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       # taz.de -- Wassermangel in Jordanien: Sparen wie der Prophet
       
       > In Jordanien werden Imame durch Projekte zu Vorbildern beim
       > Wasserverbrauch – von der rituellen Waschung in der Moschee bis zum
       > Gärtnern.
       
       Gemeindevorsteher Hussein al-Sarhan steht in Socken auf gefliestem Boden.
       Er drückt auf die Armatur vor ihm und verreibt das Wasser in seinem
       Gesicht, zwischen den Fingern, im Nacken und am Ellenbogen.
       
       Der dünne Wasserstrahl stoppt. Nun bleibt Zeit, die Socken auszuziehen und
       die graue Anzughose hochzukrempeln. Erneut drückt der muslimische
       Geistliche auf den Hahn, verreibt das Wasser an Knöcheln, Fußsohle und
       zwischen den Zehen.
       
       Wassersparende Armaturen, die von alleine stoppen, sind in Deutschland
       bekannt aus öffentlichen Einrichtungen oder Flughäfen. Doch in Jordanien
       sind sie eine Seltenheit.
       
       Dabei könnte die rituelle Waschung, wie sie der Gemeindevorsteher
       vorgeführt hat, nach islamischen Regeln ungültig sein, wenn dabei Wasser
       verschwendet wird. „Verschwendung ist im Islam nicht akzeptiert“, erklärt
       Imam Hajel Alschra’ah. „Der Islam ermutigt die Menschen immer, Ressourcen
       im Allgemeinen sinnvoll zu nutzen. Auch der Prophet Mohammed, Friede sei
       mit ihm, hat Wasser gespart, sogar für die rituelle Waschung.“
       
       Alschra’ah ist Vorbeter an der Salah-Eddin-Moschee in Mafraq. Das
       Gebetshaus liegt an einer Zufahrtsstraße zu der Gemeinde Mafraq im Norden
       Jordaniens, umgeben von sandigem Boden und vereinzelten kargen Grünflächen,
       auf denen Schafe nach Gräsern suchen.
       
       Die Salah-Eddin-Moschee ist eine „blaue“ Moschee: Hier soll Wasser gespart
       werden. Zwar sind ihre Fenster und das Minarett schwarz verziert, aber mit
       deutschen Entwicklungsgeldern wurde sie „blau“ gemacht. In Mafraq hat die
       deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag
       der Bundesregierung in 28 Moscheen 150 Wasserhähne mit Auto-Stopp
       installiert. Die Salah-Eddin-Moschee hat auch eine
       Wasseraufbereitungsanlage für Abwasser und ein vom US-Hilfswerk Mercy Corps
       gespendetes Auffangbecken für Regenwasser auf dem Dach.
       
       ## Wasserlektionen in der Freitagspredigt
       
       Knapp die Hälfte des Leitungswassers in Jordanien geht durch [1][kaputte
       Rohre oder Lecks an Wasserzisternen] verloren, wird gestohlen oder kann vom
       Wasseranbieter nicht in Rechnung gestellt werden, da die Zähler in den
       Haushalten kaputt oder veraltet sind. Hinzu kommt also übermäßiges Abpumpen
       des Grundwassers, um den Bedarf zu decken. In den vergangenen vierzig
       Jahren ist der Grundwasserspiegel im Land durchschnittlich um 50 Meter
       gesunken – in Mafraq sinkt er jährlich um 5 Meter. Um die Ressourcen zu
       schonen, liefert der staatliche Wasserversorger nur einmal in der Woche.
       
       Neben der Instandhaltung und Erneuerung von Rohren fließen deutsche
       Entwicklungsgelder auch in Projekte, die die Endverbraucher*innen
       einbeziehen. Weil in Jordanien viele Menschen gläubig sind, kam die GIZ auf
       die Idee, religiöse Wasserbotschafter*innen auszubilden, die den
       schonenden Umgang mit der knappen Ressource predigen.
       
