peleponnes sind es schwierige Zeiten. Laut Expertenmeinung wurden in den
       vergangenen vier Tagen 50 Prozent der Fläche zerstört, die normalerweise in
       einer ganzen Feuersaison verbrennt.
       
       In der Suppenküche in Exarchia erzählt Aktivistin Litsa, die ihren
       richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, dass sie seit Tagen auf
       den Beinen sei und derzeit mit nur zwei Stunden Schlaf pro Nacht auskomme.
       Dreimal ist sie zuletzt mit Hilfsgütern zum Athener Vorort Varibobi
       gefahren, wo es ebenfalls heftig brannte. Trotz der Angst, der
       Kopfschmerzen und der Atemnot. „Man muss etwas tun, denn die Regierung
       handelt gleichgültig“, sagt die junge Frau. So wie Litsa denken wohl viele
       Griech*innen. Infolge der vielen Korruptionsskandale und des
       Missmanagements, wie zuletzt während der Coronapandemie, haben viele
       Bürger*innen das Vertrauen in die griechische Regierung verloren.
       
       ## Keine neue Ausrüstung für die Feuerwehr
       
       Stattdessen ist Eigeninitiative gefragt, doch manchmal kommt eben auch
       jedes noch so gut gemeinte Engagement zu spät. Zwei große Flüchtlingscamps,
       die schließlich evakuiert wurden, hätten sie mit ihren Hilfsgütern nicht
       mehr erreichen können, erzählt Litsa. Das Feuer hatte ihnen auf beiden
       Seiten der Bundesstraße von Athen nach Lamia den Weg abgeschnitten.
       Schockierend seien die Bilder auf dem Weg dorthin gewesen: Feuerwehrleute
       und freiwillige Helfer, die ohne ausreichendes Gerät eine riesige
       Feuerwalze bekämpften.
       
       Denn die Ausrüstung der Feuerwehrleute im ganzen Land wurde seit 2009 nicht
       erneuert. Und so fehlt es vielerorts an einfachsten Einsatzmitteln wie
       Handschuhen, Augentropfen, Trinkwasser und Brandschutzsalben. In mehreren
       Berichten der griechischen Presse heißt es zudem, dass der Vertrag mit
       fünftausend Feuerwehrleuten für den landesweiten Brandschutz in Wäldern von
       der Regierung nicht verlängert wurde, obwohl die Forstämter im ganzen Land
       17,7 Millionen Euro forderten. Warum die Regierung laut Webportal News247
       stattdessen nur 1,7 Millionen Euro für die Brandbekämpfung zur Verfügung
       stellte, fragen sich viele.
       
       So wie auch der Biobauer und Ausbilder Thodoris Arvanitis aus Afidnes,
       einer Ortschaft im Nordosten von Attika, der die Athener*innen seit
       Jahren mit frischem Biogemüse beliefert. Eine ganze Nacht lang verteidigte
       er – entgegen den Anweisungen der Polizei – sein Stück Land mit nur ein
       paar Wassereimern, nachdem das Feuer seine Bewässerungsschläuche zerstörte.
       
       Dass sein bebautes Land nur knapp dem Feuer entkam, hat er auch einem
       seiner ehemaligen Schüler zu verdanken, der bei der Feuerwehr arbeitet. Um
       5 Uhr morgens hatte Thodoris Arvanitis einen Hilferuf in den sozialen
       Netzwerken gepostet, den der ehemalige Schüler gelesen hatte. In letzter
       Minute kam er mit einem Feuerwehrauto vorbei. Vom Staat fühlt sich Thodoris
       Arvanitis – so wie auch viele Griechen*innen, die zuletzt ähnliche
       Erfahrungen sammelten – völlig im Stich gelassen: „Auf Solidarität kann man
       zählen, aber nicht auf einen staatlich organisierten professionellen
       Brandschutz.“
       
       8 Aug 2021
       
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       ## AUTOREN
       
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