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       # taz.de -- Aktivistin über Frauen in Afghanistan: „Kaum jemand traut sich raus“
       
       > Durch die Machtübernahme der Taliban können Initiativen wie „Vision for
       > Children“ nur noch eingeschränkt Hilfe leisten, sagt die Aktivistin Hila
       > Limar.
       
   IMG Bild: Künftig wohl eher nicht möglich: Besuch von Hila Limar (oben links) bei afghanischen Mädchen
       
       taz: Frau Limar, wie geht es der afghanischen Community in Hamburg nach den
       [1][jüngsten Entwicklungen in Afghanistan]? 
       
       Hila Limar: Die afghanische Community weltweit ist von den Ereignissen in
       Afghanistan bewegt und auch hier in Hamburg wühlt das alle extrem auf.
       Viele fühlen sich in frühere Zeiten zurückversetzt und befürchten, dass
       sich die Geschichte wiederholt und es wieder so sein wird wie im
       Taliban-Regime 1996.
       
       Sie selbst haben Familie, Freunde und Kollegen vor Ort. Wie geht es ihnen? 
       
       Meinen elf lokalen Kolleg*innen in Herat, Kabul und Masar-e Scharif geht
       es den Umständen entsprechend gut. Wir sind in ständigem Austausch und
       kommunizieren teilweise stündlich. Unsere Kolleg*innen haben uns zum
       Beispiel über die Einnahme von Masar-e Scharif informiert, bevor das in den
       Medien war. Meine Familie und Freund*innen, die hauptsächlich in Kabul
       leben, halten sich seit dem Vormarsch der Taliban zu Hause auf und warten
       das Geschehen ab. Sie versuchen, sich so unauffällig wie möglich zu
       verhalten und meiden es, aus dem Haus zu gehen. Es traut sich kaum jemand
       auf die Straße.
       
       Was hören Sie von Ihren Angehörigen über die Stimmung in der Gesellschaft? 
       
       Grundsätzlich herrscht eine allgemeine Ungewissheit, wie es weitergeht.
       Nachdem sich [2][der afghanische Präsident abgesetzt] hat, haben nochmal
       viele Menschen die Hoffnung verloren, dass es zu einer Übergangsregierung
       und zu einer demokratischen Form der Politik kommen könnte. Ich glaube,
       dass all diese Sachen Angst und Panik auslösen.
       
       Sie sind [3][mit drei Jahren aus Afghanistan nach Deutschland gekommen].
       Wie geht es Ihnen persönlich damit? 
       
       Es ist für uns alle eine sehr schwierige Situation. Ich bin durch meine
       Arbeit, aber auch durch meine Wurzeln sehr eng mit Afghanistan verbunden.
       Durch die Geschehnisse der letzten Monate und der allgemeinen Situation in
       Afghanistan habe ich ein bisschen gefasster darauf reagiert. Gerade die
       Bilder der letzten Tage und die teilweise Hilflosigkeit und Verzweiflung
       der Menschen geht mir aber sehr nahe.
       
       Ihr Verein [4][„Visions for Children“] setzt sich für die Bildung von
       Kindern in Afghanistan ein. Inwiefern sind Ihre Projekte betroffen? 
       
       Wir haben ein Schulprojekt für sehbehinderte Kinder in Herat, zwei Projekte
       in Kabul und eines in Masar-e Scharif. Den letzten Informationen nach gehen
       zumindest in Herat weiterhin alle Kinder zur Schule. Sowohl die Mädchen als
       auch die Jungs. In Kabul und in Masar-e Scharif sind die Schulen dagegen
       aus Sicherheitsgründen erst mal geschlossen. Wir wissen nicht, wann die
       Kinder wieder in die Schule können.
       
       Was bedeutet die Machtübernahme durch die Taliban für die Kinder, gerade
       für die Mädchen? 
       
       Die größte Befürchtung ist, dass die Taliban die Mädchen wieder vom
       Bildungssystem ausschließen. Wenn man ihren Aussagen Vertrauen schenken
       möchte, dann wollen sie das nicht. Frauen sollen demnach angeblich weiter
       an der Gesellschaft teilhaben. Die Lage ist derzeit aber so dynamisch, dass
       wir nicht wissen, ob die Situation so bleibt und ob diese Aussagen auch
       noch morgen gelten. Was für uns hoffnungsvoll ist, dass die Kinder in Herat
       momentan alle in der Schule sind. Das liegt möglicherweise daran, dass
       Herat zwei Tage vor Kabul eingenommen wurde. Ich kann derzeit aber auch nur
       für unsere Projektstandorte sprechen. Wie es darüber hinaus aussieht, weiß
       ich nicht.
       
       Was droht Frauen und Mädchen neben einem möglichen Ausschluss von Bildung
       noch? 
       
       Es geht grundsätzlich um den Zugang zu jeglicher Beteiligung an der
       Gesellschaft. Sowohl zum Arbeitsmarkt, zur Bildung, zu medizinischer
       Versorgung. Das sind alles Fragen, die nicht wirklich geklärt sind. Die
       größte Befürchtung ist, dass das alles wieder wie 1996 wird.
       
       Ihr Verein leistet noch weitere Unterstützung in Afghanistan. 
       
       Wir führen neben den Bildungsprojekten auch Projekte der humanitären
       Nothilfe durch. Eigentlich sollte derzeit eine solche Nothilfeaktion in
       Kabul für Binnengeflüchtete gestartet werden. Die können wir aber erst
       wieder durchführen, wenn die Sicherheit unserer Mitarbeiter gewährleistet
       ist. Momentan ist alles eingestellt und die Projektbüros sind geschlossen.
       Unseren Mitarbeiter*innen wurde empfohlen, sich erst einmal zuhause
       aufzuhalten.
       
       Was tut Ihr Verein derzeit von Hamburg aus? 
       
       Unser Verein hat am Sonntag eine Spendenaktion auf die Beine gestellt und
       wir merken, dass die Spendenbereitschaft in Deutschland unglaublich groß
       ist. Bisher sind schon mehr als 300.000 Euro zusammengekommen sind. Wann
       die Unterstützung mit diesen Geldern durchgeführt wird, kann ich derzeit
       noch nicht sagen. Da geht die Sicherheit unserer Mitarbeiter vor. Aber
       mittelfristig wird sie stattfinden.
       
       Wie kann jede*r von uns einen Beitrag zur Hilfe leisten? 
       
       Wir sind in einer extrem privilegierten Situation und haben Zugang zum
       Internet: entsprechend einfach kann man sich informieren und andere
       Menschen auf die Situation aufmerksam machen.
       
       Hamburg hat sich bereit erklärt, 200 Gerettete aufzunehmen. Welche
       Unterstützung fordern Sie noch von Bund und Ländern? 
       
       Es ist wichtig, dass sehr schnell agiert wird. Wir können es uns in
       Deutschland ja sehr kompliziert machen, die Menschen müssen jetzt jedoch
       schnell aus Afghanistan gebracht werden werden.
       
       18 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Afghanistan-nach-dem-Machtwechsel/!5789732
   DIR [2] /Praesident-Ghani-hat-Afghanistan-verlassen/!5793771
   DIR [3] /NGO-Vorstaendin-ueber-Bildung/!5706124
   DIR [4] https://www.visions4children.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simeon Laux
       
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