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       # taz.de -- Blitzoffensive in Afghanistan: Taliban stehen vor Kabul
       
       > Die Taliban gewinnen an Land. Die Aufständischen kontrollieren jetzt 15
       > der 34 Provinzen. Auch auf die Hauptstadt rücken sie vor.
       
   IMG Bild: Kandahar am 12. August: Kämpfe zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften
       
       Berlin taz | Obwohl am Donnerstag mit [1][Kandahar und Herat] die zweit-
       und drittgrößte Stadt Afghanistans gefallen waren, ist die Eroberung der
       Provinz Logar am Freitag der bisher wichtigste Sieg für die Taliban. Der
       Vorstoß bringt sie an die Pforten der Hauptstadt Kabul. Die Aufständischen
       kontrollieren jetzt 15 der 34 Provinzen des Landes vollständig.
       
       Von großem Gewicht war zudem, dass sich am Freitag einer der wichtigsten
       Anti-Taliban-Warlords, Ismail Chan im westafghanischen Herat, den Taliban
       „anschloss“, wie diese behaupteten, oder ergeben musste, was
       wahrscheinlicher ist. Das US-Militär hatte zuletzt noch überlegt, auch an
       der Regierung von Präsident Aschraf Ghani vorbei Milizen wie die von Ismail
       Chan zu bewaffnen.
       
       Doch die Zeit hat diese Idee schnell überholt. Ein weiterer Warlord, Atta
       Muhammad, der für sich die Führerschaft über die Tadschiken und deren
       wichtigste Partei Dschamiat-i Islami in Anspruch nimmt, ist seit Tagen
       abgetaucht.
       
       Wie in vielen Landesteilen gab es auch in der Provinz Logar nicht mehr viel
       zu erobern, denn die Taliban beherrschen dort seit Jahren fast alle
       ländlichen Gebiete. Die Kontrolle über Logar gehört zur
       „Einschließungsstrategie der Taliban für Kabul für den Fall des Abzugs der
       westlichen Truppen“, wie ein hoher früherer Regierungsbeamter in Kabul der
       taz bereits im Juli 2020 sagte.
       
       Zur Schwäche der Regierung trugen in Logar die Inkompetenz hoher
       Offizieller, die mangelhafte Koordination der bewaffneten Regierungskräfte,
       Ablenkung durch den Kampf um Kontrolle örtlicher Schmuggelrouten für Drogen
       und Chromerz sowie Drangsalierung der örtlichen Bevölkerung durch
       Sicherheitskräfte bei – bei resilienten örtlichen Talibanstrukturen.
       
       ## Kabul ist eingezingelt
       
       Auch im Südwesten der Hauptstadt sieht die Lage in der Provinz Maidan
       Wardak nicht anders aus, außer dass die Provinzhauptstadt Maidanschahr
       formal noch unter Regierungskontrolle ist. Im Osten eroberten die Taliban
       schon Mitte Juli [2][große Teile der Provinz Laghman]. Von dort aus können
       sie die Verbindungsstraße von Kabul über Dschalalabad nach Pakistan
       bedrohen. Neben dem einstigen Bundeswehrstandort Masar-i-Scharif und der
       Hauptstadt Kabul ist Dschalalabad die einzige Großstadt, die noch in den
       Händen der Regierung ist.
       
       Im Norden Kabuls beherrschen die Taliban das Ghorband-Tal, eine wichtige
       Verbindungsstraße ins zentralafghanische Hasaradschat, wo die schiitische
       Bevölkerungsgruppe der Hasaras sich wegen mehrerer Talibanmassaker vor 2001
       besonders vor deren Rückkehr fürchtet. Im Juli richteten sie laut
       afghanischer Menschenrechtskommission im Hasara-Distrikt Malestan
       mindestens 19 gefangene Regierungssoldaten sowie eine unbekannte Zahl
       unbeteiligter Zivilist:innen hin.
       
       In Teilen Hasaradschats gelang es den Hasaras mit selbst aufgestellten
       Milizen und kleinen Armee-Kontingenten zuletzt noch, Talibanvorstöße
       abzuwehren. Ein Hasara-Vertreter schrieb an eine deutsche Organisation, die
       dort Schulprojekte unterstützt: „Wo sollen wir hin? Auf dem Weg nach Europa
       werden wir von Schleppern um unser letztes Geld gebracht. Dort angekommen,
       lassen sie uns vor den Toren verrecken. Besser ist also, zu bleiben und zu
       Hause zu sterben“.
       
       Die Taliban verfügen auch über Positionen in stadtnahen Gebieten um Kabul.
       Sie ziehen also ihren Ring um die Stadt zu. Selbst in der Stadt sind sie
       präsent. In Vororten verteilten sie im Frühjahr Flugblätter, man möge sich
       nicht fürchten.
       
       Gleichzeitig forderten sie Mitglieder der Regierungsstreitkräfte auf,
       entweder diese oder ihre Dörfer zu verlassen, ansonsten drohe der Tod. Dem
       verliehen sie mit Attentaten Nachdruck. Gemeindeältesten untersagten sie,
       den Distrikt zu verlassen, um Regierungskontakte zu unterbinden. Bewohner
       Kabuls berichteten der taz von Späherpatrouillen im ebenfalls größtenteils
       von Hasaras bewohnten Westen Kabuls.
       
       ## Evakuierung von Nicht-Afghan:innen
       
       Derweil evakuieren westliche Botschaften ihre nichtafghanischen
       Mitarbeiter:innen. Die Regierungen in Washington und London teilten
       das offiziell mit. Die USA senden 3.000 zusätzliche Soldat:innen, die den
       Flughafen von Kabul dafür sichern sollen.
       
       Die deutsche Bundesregierung scheint ihre ohnehin fadenscheinigen
       Bemühungen um ein Ausfliegen ihrer afghanischen Ortskräfte weitgehend
       eingestellt zu haben. Auf eine Grünen-Anfrage antwortete das
       Innenministerium, von der US-Aktion habe man Kenntnis, arbeite aber
       „unabhängig davon“. Dabei fehlen der Bundesregierung dafür die Kapazitäten.
       Schon die letzten Bundeswehrsoldaten wurden im Juni teilweise mit
       US-Maschinen evakuiert.
       
       13 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
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