       Das Projekt „Wassersparen durch Religion“ lief 2015 an und wurde so gut
       aufgenommen, dass es bis 2023 verlängert ist. 7,8 Millionen Euro gibt das
       Entwicklungsministerium dafür aus. Mit dem Geld wurden unter anderem 692
       islamische Predigerinnen, sogenannte Waithat, und 1.367 Imame darin
       ausgebildet, das Thema in ihre Gemeinden zu tragen. Einer von ihnen ist
       Imam Hajel Alschra’ah.
       
       „Während der Freitagspredigten gibt es nach dem Gebet so etwas wie
       Lektionen, und alle zwei oder drei Monate spreche ich darin über die
       [2][Wassersituation in Jordanien]“, erläutert er seine Tätigkeit. Ob die
       Menschen seinen Lektionen auch folgen? „Ich ermutige die Menschen, Wasser
       zu sparen, aber ich überwache es nicht“, antwortet der Imam. Wer in die
       Moschee käme, sei schließlich gläubig und daher gehe er davon aus, dass die
       Menschen seinen Predigten folgten.
       
       Und schließlich lasse auch der Wasserhahn keine Überbeanspruchung mehr zu.
       „Wenn jemand versucht, ihn zu öffnen, gibt er nur ein Viertel Liter frei.“
       Im Schnitt nutzt ein Gläubiger den Hahn dreimal und verbraucht 0,75 Liter
       Wasser bei der rituellen Waschung.
       
       Der Imam selbst spart Wasser, indem er nur mit einem Eimer duscht, statt
       das Wasser durch einen Duschkopf fließen zu lassen oder zu warten, bis es
       warm ist, berichtet er. Damit verbraucht er nur einen halben Eimer, knapp
       drei Liter. Der Imam möchte Wassersparen nicht nur predigen, sondern ein
       Vorbild sein und seine Ratschläge selbst befolgen. Einer davon ist, bei der
       rituellen Waschung die Socken anzulassen: „Ich wasche meine Füße morgens,
       deshalb brauche ich sie während des Tages nicht noch mal zu waschen. Ich
       lasse meine Socken an und schrubbe die Füße etwas. Das ist eine
       Möglichkeit, Wasser zu sparen.“
       
       Es scheinen belustigende Kleinigkeiten zu sein, aber es gilt das große
       Ganze zu bedenken. Die Moscheen in der jordanischen Hauptstadt Amman
       beispielsweise verbrauchen im Jahr 500 Millionen Liter Wasser – für
       Gebäudereinigung, aber insbesondere für die rituelle Waschung.
       
       ## Auch Priester predigen über Wasser
       
       „Wir wollten nicht nur das Bewusstsein über Wassermangel stärken, sondern
       eine Verhaltensänderung erreichen“, sagt Dschumana Alajed, Projektleiterin
       bei der GIZ. Bei Workshops lernten die Wasserbotschafter*innen auch,
       wie sie mehr Menschen erreichen. „Sie sollen sich Ziele setzen, wie: Ich
       möchte in zehn Haushalten in meiner Community helfen, Wasser um 5 oder 10
       Prozent einzusparen. Und das sollte dann über die Wasserrechnungen sichtbar
       werden.“ Eine Nonne beispielsweise arbeite daran, ein Altenheim für Nonnen
       wassersparend zu machen.
       
       Nach offiziellen Statistiken ist 95 Prozent der jordanischen Bevölkerung
       muslimisch, es leben auch andere Religionsangehörige in dem Land. Daher hat
       die GIZ auch 491 christliche Geistliche und 55 Nonnen ausgebildet, um das
       Thema Wassersparen in die Kirchen zu bringen. Zunächst erstellten im Jahr
       2017 sechs Priester ein Buch darüber, wie Wasser in der Bibel thematisiert
       wird. Dann trainierten sie in 24 Workshops Priester und Nonnen, wie sie mit
       ihren Mitmenschen und bei den Predigten Menschen zum Wassersparen bewegen.
       
