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       # taz.de -- KI-Ausstellung in München: Mensch trifft Maschine
       
       > Das Verhältnis des Menschen zum technischen Diener bleibt ambivalent.
       > Eine KI-Ausstellung in der Münchner Pinakothek der Moderne erörtert das.
       
   IMG Bild: Zwischen Realität, Utopie und Dystopie: Ausstellungsansicht mit Arm/Prothese
       
       Beziehungsstatus: Es bleibt kompliziert. Auf der einen Seite nutzt der
       Mensch seine Intelligenz, um immer komplexere technische Assistenten zu
       erschaffen, die ihm nicht nur Aufgaben abnehmen, sondern manches viel
       besser können als er selbst. Auf der anderen Seite allerdings überfordert
       es die Gefühlswelt ebenjenes intelligenten Individuums, wenn die Maschine
       dann mehr wird als bloßer Diener, wenn der Automat in einigen Bereichen den
       Menschen überflüssig macht oder in Abhängigkeit drängt.
       
       Kurz: Der größte Erfolg des Menschen auf dem Gebiet der KI – die
       Erschaffung von Humanoiden, die fühlen, denken, ihn vertreten und ihn dabei
       übertreffen – wäre zugleich [1][sein größter Horror.] Der totale Roboter
       wäre nicht mehr beherrschbar. Die perfekte künstliche Intelligenz wäre
       eigenständig. Und wo Platz für Angst ist, ist auch Raum für Fantasie: Von
       Mary Shelleys „Frankenstein“ bis zu Steven Spielbergs hellsehenden
       „Precogs“ im „Minority Report“ faszinieren und beunruhigen KI-Systeme die
       Menschheit – die sie in [2][Szenarien der Popkultur] dann gern auch mal zu
       vernichten droht.
       
       Das ambivalente Verhältnis zwischen Mensch und Maschine ergründet derzeit
       die Schau „KI.Robotik.Design“: In vier Kapiteln zeigt die Pinakothek der
       Moderne einzelne Etappen der historischen Entwicklung von künstlicher
       Intelligenz. Dabei macht sie große Gedankensprünge, von Leonardo da Vinci
       über den IBM-Schachcomputer bis in die Gegenwart, endet aber versöhnlich,
       indem sie Angstszenarien verständlich kontextualisiert – das ist das große
       Verdienst der Macher.
       
       ## Munich School of Robotics and Maschine Intelligence
       
       Gestaltet hat die Schau der Münchner Robotik-Professor Sami Haddadin, der
       die Munich School of Robotics and Machine Intelligence (MSRM) leitet – und
       dem es gelingt, das komplexe Thema interessant, kreativ und vor allem
       humoristisch zu vermitteln.
       
       Der historische Teil der Ausstellung bleibt zunächst beschreibend: Er
       reicht von Leibniz’ Rechenmaschine – die schon den binären Code aus 1 und 0
       nutzt – bis zur Videoaufzeichnung eines Rechencomputers, der fähig ist,
       eingespeistes Wissen selbstständig zu reproduzieren.
       
       Auch an IBMs Schachcomputer „Deep Blue“ wird erinnert, den Garri Kasparow
       zwar erst besiegte, dem der Schachweltmeister dann aber unter
       Turnierbedingungen unterlag.
       
       Heute sind Maschinen sogar „sensibel“ – wie der taktile Roboter der Firma
       Franka Emika, dessen Prototyp aus der Werkstatt von Haddadins Team stammt
       und der auf Störungen der Produktionsabläufe reagiert, etwa wenn eine
       Menschenhand in die Maschine gerät.
       
       ## Die Rede von Wladimir Putin, die er nie hielt
       
       Im zweiten Kapitel stellt sich dann die wohl unvermeidliche Frage von Moral
       und Missbrauch: Hier wird am Beispiel von Wladimir Putin eine
       Stimmverzerrungs- und Gesichtsverfremdungssoftware vorgeführt, die jede
       beliebige Stimme zu der des russischen Staatspräsidenten macht und perfekte
       Lippensynchronität herstellt. Nie waren Fake News einfacher: In einem Video
       sieht man Putin eine Rede halten – die es so nie gab.
       
       Klar wird: [3][KI kann schon jetzt die Art, wie wir die Welt wahrnehmen,
       manipulieren.] Selbst der geschulte Blick kann nicht erkennen, ob hier
       nicht ein Staatsmann einen Weltkrieg erklärt. Gerade im Bereich der
       Kinderpornografie ließe sich eine solche Software in verheerender Weise
       einsetzen – durch die Manipulation von Badefotos, die sorglose Eltern ins
       Netz stellen, und durch die passgenaue künstliche Anpassung der kindlichen
       Gesichtszüge an einen neu geschaffenen Kontext.
       
       Im dritten Kapitel wird gegen dieses angstbesetzte Szenario sofort
       gegengehalten: Mensch und Maschine gehen hier eine Symbiose ein – mit
       intelligenten Prothesen nämlich, die sich durch das Gehirn des Trägers
       steuern lassen. Voraussetzung war, eine Art Körperwahrnehmung in die
       Technik zu programmieren, die ein Bewusstsein von Räumlichkeit und damit
       sinnvolle Bewegungsabläufe wie den Griff zur Türklinke ermöglicht.
       
       ## Zusammenspiel von Mensch und Maschine in Echtzeit
       
       Das vierte Kapitel – eine Einzelinstallation über zwei Etagen – holt dann
       nicht nur den gegenwärtigen Stand der Forschung ins Museum, sondern schafft
       Aktualität in Echtzeit: Ein Computerarm zeichnet auf Papierbahnen Umrisse
       von Gebilden, die sich einerseits aus spontanen Tweets der Besucher und
       andererseits aus dem Informationsfluss der weltweit größten
       Nachrichtenseiten speisen.
       
       Ausgewählt werden Seiten und Informationen, die digital besonders viele
       Zugriffe bekommen: Das kann das Aufmacherbild der New York Times sein oder
       ein Video, das gerade viral geht. Die Zeichnungen werden mittels KI zurück
       ins Netz gespielt und über das Twitteraccount der Maschine getwittert.
       
       Damit übersetzt die Installation die Gedanken von Menschen in eine ihr
       eigene Sprache, die ihr wiederum ermöglicht, in Echtzeit mit dem Menschen
       im Museum zu kommunizieren: Mit seinen Sinnen kann der Besucher aus den
       Umrissen die News – beispielsweise den Petersdom – „herauslesen“.
       
       Die Idee des Dialogs zwischen Kunstwerk und Betrachter ist hier so
       verspielt wie mathematisch-nerdig umgesetzt – ein intelligenter Ansatz, der
       vorangegangenen Angstszenarien die letzte Schärfe nimmt und dem es
       vielleicht gelingt, Mensch und Maschine kurzzeitig zu versöhnen.
       
       3 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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