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       # taz.de -- Antiziganismus in Berlin: Beim Jobcenter diskriminiert
       
       > Menschen mit Roma-Hintergrund werden in Bundesbehörden oft benachteiligt.
       > Das Landesantidiskriminierungsgesetz schützt nicht.
       
   IMG Bild: Behörden, die Leistungen vergeben, sind nicht immer vorurteilsfrei
       
       Das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) ist ein [1][Meilenstein im
       Kampf für Minderheitenrechte]. Für Menschen mit selbst- oder
       fremdzugeschriebenem Roma-Hintergrund ist es bislang allerdings nur
       begrenzt hilfreich. Diese Einschätzung war Konsens in Vorträgen und
       Diskussionen, im Rahmen derer Amaro Foro, der Berliner Jugendverband von
       Rom*nja und Nicht-Rom*nja, seine „Dokumentation Antiziganistischer
       Vorfälle 2019/2020“ am späten Dienstagnachmittag vorstellte ([2][taz
       berichtete]). „Bundesbehörden wie das Jobcenter oder die Familienkasse
       werden vom LADG nicht erfasst, machen aber etwa die Hälfte unserer
       Beschwerdefälle aus“, erklärte Andrea Wierich, Pressesprecherin des
       Vereins.
       
       Die „Dokumentation Antiziganistischer Vorfälle“ erstellt Amaro Foro seit
       2014 im Auftrag des Senats. Danach sind Sinti und Roma, beziehungsweise
       Menschen, die dafür gehalten werden, in Berlin weiterhin von
       Stigmatisierungen betroffen, oft von staatlichen Institutionen wie
       Jobcenter, Schulen, den bezirklichen Wohnhilfen, der Polizei. Zahlen legte
       Amaro Foro dieses Mal nicht vor, da aufgrund von Corona die Meldungen beim
       Verein zurückgegangen seien und man von einer noch höheren Dunkelziffer als
       sonst ausgehen müsse, erklärte Wierich.
       
       Mitarbeiter*innen von Amaro Foro schilderten, mit welchen Schikanen
       Betroffene in Leistungsbehörden (Jobcenter, Familienkasse) konfrontiert
       seien und wie existenzbedrohend diese staatliche Diskriminierung wäre. „Es
       ist immer das gleiche Muster“, sagt Elmedin Sopa. Schon die Annahme von
       Anträgen werde häufig verweigert. „Das ist illegal und macht viele
       Probleme“, erklärt er – etwa wenn der Antrag dann erst später gestellt
       werden kann.
       
       So müssten an Arbeitnehmer*innen, die als Geringverdiener aufstockende
       Sozialhilfe beantragen wollen, absurde Fragen beantworten, „die man
       Deutschen nie stellen würde“, erklärte Laura Bastian, Sozialberaterin des
       Vereins für Rumänen. Am Ende würden Anträge von Rumänen meist abgelehnt,
       und erst nach Verweis auf die Gesetzeslage durch Amaro Foro angenommen.
       
       ## Racial Profiling
       
       Bastian zitierte aus einem Ablehnungsbescheid, in dem es hieß, die Arbeit
       sei nur aufgenommen worden, um Leistungen zu beantragen, denn „das
       Einkommen ist so gering, dass es offenkundig nicht zum Leben reicht“. Dies
       widerspreche nicht nur der Lebensrealität, „dass man trotz 40-Stunden-Job
       seine Familie nicht durchbringen kann“, so Bastian. Dieses Vorgehen sei
       zudem offenkundiges Racial Profiling. „Man hat den Eindruck, es wird alles
       dafür getan, dass die Menschen zurück gehen.“
       
       Diesen Eindruck habe er auch von der Polizei, erklärte Biplab Basu,
       Mitbegründer der Kampagne für Opfer von Polizeigewalt (KOP) bei der
       anschließenden Podiumsdiskussion über Antiziganismus bei der Polizei und
       das LADG. „Die Polizei ist dazu da, Sinti und Roma und andere zu
       kriminalisieren.“ Das werde trotz LADG so bleiben, befürchte er. Die
       Mehrheitsgesellschaft habe kein Problem mit Diskriminierungen, „gerade
       Sinti und Roma haben keine Lobby“. Vielfach höre er von Betroffenen, dass
       sich Umstehende bei Vorfällen „sogar freuen, wenn sie racial profiling
       sehen“. Zudem trauten sich viele Sinti und Roma nicht, sich gegen racial
       profiling zu wehren und etwa Anzeige gegen PolizistInnen zu erstatten.
       
       Dies hat auch Doris Liebscher, Leiterin der Ombudsstelle des LADG,
       festgestellt. Es kämen nur sehr wenige Beschwerden von Sinti und Roma bei
       ihrer Stelle an, was zeige, dass die Gruppe nur geringe „Beschwerdemacht“
       habe. Umso wichtiger seien Organisationen wie Amaro Foro, die
       Diskriminierungen dokumentieren und analysieren und mit der Ombudsstelle in
       Austausch stehen. Damit die „facettenreichen und intersektionalen
       Diskriminierungsrealitäten“ überhaupt erstmal erkannt werden.
       
       28 Jul 2021
       
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