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       # taz.de -- Erinnerungen an Gerd Müller: Größe des Schlichten
       
       > Das extensive Gedenken an Gerd Müller verkörpert eine große Sehnsucht –
       > die nach einer längst verloren gegangenen Fußballkultur.
       
   IMG Bild: Gerd Müller beim Torschuss gegen Real Madrid im Jahr 1976
       
       Unglaublich, dieser Erling Haaland. An allen fünf Toren von Borussia
       Dortmund war er zum Saisonauftakt beteiligt. Der Norweger mit einem
       geschätzten Marktwert von 130 Millionen Euro ließ sich solo vor der
       Südtribüne feiern. Und wer hätte den ersatzgeschwächten Mainzern einen Sieg
       gegen den Konzernklub aus Leipzig zugetraut? Bei Hertha BSC hat der
       Investor Lars Windhorst übrigens die letzte noch ausstehenden Zahlung von
       30 Millionen Euro überwiesen. Das bestätigte der Klub am Dienstag.
       
       Am Wochenende hat das große Bundesligageschäft seinen Betrieb wieder
       aufgenommen. Und es gibt natürlich prompt etliches zu erzählen. [1][Just an
       diesem Wochenende, am Sonntag früh,] hat das Herz von Gerd Müller, der
       größten deutschen Stürmerlegende, aufgehört zu schlagen. Als wolle der
       Mann, der im Rampenlicht immer ein wenig unbeholfen wirkte, im aufkommenden
       Fußballnachrichtenwirbel möglichst unbemerkt nach jahrelanger
       Alzheimer-Erkrankung im Alter von 75 Jahren abtreten können.
       
       Doch am gefragtesten sind seit Sonntag trotz allem Haaland-Hype eindeutig
       Gerd-Müller-Geschichten. Der Spiegel etwa präsentierte in den vergangenen
       beiden Tagen allein sechs Artikel zum „Bomber der Nation“ samt einer
       Bilderstrecke. Die Erinnerungsschätze seiner ehemaligen Weggefährten werden
       derzeit allerorten aufgespürt. Und es interessiert selbst, wie Jupp
       Heynckes ihn vor drei, vier Jahren bei seinem letzten Besuch im Pflegeheim
       erlebt hat.
       
       Das ist natürlich zum einen dem Legendenstatus von Gerd Müller geschuldet,
       dessen statistischen Werten (365 Tore in 427 Bundesligaspielen, 68 Tore in
       62 Länderspielen) schon immer etwas Jenseitiges anhaftete. Zum anderen aber
       verkörpert dieses extensive und elogenhafte Gedenken an Gerd Müller auch
       eine große Sehnsucht nach einer verloren gegangenen Fußballkultur.
       
       Fremdeln mit den Marktmechanismen 
       
       Anhand seiner Karriere kann man zwar die Kapitalisierung des Fußballs
       exemplarisch nachvollziehen, so wie es [2][der Historiker Hans Woller in
       seiner erst vergangenes Jahr erschienenen Biografie] über Gerd Müller getan
       hat. Das ebenso beschriebene Fremdeln des FC-Bayern-Stürmers mit diesen
       aufkommenden Marktmechanismen aber lässt ihn noch heute zur
       Projektionsfläche von Nostalgikern und Visionären eines anderen Fußballs
       werden.
       
       Im Gegensatz zu Franz Beckenbauer oder Günter Netzer, die Nutznießer und
       später Strippenzieher des kapitalisierten Fußballs wurden, kann Müller, dem
       nach der Karriere all das Geld unter den Händen zerrann, als am System
       Gescheiterter gelten. Er hat sich die Hände nie schmutzig gemacht.
       
       Das ist vermutlich ein Grund, weshalb neben den Beschreibungen seiner
       unnachahmlichen Qualitäten im Strafraum nun auch gern Anekdoten aus seiner
       Anfangszeit beim schwäbischen Amateurligisten TSV 1861 Nördlingen erzählt
       werden und wie er für 4.400 DM zum FC Bayern wechselte und dort nebenbei
       noch als Möbelpacker arbeitete. Müller hat sich immer eine gewisse Unschuld
       bewahrt, weil ihm Selbstinszenierungen auch auf dem Höhepunkt seines
       Schaffens nicht lagen. Gestrebt hat er lediglich stets nach dem nächsten
       Treffer. Gejubelt hat er, wie das damals in der Kreisliga üblich war.
       
       [3][Mit Gerd Müller wird in diesen Tagen eine Fußballkultur verabschiedet],
       deren Einfachheit und Arglosigkeit viele fasziniert und die im grellen
       Kontrast etwa zur heutigen Financial-Fairplay-Fußballkultur steht, die
       Lionel Messi vom FC Barcelona zum Scheichklub Paris St. Germain treibt.
       
       Mit dem Tod von Gerd Müller wird noch einmal der einst so schlichte Fußball
       gefeiert. Von seinem Heiligenschein will selbst der CSU-Generalsekretär
       Markus Blume noch etwas abhaben. Via Twitter postete er ein Foto von Müller
       mit Torjägerkanone und setzte die Buchstaben seiner Partei drauf. So
       schrecklich erbärmlich diese Wahlkampfaktion auch wirkte, unterstrich sie
       doch einmal mehr die Größe des unschuldigen Gerd Müller.
       
       17 Aug 2021
       
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