URI: 
       # taz.de -- Strafverfolgung eines Linkenabgeordneten: Repression gegen Beobachter
       
       > Ein parlamentarischer Beobachter muss vor Gericht, weil er Klimaproteste
       > begleitet hat. Die Linke will nun die Rechte von Abgeordneten stärken
       
   IMG Bild: Beutin geriet ins Visier als Ende Gelände Teile von Datteln IV besetzte
       
       Hamburg taz | Für Demonstrant*innen kann es ein Schutz vor Repressionen
       sein, auch Journalist*innen können von der Anwesenheit
       parlamentarischer Beobachter*innen profitieren. Abgeordnete des
       Bundestags oder von Landtagen begleiten immer wieder Protestaktionen, um
       zwischen Polizist*innen und Demonstrant*innen zu vermitteln,
       mögliches Fehlverhalten der Ordnungskräfte zu dokumentieren oder zu
       unterbinden.
       
       Aber nicht immer klappt das – manchmal geraten die
       Parlamentarier*innen selbst ins Visier der Sicherheitsbehörden. Dem
       schleswig-holsteinischen Bundestagsabgeordneten Lorenz Gösta Beutin, in der
       Linksfraktion zuständig für Energie- und Klimapolitik, entzog der Bundestag
       im März die Immunität, weil Beutin im Februar 2020 eine Protestaktion am
       [1][Kohlekraftwerk Datteln 4 in Nordrhein-Westfalen] begleitet hatte.
       
       Die Betreiberfirma des Kraftwerks, Uniper, zeigte ihn und 102 andere
       Personen, die das Gelände betreten hatten, wegen Hausfriedensbruchs an.
       „Aktionen, die die Sicherheit unserer Mitarbeiter oder die
       Funktionsfähigkeit unserer Anlagen gefährden, können wir nicht hinnehmen“,
       sagt ein Sprecher des Unternehmens der taz. Am 12. August muss Beutin sich
       deshalb in Recklinghausen vor Gericht verantworten.
       
       Für den Abgeordneten Beutin ist das ein klarer Versuch, Klimaproteste zu
       kriminalisieren, mitsamt den Beobachter*innen. „Parlamentarische
       Beobachtung ist der gelebte Schutz des Grundgesetzes“, sagt Beutin. „Die
       Kontrolle der exekutiven Gewalt staatlicher Sicherheitskräfte ist eine
       Kernaufgabe des Parlaments.“
       
       ## Raus aus der Grauzone
       
       Der Abgeordnete sieht das Strafverfahren in einer Reihe mit anderen
       Einschnitten in die Versammlungsfreiheit, die gerade die Klimabewegung
       besonders hart treffen. Da sei zum einen [2][das in NRW geplante
       Versammlungsgesetz], das massive Einschnitte für Demonstrant*innen
       vorsieht. So soll nach den Plänen von Innenminister Herbert Reul (CDU) das
       Tragen uniformähnlicher Kleidung, wie auch die weißen Maleranzüge von
       Ende Gelände, verboten werden, ebenso Blockadetrainings vor
       Demonstrationen. Unter anderem Klimaschützer*innen, Jugendverbände,
       Gewerkschaften und Fußballfans kritisieren den Gesetzesentwurf.
       
       Mit der parlamentarischen Beobachtung habe er bislang noch nie Probleme
       gehabt, sagt Beutin. Das liege aber nicht an einer rechtlichen Regelung,
       sondern vielmehr an der Akzeptanz und dem Respekt, den er bei solchen
       Einsätzen von Demonstrant*innen und Polizist*innen erfahre.
       
       Oft hätten er und seine Kolleg*innen durch ihre Anwesenheit Situationen
       entschärfen und Eskalationen vermeiden können. Nun reiche das offenbar
       nicht mehr aus. Gemeinsam mit dem Bundesvorsitzenden der Linksfraktion,
       Dietmar Bartsch, fordert er eine rechtliche Stärkung der
       Parlamentarier*innen bei Demobegleitungen. Bislang befänden sich
       solche Einsätze in einer Grauzone.
       