       Es sind Männer, die in den religiösen Häusern vorbeten. Und es sind vor
       allem Männer, die in die Moschee gehen, während Frauen aufgrund des
       Haushalts und der Kinder oft lieber im Haus beten. Hingegen sind Frauen in
       Jordanien mehr vom Wassermangel betroffen. Nicht nur, [3][weil sie
       menstruieren] oder wenn sie schwanger sind.
       
       „Frauen leiden mehr unter der Knappheit, weil sie normalerweise für die
       Hausarbeit verantwortlich sind. Wenn es kein Wasser gibt, dann können sie
       nicht ihre Aufgaben erfüllen, nicht putzen oder waschen“, erklärt die
       islamische Predigerin Ola al-Dschaabari. Sie ist 43 Jahre, hat drei Kinder,
       schreibt an ihrer Doktorarbeit in Islamischen Studien und macht als
       Religionsgelehrte Hausbesuche.
       
       Als religiöse Autorität im konservativen Jordanien hat al-Dschaabari einen
       guten Zugang zur Nachbarschaft, verbringt viel Zeit bei Kaffee, Tee und
       Plausch in den Familien. „Die Leute sind generell gläubig und fragen nach
       religiösen Wegweisungen. Ich erkläre ihnen, wie sie ihre familiären
       Beziehungen festigen oder Probleme mit religiöser Hilfe angehen können. Sie
       vertrauen mir und hören geduldig zu.“
       
       Den besonderen Draht zu den Frauen nutzt sie nun, um über Wasser zu
       sprechen und Tipps zu geben, wie sie mit geringen Mengen haushalten können.
       Beispielsweise, das kalte Wasser, dass als Erstes aus der Dusche läuft, mit
       einem Eimer aufzufangen und zum Putzen zu verwenden. Sie hilft ihnen,
       Durchlaufregler in die Wasserhähne zu setzen: Der netzartige Einsatz
       durchmischt den Strahl mit Luft und verringert so den Verbrauch. „Ich mag
       auch die Idee, im Winter Regenwasser aufzufangen und zum Blumengießen zu
       verwenden.“
       
       Das Prinzip, für die Bewässerung nicht auf Trinkwasser aus dem Wasserhahn
       zurückzugreifen, kennt die Religionsgelehrte aus der Moschee. Aus dem
       Waschraum läuft das Wasser in zwei Aufbereitungsbecken, in denen es
       gesäubert wird. Aus Hygienegründen nutzt die Gemeinde das gereinigte
       Abwasser nicht erneut zur heiligen Waschung. Schwarze Schläuche schlängeln
       sich von der Anlage durch den Park zwischen der Moschee und dem Haus des
       Imams. Durch ihre Löcher bewässert das aufbereitete Wasser neu gepflanzte
       Bäume, erstes Gras bahnt sich seinen Weg durch den Sandboden.
       
       Dort steht der 54-jährige Gemeindevorsteher Hussein al-Sarhan nach dem
       Gebet in der Moschee. Das Projekt sei ein Erfolg, sagt er, während im
       Hintergrund Kinder toben. „Die Kinder haben eine gute Zeit, sie kommen
       gerne zur Moschee und spielen hier.“
       
       Damit der öffentliche Platz besser genutzt werden kann, hat die GIZ der
       Moschee einen Spielplatz spendiert, mit Rutsche, vier Schaukeln,
       Klettergerüst und einer Wippe. Dem Imam wird das Projekt deshalb fast schon
       zu gut angenommen: Da sein Haus neben dem Spielplatz an der Moschee liegt,
       sei es ihm inzwischen manchmal zu laut. Aber sein Fazit ist positiv: „Ich
       glaube an die Lehren des Islam, moderat zu leben und moderat Wasser zu
       nutzen.“
       
       26 Aug 2021
       
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   DIR Julia Neumann
       
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