URI: 
       # taz.de -- Mehrwegverpackungen für Online-Handel: Das Paket der Zukunft?
       
       > Der Verpackungsmüll nimmt zu, Tchibo, Otto und Avocadostore testen
       > deshalb Mehrwegversandtaschen. Über die Tücken einer neuen Öko-Idee.
       
   IMG Bild: Nach dem Auspacken landet die Verpackung im Müll – noch
       
       Berlin taz | Eine Jogginghose fürs Homeoffice, eine Lampe für mehr
       Gemütlichkeit im Wohnzimmer, ein Buch? Im Internet ist das fix bestellt, in
       Karton, Papier, Pappe, Plastiktüte kommt es heile an. Aufreißen, Verpackung
       in die Mülltonne stopfen. Wie praktisch. Das Problem: Der Verbrauch von
       Versandverpackungen in Deutschland ist laut Umweltbundesamt innerhalb von
       zwanzig Jahren um gut 600 Prozent gestiegen – rund 850.000 Tonnen fallen
       mittlerweile in einem Jahr an. Coronazeiten, in denen Geschäfte dicht
       haben, der Onlinehandel boomt, sind da noch gar nicht eingerechnet. Lässt
       sich verhindern, dass die Mülltonnen überquellen?
       
       Die Onlineshops von Tchibo, Otto und Avocadostore haben getestet, ob mit
       Verpackungen funktioniert, was mit den Bechern für Coffee-to-go geht:
       [1][Mehrweg.] Erstes Ergebnis: Die Sache hat Haken, obwohl die Idee
       bestechend einfach wirkt.
       
       Alles hat 2013 begonnen. Der finnische Designer Juha Mäkelä arbeitet für
       ein Projekt mit der finnischen Post zusammen, sieht die [2][Berge an
       Paketen und Verpackungsmüll,] fragt sich: Warum lassen sich Verpackungen
       nicht zurückgeben wie Pfandflaschen? Er überzeugt zwei Kollegen, sie
       gründen Repack.
       
       So gibt es nun eine Verpackung, die aussieht wie ein überdimensionierter
       Briefumschlag, recycelter Kunststoff, ein schwarzer Klettverschluss, in
       drei verschiedenen Farben – gelb, schwarz, weiß – und Größen. Der Kunde
       faltet die Tasche auf normales Briefformat zusammen, hat er sein
       Kleidungsstück, Elektroteil oder Buch bekommen, klebt ein Rücksendeetikett
       auf, steckt sie in den Briefkasten oder liefert sie beim Paketversand ab.
       Dann geht sie Retour zum Hersteller. Theoretisch lässt sie sich bis zu
       zwanzigmal wiederverwenden, ohne kaputtzugehen.
       
       ## Extraanfertigung für Möbel
       
       Kleinere Firmen, bei denen Öko zum Geschäftsmodell gehört, stellen bereits
       auf Mehrweg um. Es liegt im Trend. Andere sind schon länger dabei. Die Memo
       AG, ein Fachhändler für nachhaltigen Bürobedarf aus dem bayerischen
       Greußenheim, zum Beispiel liefert seinen Kunden Waren in einer grünen,
       stabilen Mehrwegbox aus Recyclingkunststoff, der Onlineshop Fairfox bietet
       die graue „Foxbox“ an. Selbst Sperriges wird schon in Mehrweg verpackt.
       
       Kiezbett, ein Berliner Unternehmen für nachhaltig produzierte Schlafmöbel,
       hat seine Betten so designt, dass sie sich für den Transport in Einzelteile
       zerlegen lassen, und liefert sie nun in robusten, länglichen Taschen aus
       Recyclingkunststoff aus – eine Extraanfertigung von Repack. In Berlin
       werden sie von Lastenradlern transportiert, die die Verpackung zumeist
       wieder direkt mit zurücknehmen. Kunden außerhalb Berlins müssen die Taschen
       zurückschicken und bekommen dann 80 Euro Pfand zurück. Nur im großen Stil?
       Da ist alles anders, schwieriger.
       
       Till Zimmermann begleitet als Wissenschaftler den Mehrweg-Probelauf, den
       Avocadostore mit 2.000 Repack-Taschen, Otto mit 4.000 und Tchibo mit 7.500
       gemacht haben. Die erste Testphase fand im vergangenen Jahr von August bis
       Oktober statt. Die Unternehmen schicken derzeit wieder alles in Einweg,
       während Zimmermann, der bei der Hamburger Umweltberatung Ökopol arbeitet,
       mit seinen Kolleginnen und Kollegen die Erfahrungen auswertet.
       