       So dürfen Parlamentarier*innen zwar nicht in Gewahrsam genommen
       werden oder ihre Wohnungen und Büros durchsucht werden, solange sie
       Immunität genießen. Allerdings ist es ihnen auch nicht erlaubt, Maßnahmen
       wie Räumungen beiwohnen, wenn sich die Polizei dadurch eingeschränkt fühlt.
       
       ## Unwissen bei der Polizei
       
       Der Fall von Beutin stehe exemplarisch für die „ungerechtfertigte
       Kriminalisierung von Mandatsträger*innen in Bund, Land und auf
       kommunaler Ebene bei der Ausübung der parlamentarischen Beobachtung“,
       schreiben Bartsch und Beutin in ihrem Positionspapier. Oft wüssten
       Polizeibeamt*innen nicht, wie sie im Einsatz mit Abgeordneten zu
       verfahren hätten. Regierungen und Staatsanwaltschaften könnten die
       Unklarheit nutzen, um unliebsame Parlamentarier*innen zu
       kriminalisieren.
       
       Dabei gehe es den Linkenpolitikern nicht um Sonderrechte für Abgeordnete,
       sondern um „den Schutz vor unverhältnismäßiger Strafverfolgung von
       Volksvertreter*innen“. Sie fordern die Einrichtung einer
       Expert*innengruppe, die eine Gesetzesänderung zur Stärkung der
       parlamentarischen Beobachtung noch vor der Bundestagswahl erarbeiten soll.
       
       Aber auch auf der aktuellen Gesetzesgrundlage hätte die Staatsanwaltschaft
       von einer Anklage absehen müssen, findet Rechtsanwalt Alexander Hoffmann,
       der Beutin in dem Verfahren vertritt. „Als Parlamentarier muss es möglich
       sein, Massendemonstrationen zu beobachten“, sagte er der taz. Es sei schon
       auffällig, dass gerade in einer Zeit, in der die Klimabewegung so stark und
       relevant sei, auf mehreren Ebenen verschärft gegen sie vorgegangen werde.
       
       Das sieht der zuständige Bochumer Oberstaatsanwalt Paul Jansen anders. Von
       den 102 Anzeigen, die im Rahmen des Protests am Kraftwerk im Februar 2020
       eingegangen seien, habe man einen Großteil der Beschuldigten nicht
       identifizieren können, wie er der taz sagte. Die übrigen behandele man alle
       gleich.
       
       5 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Datteln-IV-geht-ans-Netz/!5688920
   DIR [2] /Demonstrationsfreiheit-in-NRW-gefaehrdet/!5779365
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Schipkowski
       
       ## TAGS
       
   DIR Parlament
   DIR Abgeordnete
   DIR Bundestag
   DIR Demonstrationen
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Datteln
   DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
   DIR Extinction Rebellion
   DIR IG
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Urteil zu Kohlekraftwerk Datteln IV: Klimakiller bleibt Schwarzbau
       
       Auch der aktuelle Bebauungsplan für Datteln IV ist unwirksam, urteilt das
       Oberverwaltungsgericht. Die Betriebsgenehmigung wackelt.
       
   DIR Schuldspruch gegen Linken-Abgeordneten: „Eine politische Agenda“
       
       Der wegen Hausfriedensbruchs verurteilte Linken-Politiker Lorenz Gösta
       Beutin fürchtet eine Kriminalisierung der Klimabewegung. Und er hat Fragen
       an Armin Laschet.
       
   DIR Mehr Schutz für Presse auf Demos: Debatte über Strafbarkeitslücke
       
       Hessens Justizministerin möchte, dass die gewaltlose Behinderung von
       Journalist:innen strafbar wird. Doch ihre Forderung ist politisch
       umstritten.
       
   DIR Anonymität von Aktivist:innen: Innenminister gegen Fingerkleberei
       
       Aktivist:innen verkleben bei Protesten ihre Fingerkuppen, um nicht
       identifiziert zu werden. Die Innenminister wollen dagegen nun vorgehen.
       
   DIR Jurist über Polizeieinsatz bei S-21-Demo: „Plötzlich kam ein Wasserwerfer“
       
       Am „Schwarzen Donnerstag“ vor 10 Jahren ging die Polizei hart gegen
       Stuttgart-21-Gegner vor. Dieter Reicherter geriet zufällig in den
       Gewaltausbruch.