URI: 
       # taz.de -- Knast bei Bagatellstraftaten unsinnig: Stoß in die Armut
       
       > Gefängnisse widersprechen ihren eigenen Zielen, die Häftlinge auf ein
       > verantwortungsvolles soziales Leben vorzubereiten.
       
   IMG Bild: Was draußen passiert, kann man im Knast nur erahnen: Untersuchungshäftlinge in Hamburg
       
       Die Entscheidung des für Niedersachsen zuständigen Sozialgerichts dürfte
       eigentlich nicht überraschen. Die Richter*innen haben entschieden, dass
       die Miete eines Gefangenen während seiner siebenmonatigen Haft vom
       Sozialamt übernommen werden muss.
       
       [1][Das Gesetz, das den Strafvollzug regelt], ist deutlich: „Schädlichen
       Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken“, steht in Paragraph
       drei, und weiter: „Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem
       Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.“ Die Wohnung
       zu verlieren, weil das Amt nach sechs Monaten aufhört zu zahlen, läuft dem
       zuwider.
       
       Trotzdem war es offenbar nötig, dass ein Gefangener vor Gericht zieht, weil
       die ganze Institution Gefängnis eben nicht daran ausgerichtet ist, was laut
       dem Gesetzestext ihr Ziel ist: Die Gefangenen zu befähigen, „künftig in
       sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“. Der Zwang zum
       Arbeiten unter dem Mindestlohn, das Wissen, dass die Post mitgelesen wird
       oder dass die Verwaltung darüber entscheidet, welche Bücher jemand lesen
       darf, [2][sind nicht nur entwürdigend], sondern tragen bestimmt auch nicht
       zur Übernahme von Verantwortung bei.
       
       ## Es gibt bessere Konzepte als Freiheitsentzug
       
       Der Fall macht aber auch deutlich, wie unsinnig kurze Haftstrafen sind. Wer
       wegen wiederholten Schwarzfahrens oder dem [3][Handel mit kleinen Mengen
       Betäubungsmitteln] in den Knast muss, hat hinterher sicher mehr Probleme
       als früher, etwa den Verlust enger Beziehungen, des Jobs oder der Wohnung.
       Das ist weder gerecht noch produktiv für die Gesellschaft. Die
       Insass*innen der Vollzugsanstalten sind zu Freiheitsentzug verurteilt,
       nicht zu mehr. Sekundäre Bestrafungen, wie ein Stoß in die
       Wohnungslosigkeit oder in ein Leben in Armut darf es nicht geben.
       
       Kurze Haftstrafen, die auf leichte Delikte zurückgehen, gehören sofort
       abgeschafft. Im zweiten Schritt wäre die ganze Institution Gefängnis durch
       ein gerechteres Konzept zu ersetzen. Ansätze der „Transformative“ oder
       „Restorative Justice“, bei der die direkt Beteiligten einer Tat zu einer
       Suche nach Lösungen und Wiedergutmachung zusammen kommen, gibt es. Bis die
       Gesellschaft bereit dazu ist, sollten wir zumindest die Menschenwürde
       wahren.
       
       10 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.gesetze-im-internet.de/stvollzg/BJNR005810976.html
   DIR [2] /Bedingungen-in-deutschen-Haftanstalten/!5787900
   DIR [3] /Protest-nach-Urteil-in-Hamburg/!5306945
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Schipkowski
       
       ## TAGS
       
   DIR Haft
   DIR Gefängnis
   DIR Justiz
   DIR Strafvollzug
   DIR Gefängnis
   DIR Haft
   DIR Peter Steudtner
   DIR Schwerpunkt USA unter Donald Trump
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Teures Essen in Gefängnissen: Viel Geld für Wasser und Brot
       
       Im Knast kosten Lebensmittel viel mehr als draußen, zudem liegt der
       Verpflegungssatz meist unter Hartz-IV-Niveau. Zwei Gefangene haben nun
       geklagt.
       
   DIR Freikaufen aus Berliner Gefängnissen: „Wir erwarten keine Dankbarkeit“
       
       Die Initiative Freiheitsfonds kauft Menschen aus Berliner Gefängnissen
       frei. Initiator Arne Semsrott kritisiert das System der
       Ersatzfreiheitsstrafe.
       
   DIR Gegen Obdachlosigkeit nach dem Knast: Häftling darf Wohnung behalten
       
       Das Stader Sozialamt muss einem Häftling seine Wohnung bezahlen, obwohl er
       über sechs Monate im Knast saß. Das entschied das Landessozialgericht.
       
   DIR Urteil gegen MenschenrechtlerInnen in der Türkei: Amnesty zur Terrorgruppe gemacht
       
       Trotz des Freispruchs für Peter Steudtner: Das Urteil des Istanbuler
       Gerichts ist ein gezielter Angriff des Regimes auf unabhängiges
       zivilgesellschaftliches Engagement.
       
   DIR Proteste gegen Polizeigewalt: Über Gewalt und Sicherheit
       
       Was die Morde von Solingen, die Proteste gegen Polizeigewalt in den USA und
       die Sehnsucht nach Sicherheit miteinander zu tun haben.