       Die Ökobilanz im Vergleich zum klassischen Pappkarton oder Plastikbeutel?
       Im Test wurden die Taschen in Estland gesäubert, bevor sie wieder neu
       verteilt wurden. „Das ist günstiger als sie in Deutschland zu reinigen“,
       erklärt Zimmermann. Die langen Wege kosten jedoch Energie und erhöhen damit
       den CO2-Ausstoß. Das heißt, so Zimmermann: „Mehrwegverpackungen sind
       frühestens dann ökologischer, wenn sie zwei bis sieben Umläufe gemacht
       haben, je nachdem was für eine Einwegverpackung sie ersetzen.“
       
       ## Die Verpackung zurückschicken? Ungewohnt
       
       Allerdings schickten nicht alle Kunden die Verpackung zurück – bislang
       waren es nur 75 Prozent. Das ist nicht schlecht, reicht aber nicht für die
       gute Umweltbilanz. „Dafür brauchen wir Rücklaufquoten von 80 bis 90
       Prozent“, sagt Zimmermann. Mancher habe die Mehrwegtasche womöglich aus
       Versehen in den Müll geworfen, die Bitte um Rücksendung übersehen. Bei
       Avocadostore mussten die Kunden Mehrweg bewusst gegen einen Aufpreis von
       3,95 Euro buchen. Bei Tchibo und Otto wurden sie aber zufällig ausgesucht,
       also überrascht.
       
       Und niemand ist daran gewöhnt, die Verpackung zurückzuschicken. Vielleicht
       erschien es ihnen aber auch einfach zu umständlich. Oder die Verpackung war
       zu schön. „Das darf sie auch nicht sein“, sagt Zimmermann. Kunden nutzten
       sie dann womöglich als Tasche für den Laptop, anstatt sie zurückzusenden.
       Nur: Auch Versandtaschen seien eine Visitenkarte des Unternehmens. Ganz
       ohne Design geht es auch nicht. Die Sache ist kompliziert.
       
       Entscheidender ist aber wohl ein anderes Problem: die Kosten. Pro
       Versandtasche lägen sie bei zwei bis drei Euro, plus Aufwand für den
       Onlinehändler selbst. Der müsse zum Beispiel eine extra Software einbauen,
       die erkennt, welche Repack-Tütengröße die Richtige für eine Bestellung ist,
       so der Forscher. In dem umkämpften Onlinemarkt zähle aber jeder Cent, der
       Kunde gehe sonst schnell zur Konkurrenz.
       
       Wie sieht dann das Paket der Zukunft aus? Onlineshops nutzten schon heute
       recyceltes Material für ihre Kartons und Tüten, sagt Zimmermann. „Erreicht
       der Anteil 100 Prozent, wäre das ein Schritt.“ Wer aber einen großen
       Schritt machen wolle, komme an Mehrweg nicht vorbei, müsse dann aber in
       Deutschland „das gesamte System“ aufbauen, den Kreislauf von Verpacken,
       Säubern, Neuverteilen. Und das zu einem Preis, der niemanden aus dem
       Wettbewerb katapultiere.
       
       Zimmermann sieht „für den Einsatz von Mehrweg in der Breite noch große
       Hindernisse, [3][außer die Politik greift ein] und verpflichtet die
       Onlinehändler neben Einwegtüte oder -karton immer auch das Mehrwegpendant
       anzubieten“. Das sei dann ähnlich wie in Restaurants, Cafés und
       Supermärkten, die ab 2023 für Essen und Getränke zum Mitnehmen immer auch
       die Mehrwegalternative haben müssen.
       
       28 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Coronakrise-und-Verpackungsmuell/!5677834
   DIR [2] /Neuer-Bericht-ueber-Muell-bei-Amazon/!5739360
   DIR [3] /Zunehmender-Verpackungsmuell/!5788545
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hanna Gersmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Verpackungen
   DIR Versandhandel
   DIR Müll
   DIR Plastik
   DIR Mehrweg
   DIR Pfand
   DIR Nachhaltigkeit
   DIR Plastikmüll
   DIR Verpackungen
   DIR Müll
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neuer Vorstand beim BNW: Für eine andere Arbeitswelt
       
       Sandra Wolf und Antje von Dewitz sind die neuen Spitzen des Verbandes
       Nachhaltige Wirtschaft. Sie schauen in ihren Firmen nicht nur auf Ökologie.
       
   DIR Zunehmender Verpackungsmüll: Erste Städte planen Plastiksteuer
       
       Einwegplastik verbieten, Mehrweg fördern: Kommunen versuchen,
       Verpackungsmüll zu verringern, so eine Umfrage der Deutschen Umwelthilfe.
       
   DIR Verpackungsmüll im Kabinett: Groko kämpft mit Müllberg
       
       Mit einer Quote für Recycling-Material und einer erweiterten Pfandpflicht
       will die Bundesregierung den steigenden Verpackungsmülls bändigen.
       
   DIR Neues Gesetz gegen Verpackungsmüll: Mehr Verantwortung für Amazon
       
       Das Umweltministerium will den Onlinehandel stärker an den Kosten der
       Müllentsorgung beteiligen und die Pfandflicht ausweiten.