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       # taz.de -- Regierungskrise in Libanon: Weiterer Milliardär soll’s richten
       
       > Ex-Premier Saad Hariri ist mit der Bildung einer Regierung gescheitert.
       > Nun soll ein anderer reicher Ex-Premier Libanon aus der Krise führen. ​
       
   IMG Bild: Der Milliardär Najib Mikati soll den Weg aus der Krise finden
       
       Frankfurt taz | Nach knapp einem Jahr des politischen Stillstandes in
       Libanon soll nun der ehemalige Regierungschef Nadschib Mikati versuchen,
       ein Kabinett zu formen. Bei parlamentarischen Konsultationen stimmte die
       Mehrheit der Abgeordneten am Montag für Mikati. Präsident Michel Aoun
       betraute ihn mit der Bildung eines neuen Kabinetts.
       
       Es ist bereits der dritte Versuch in nur einem Jahr, den Posten zu
       besetzen. Der momentan geschäftsführende [1][Regierungschef Hassan Diab war
       wenige Tage nach der Explosion von 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat in Beirut
       zurückgetreten].
       
       Zwischenzeitlich [2][sollte der libanesische Botschafter in Deutschland,
       Mustapha Adib, das Amt übernehmen], er gab jedoch nach zwei Wochen schon
       auf. Auf ihn [3][folgte Saad Hariri] – der das Amt bereits vor der Krise
       inne hatte und als Reaktion auf Massenproteste im Oktober 2019 eigentlich
       zurückgetreten war.
       
       Nach 10 Monaten des politischen Stillstandes folgt auf den sunnitischen
       Unternehmer und Milliardär nun ein anderer sunnitischer Unternehmer und
       zweifacher Milliardär. Mikati und sein Bruder gründeten die
       milliardenschwere M1 Group, die Anteile an Telekommunikationsunternehmen in
       Südafrika, London, New York und Monaco hält.
       
       Der 65-jährige Mikati ist ein routinierter Hariri-Nachfolger: Er war
       bereits Regierungschef im Jahr 2005 nach der [4][Ermordung des damaligen
       Regierungschefs Rafik Hariri], Vater von Saad Hariri. Das Kabinett unter
       Mikati hielt jedoch nur drei Monate. 2011 kehrte Mikati zurück, wieder als
       Nachfolger von Saad Hariri.
       
       ## Elite dreht sich im Kreis
       
       Dass sich die Geschichte wiederholt, ist kein Zufall. In Libanon regelt ein
       Proporzsystem die politischen Führungspositionen sowie die
       parlamentarischen Sitze. Um einen erneuten Krieg zu verhindern, ist die
       Macht unter den konfessionellen Parteien aufgeteilt. Der Parlamentssprecher
       ist Schiit, der Präsident ist maronitischer Christ und der Regierungschef
       ist immer ein Sunnit.
       
       Libanons politische Elite dreht sich im Kreis. Währenddessen läuft das Land
       auf eine Hyperinflation zu. Seit Herbst 2019 verliert die lokale Währung an
       Wert, Familien in Libanon müssen für Lebensmittel das Fünffache des
       Mindestlohns aufbringen. Aufgrund der gestiegenen Preise sind selbst
       einfache Medikamente wie Blutverdünner oder Kopfschmerztabletten aus den
       Apotheken verschwunden.
       
       Weil der Staat pleite ist, liefert die staatliche Strombehörde nicht mehr,
       und auch die Wasserversorgung stockt, weil die Pumpen mit Strom betrieben
       werden müssten. Die Betreiber von Stromgeneratoren setzen ihre Arbeit aus,
       weil es einen Mangel an Benzin zum Antrieb gibt.
       
       ## Drohungen aus Europa
       
       Für den 4. August plant die ehemalige Kolonialmacht Frankreich eine
       internationale Geberkonferenz. Präsident [5][Emmanuel Macron hatte Libanon
       gleich nach der Explosion im vergangenen Jahr besucht], um die
       Regierungsbildung zu beschleunigen. Zwar bekräftigte die politische Elite
       immer wieder, der „französischen Initiative“ folgen und eine
       Einheitsregierung bilden zu wollen, doch interne Machtkämpfe verhindern
       dies.
       
       Nun ist der internationale Druck gestiegen, da die EU-Staaten mit
       Sanktionen gegen die Verantwortlichen der politischen Krise drohen.
       Frankreich, Deutschland und andere Geberstaaten wollen der Regierung erst
       Geld geben, wenn diese die dringenden Reformen verabschiedet.
       
       Es ist fraglich, ob Mikati überhaupt eine Regierung bilden kann, gehört er
       doch als einer der reichsten Männer des Landes zur politischen Elite, die
       das Missmanagement und Korruption zu verantworten hat.
       
       2018 berichteten libanesische Medien, Mikati habe Millionen von US-Dollar
       abgeschöpft, die für staatlich geförderte Wohnungsbaudarlehen gedacht
       waren. Die Kredite sollten Libanes*innen mit niedrigem Einkommen beim
       Hauskauf helfen.
       
       Die Staatsanwältin Ghada Aoun erhob daher im [6][Protestjahr 2019] Anklage
       gegen Mikati und eine der größten Banken des Landes wegen unrechtmäßiger
       Bereicherung.
       
       27 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Libanon-nach-der-Explosion/!5706130
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       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Neumann
       
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