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       # taz.de -- Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Steuerzinsen sind zu hoch
       
       > Das Bundesverfassungsgericht verlangt, Zinsen für Steuernachzahlungen und
       > Erstattungen zu senken. Bei Niedrigzinsen seien 6 Prozent zu viel.
       
   IMG Bild: Bei diesem Urteil geht es um viel Geld
       
       Freiburg taz | Die Steuerzinsen von 6 Prozent pro Jahr sind schon seit 2014
       verfassungswidrig. Angesichts der langen Niedrigzinsphase sei der Satz
       unverhältnismäßig hoch, erklärte das [1][Bundesverfassungsgericht] am
       Mittwoch. Der Beschluss gilt für Steuernachzahlungen, aber auch für
       Erstattungen.
       
       Die Zinsen kommen zum Einsatz, wenn der Steuerbescheid erst mehr als 15
       Monate verspätet erstellt werden kann. Rund 80 Prozent der Steuerzinsen
       betreffen Fälle, bei denen aufgrund einer Betriebsprüfung oft erst Jahre
       später der Bescheid angepasst wurde. Es geht also vor allem um Unternehmen
       und Selbstständige.
       
       Seit 1990 gilt für solche Zinsen ein Satz von 0,5 Prozent im Monat, das
       entspricht 6 Prozent im Jahr. Damit sollen die Vorteile abgeschöpft werden,
       die die SteuerschuldnerInnen in der Zwischenzeit mit dem Geld erzielen
       konnten.
       
       Seit der Finanzkrise 2008/09 liegen die Zinsen für Bankguthaben allerdings
       signifikant unter 6 Prozent. Und selbst wenn ein Unternehmen sich
       kurzfristig Geld leihen muss, um seine Steuerschuld zu begleichen, zahlt es
       hierfür deutlich weniger Zinsen.
       
       ## Jahrelange Diskussion über Zinssatz
       
       Deshalb gibt es schon seit Jahren Diskussionen, ob der Zinssatz gesenkt
       werden müsse. Die Linke hatte dies 2010 zuerst thematisiert. In den letzten
       Jahren hatte dann vor allem die FDP regelmäßig entsprechende Anträge
       gestellt und forderte einen Zinssatz von nur noch 1,2 Prozent pro Jahr. Die
       Anträge wurden von der Großen Koalition jedoch regelmäßig abgelehnt.
       Politisch Verantwortlich war Finanzminister Olaf Scholz (SPD).
       
       Auch in der Rechtsprechung rumorte es schon länger. 2018 äußerte der
       Bundesfinanzhof erhebliche Zweifel an der Höhe des Steuerzinssatzes.
       Daraufhin wies die Politik die Finanzämter an, die Steuerzinsen nur noch
       vorläufig festzusetzen. Bei den Kommunen, die die Gewerbesteuer einziehen,
       folgten die meisten dieser Linie.
       
       Es geht um viel Geld. In den Jahren zwischen 2009 und 2017 betrugen die
       Nachzahlungszinsen jährlich zwischen 2,7 und 4,1 Milliarden Euro, die
       Erstattungszinsen zwischen 2 und 3 Milliarden Euro. Der Fiskus machte
       jährlich also einen Gewinn von einigen hundert Millionen Euro. Doch das hat
       sich inzwischen gedreht. Wegen der hohen Zinsen ist es attraktiv, bis zur
       Betriebsprüfung zu viel Steuern zu zahlen. 2019 zahlte der Fiskus deshalb
       rund 550 Millionen Euro mehr Erstattungszinsen, als er Nachzahlungszinsen
       einnahm.
       
       Erfolg hatte nun eine GmbH aus Augsburg, deren Gewerbesteuer für das Jahr
       2006 erst im Jahr 2014 von 0 auf rund 586.000 Euro hochgesetzt wurde. Für
       die Jahre 2008 bis 2014 fielen deshalb Nachzahlungszinsen in Höhe von rund
       700.000 Euro an. Die Teilsumme für das Jahr 2014 war aber zu hoch,
       entschieden jetzt die VerfassungsrichterInnen.
       
       Denn ab dem Jahr 2014 war der Zinssatz von 6 Prozent pro Jahr
       verfassungswidrig. Da sich nun die Niedrigzinsphase verstetigt hatte, hätte
       der Bundestag in der Abgabenordnung einen neuen Zinssatz festlegen müssen.
       Nur bis 2013 waren die 6 Prozent laut Bundesverfassungsgericht noch in
       Ordnung.
       
       ## 2022 beschlossene Regelung soll rückwirkend gelten
       
       Der Bundestag muss nun bis 31. Juli 2022 entscheiden, wie hoch die
       Steuerzinsen künftig sein sollen. Die Regelung soll auch rückwirkend ab
       2019 gelten. Laufende Verfahren sind bis zur Neuregelung auszusetzen.
       Vorgaben machte Karlsruhe nicht.
       
       Von 2014 bis 2018 würden aus Praktikabilitätsgründen allerdings die
       bisherigen 6 Prozent fortgelten, so die VerfassungsrichterInnen. Nur wenn
       eine Nachzahlungsforderung aus diesem Zeitraum noch nicht bestandskräftig
       ist, kann eine Erstattung der überhöhten Zinsen verlangt werden. Der
       finanzpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Fabio De Masi,
       schlug vor, den Steuerzins „mit einem moderaten Aufschlag“ an den Leitzins
       der Europäischen Zentralbank zu koppeln.
       
       Aktenzeichen: 1 BvR 2422/17
       
       18 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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