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       # taz.de -- Landesaufnahmeprogramme für Afghanen: Vom Kriegsland nach Friedland
       
       > Schleswig-Holstein will 300 Frauen und Kinder aus Afghanistan per
       > Familiennachzug aufnehmen. Niedersachsen, Hamburg und Bremen setzen auf
       > den Bund.
       
   IMG Bild: Hat schon Vielen Zuflucht geboten: Das Durchgangslager Friedland
       
       Hamburg taz | Welche Landesregierung bietet wie vielen Afghan:innen
       Schutz? In den vergangenen Tagen überboten sich die Nordländer mit Zahlen,
       nur Niedersachsen hielt sich zurück. Nun schob auch Innenminister Boris
       Pistorius (SPD) eine Zahl nach: 450 Ortskräfte aus Afghanistan und deren
       Familien sollen zunächst im Grenzdurchgangslager Friedland im Kreis
       Göttingen untergebracht werden.
       
       Die Anzahl der Plätze werde aber je nach Bedarf angepasst, teilt ein
       Sprecher des Innenministeriums auf taz-Anfrage mit. Denn derzeit plane
       Deutschland, rund 10.000 Menschen aus Afghanistan aufzunehmen und
       Niedersachsen nehme davon in der Regel nach dem sogenannten „Königssteiner
       Schlüssel“ rund ein Zehntel auf. Das wären also 1.000 Plätze.
       
       Pistorius hatte sich nach einer Sitzung der Innenminister:innen der
       Länder am Mittwoch für ein Bundesaufnahmeprogramm für bedrohte und
       verfolgte Menschen aus Afghanistan ausgesprochen. Niedersachsen solle dabei
       „eine zentrale Rolle“ spielen, sagte Pistorius.
       
       Die niedersächsische Caritas und die Grünen sehen allerdings das Land
       selbst in der Pflicht: Sie fordern ein eigenes Aufnahmeprogramm für
       schutzsuchende Afghan:innen. Niedersachsen solle sich einer entsprechenden
       Initiative Schleswig-Holsteins anschließen.
       
       Dessen schwarz-grün-gelbe Landesregierung hatte vergleichsweise früh ein
       landeseigenes Aufnahmeprogramm angekündigt, das sich vornehmlich an Frauen,
       Kinder und weibliche Angehörige von Afghan:innen richtet, die bereits in
       Schleswig-Holstein leben. Laut Innenministerium soll es sich um rund 300
       Menschen handeln. „Wir müssen vorangehen. Die Bilder aus Afghanistan können
       niemanden unberührt lassen“, sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack
       (CDU).
       
       Unabhängig von dem geplanten Programm sollen weitere Ortskräfte aufgenommen
       werden. Zudem sprach sich die Ministerin dafür aus, die Bundesregierung
       möge den Kreis der infrage kommenden Menschen großzügiger auslegen. Das
       könnten etwa Menschenrechtsaktivist:innen und Helfer:innen von
       Journalist:innen sein.
       
       ## Mehr Menschen schützen
       
       So sieht das auch Niedersachsens Caritas-Landessekretär Thomas Uhlen: „Es
       gibt auch viele [1][Ortskräfte von Nicht-Regierungsorganisationen] wie
       Frauenrechtlerinnen, die wir schützen und aus dem Land rausholen müssen.“
       Auch deren Angehörige müssten evakuiert werden.
       
       „Wir wollen den Antrag aus Schleswig-Holstein übernehmen“, sagt auch die
       Landtagsabgeordnete Susanne Menge (Grüne). Das Land müsse ein Bleiberecht
       für die Betroffenen organisieren und dafür eine gesetzliche Grundlage
       schaffen.
       
       Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat Niedersachsen begrüßt zwar die vom
       Land in Aussicht gestellten 1.000 Plätze: „Man müsste aber erst einmal den
       tatsächlichen Bedarf feststellen, bevor man sich auf eine Zahl festlegt.“
       Entsprechend darf das dann nicht gedeckelt werden“, sagt er. „Ein
       Aufnahmeprogramm sollte insbesondere zivilgesellschaftliche und politische
       Aktivist:innen, Familiennachzügler:innen und besonders vulnerable
       Personen und Gruppen sowie ethnische, religiöse oder sexuelle Minderheiten
       umfassen.“
       
       Auch der Bremer Flüchtlingsrat fordert ein eigenes Landesaufnahmeprogramm
       für Bremen. Der Senat hatte [2][am Dienstag mitgeteilt], 150 Ortskräfte aus
       Afghanistan schnell und unbürokratisch aufnehmen zu wollen. Der
       Flüchtlingsrat hingegen fordert, allen aus Afghanistan stammenden Menschen
       müsse sofort ein dauerhaftes Bleiberecht gewährt werden: „Die bisher durch
       Bremer Politiker:innen erklärte Aufnahmebereitschaft reicht nicht
       aus“, sagt Nazanin Ghafouri vom Bremer Flüchtlingsrat. Mittlerweile hat der
       Verein eine Petition mit dem Titel „Bremen muss Bleiberecht und humanitäre
       Aufnahme ermöglichen“ gestartet und sammelt Unterschriften.
       
       Für Niedersachsens Innenminister Pistorius ist ein Aufnahmeprogramm auf
       Bundesebene „die schnellere und effektivere Lösung als einzelne
       Landesaufnahmeprogramme“. Der Bund könne sich bei der Aufnahme von
       Ortskräften und anderen „vulnerablen Gruppen“, etwa Menschen, die in der
       Entwicklungshilfe oder für NGOs arbeiten, auf die Länder verlassen.
       
       ## Versprechen bei Twitter
       
       Hamburg wiederum hatte am Dienstag angekündigt, bis zu 250 Plätze für
       Schutzsuchende zur Verfügung zu stellen. „Unmittelbar und unbürokratisch“
       wolle man „Gerettete“ aufnehmen, teilte Bürgermeister Peter Tschentscher
       (SPD) auf Twitter mit. Bereits am Mittwochabend sind 19 Menschen aus
       Afghanistan in Hamburg angekommen, die zunächst in der zentralen
       Erstaufnahmeinrichtung im Stadtteil Rahlstedt untergebracht wurden.
       
       Laut Innenbehörde sollen voraussichtlich am heutigen Freitag weitere
       afghanische Ortskräfte in Hamburg eintreffen. Ein eigenes
       Landesaufnahmeprogramm sei nicht vorgesehen, sagt Behördensprecher Daniel
       Schaefer: „Wir sind darauf angewiesen, dass die Bundeswehr und das
       Auswärtige Amt die Menschen aus Afghanistan rausholen.“
       
       19 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
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   DIR Simeon Laux
       
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