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       # taz.de -- Eröffnung Festspiele Bayreuth: Die Geister lahmen
       
       > Dmitri Tcherniakov inszeniert Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ als
       > Rachegeschichte. Und Oksana Lyniv dirigiert als erste Frau in Bayreuth.
       
   IMG Bild: „Der fliegende Holländer“ eröffnete die Festspiele 2021
       
       Die [1][Bayreuther Festspiele] waren im vergangenen Jahr das erste große
       Festival, das wegen der Pandemie komplett abgesagt wurde und gar nicht erst
       versuchte, ein den Hygieneregeln gehorchendes Programm anzubieten. Diese
       Konsequenz wurde auch kritisiert, zumal die Salzburger Festspiele mit
       Erfolg ein Pandemieprogramm durchzogen. In diesem Jahr geht in Bayreuth der
       Vorhang endlich wieder hoch, unter schärfsten, bayerisch
       überinterpretierten Pandemieregeln, vor halbiertem Publikum und am Abend
       der Eröffnungspremiere wegen der Politprominenz auch unter lächerlich
       aufgerüstetem Polizeiaufgebot.
       
       Beschwerlich kämpft man sich unter mehrfachen Taschenkontrollen zum Hügel
       herauf und sortiert sich in penibel nach Sitzplatz kanalisierte Wege. Statt
       der üblichen Gastronomie stehen Food-Trucks neben dem Haus und ausgelagerte
       Sanitärhäuschen, es gilt FFP2-Maskenpflicht und die Karten sind natürlich
       personalisiert und nur gegen 3-G-Nachweis zu haben.
       
       Die Hygienehysterie – das Publikum dürfte angesichts des
       Altersdurchschnitts durchgeimpft sein – wird vollends ad absurdum geführt,
       als sich dann doch, wenn auch ohne roten Teppich, die Polit-Prominenz zeigt
       und die Gaffer sich unbehelligt dicht an dicht drängen, um der
       Nochkanzlerin freundlich zu applaudieren.
       
       ## Erste Dirigentin der Festspielgeschichte
       
       Aber dann geht es endlich los mit einem gespannt erwarteten Debüt, denn mit
       der Ukrainerin Oksana Lyniv steht zum ersten Mal in der 145-jährigen
       Festspielgeschichte eine Frau im magischen Bayreuther Graben, der
       bekanntlich durch seine Deckelung Tücken hat. Lyniv hat darüber hinaus
       damit zu kämpfen, dass der Chor, der im [2][„Holländer“] eine tragende
       Rolle spielt, in diesem Jahr nicht auf der Bühne singen darf, sondern via
       Glasfaserkabel in Echtzeit aus dem Chorsaal zugeschaltet wird, wo die
       Sänger*innen einzeln in Plexiglas-Kabinen mit Kopfhörern sitzen.
       
       Das bringt nicht nur atmosphärisch Probleme mit sich, die furiosen
       Sturmchöre und erst recht das Gefecht zwischen Seefahrern und Geistern sind
       derart indirekt unmöglich mit der erforderlichen Dramatik zu verzahnen,
       außerdem fehlt die physische Präsenz auf der Bühne, die stattdessen von
       stummen Chorist*innen bevölkert ist.
       
       So klappert es immer wieder gefährlich, Oksana Lyniv bemüht sich hörbar um
       eine schlanke, von der Spieloper inspirierte Interpretation, die rhetorisch
       und gestisch denkt und weniger auf Überwältigungseffekte setzt. Das gelingt
       stellenweise hervorragend, an anderen Stellen fehlen aber einfach Wucht und
       Fallhöhe.
       
       ## Die Häuschen gehen in Flammen auf
       
       Das gilt leider auch für die Regie von Dmitri Tcherniakov, der die
       Geschichte des verfluchten Untoten, der alle sieben Jahre an Land darf, um
       durch die bedingungslose Liebe einer Frau zum Sterben erlöst zu werden,
       umdeutet in die Geschichte eines traumatisierten Rächers. Während der
       Ouvertüre erzählt Tcherniakov in stummen Bildern die Vorgeschichte: Der
       Holländer ist noch ein kleiner Junge, als seine Mutter mit dem Seefahrer
       Daland ein Verhältnis eingeht. Als dieser sie sitzen lässt und sie von der
       Gesellschaft ausgegrenzt wird, erhängt sie sich und lässt ihren
       traumatisierten Sohn zurück.
       
       Der kehrt nun erwachsen in sein Heimatstädtchen zurück – Tcherniakov zeigt
       sterile Klinkerhäuschen, die an der englischen oder holländischen Küste
       stehen könnten – und macht sich an Senta heran. Daland lebt inzwischen mit
       Mary zusammen, am Schluss ballert der Holländer in die Menge, die Häuschen
       gehen in Flammen auf und Mary erschießt den Holländer.
       
       Diese Regie-Idee könnte sogar aufgehen, würde Tcherniakov das Ganze nicht
       so steif und statisch arrangieren und in Stereotypen ersticken. Senta, die
       mit Asmik Grigorian in jeder Hinsicht ideal besetzt ist, muss als
       rebellisch pubertierendes Töchterlein mit schlecht gefärbtem Haar im Hoody
       ständig fuchtelnd überagieren, beim großen Anbahnungsduett ist das Paar
       nicht allein, sondern sitzt im Mini-Wintergarten mit Daland und Mary beim
       1960er-Jahre-Horror-Spießer-Mahl. Streckenweise kommt tatsächlich
       Langeweile auf, was beim konzise komponierten „Holländer“ eigentlich
       unmöglich sein sollte.
       
       Sängerisch hat der Abend durchaus Festspielniveau: Das Ensemble wird
       überstrahlt von Asmik Grigorians durchschlagendem Sopran und ihrer souverän
       differenzierten Gestaltung, sonor fließend und mit klarer Diktion Georg
       Zeppenfelds Daland, John Lundgrens Holländer klingt massig, gelegentlich
       rau und etwas unbeteiligt, Eric Cutlers Erik ist kraftvoll tenoral, fast
       übermotorisiert. Am Ende löst sich dann aber doch großer Jubel, es gibt
       sogar Getrampel, törichte Buhs für den unschuldigen Chor und gerechte für
       die Regie.
       
       26 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Regine Müller
       
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