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       # taz.de -- Skulpturenpark Schlossgut Schwante: Landpartie in Brandenburg
       
       > Obstbäume, Ponys, ein altes Backsteingebäude mit Restaurant und Hofladen
       > – und ein Skulpturenpark mit Kunst, die einen diskursiven Raum eröffnet.
       
   IMG Bild: Installationsansicht: Bettina Allamoda, „Outdoor Wrap“, 2018/2021
       
       Auf dem Weg hinaus aus Berlin, zum 25 Kilometer nordöstlich gelegenen
       Skulpturenpark des Schlossguts Schwante, kann man sich mit Grenzen
       beschäftigen: den Grenzen zwischen Stadt und Land, Zivilisation und Natur,
       Öffentlichem und Privatem. Fuhr man gerade noch vorbei an Lagerhallen und
       Windrädern, eröffnet sich nach dem Abbiegen in Schwante eine unerwartete
       Idylle.
       
       Eine Allee führt auf das Gutshaus zu, dessen Entwurf Knobelsdorff
       zugeschrieben wird, dem großen Baumeister des Friderizianischen Rokoko. Da
       sind Obstbäume, Ponys, ein altes Backsteingebäude mit Restaurant und
       Hofladen. In Pandemie- und Krisenzeiten, in denen die AFD mit dem Slogan
       „Deutschland. Aber normal“ wirbt, triggert dieser pastorale Anblick
       Sehnsucht nach einer heileren Welt.
       
       Für Städter sowieso ist die Fahrt hinaus aufs Land oft so etwas wie eine
       Rückkehr, nicht nur zur Natur, sondern auch zu einer idealisierten
       Vergangenheit, in der alles noch seinen Platz hatte, wusste, wo es
       hingehört, Mensch, Pflanze, Tier. Natürlich soll dieser „Gutshof
       1900“-Traum nur ein paar Stunden dauern. Er soll auch nicht wilhelminisch
       spröde und nüchtern aussehen, sondern freundlicher, inklusiver – aufgepimpt
       mit Molkeschwein, Marmelade, Kunst und Natur.
       
       ## Eine Landlust-Geschichte wäre schnell erzählt
       
       [1][Auch Schloss Schwante mit seinem Park] könnte die Folie für solche
       Verklärungen bieten. Die Landlust-Geschichte wäre schnell erzählt: Ein
       Berliner Kunstunternehmerpaar, die ehemalige Richterin Loretta Würtenberger
       und Daniel Tümpel, ehemaliger Investmentbanker und Enkel eines renommierten
       Bauhaus-Künstlers, kaufen 2019 das Gut. Sie richten es her, ziehen mit
       ihrer Familie in das Herrenhaus.
       
       Sie nutzen ihre internationalen Verbindungen, um im Park einen
       High-End-Skulpturengarten zu etablieren. Sie bringen Werke berühmter
       Künstler nach Schwante und eröffnen 2020 die heutige Version eines
       englischen Gartens, in dem statt künstlichen Ruinen und Grotten Skulpturen
       von Hans Arp oder Tony Cragg stehen. Ein Ort, an dem Professionals und
       sonst gestresste Großstädter zu kontemplativer Ruhe und Schönheit finden.
       
       Doch diese Story wäre zu einfach. Das zeigt sich jetzt, im zweiten Jahr, in
       dem die Ausstellung nochmals um sieben neue Werke erweitert wurde. Damit
       ist fast die Hälfte der Positionen im Park weiblich – eine Revolution im
       hiesigen Kunstbetrieb. Zugleich wissen die Macher, dass der ländliche Raum
       in radikalem Umbruch begriffen ist. Durch Verdrängung aus der Stadt
       entstehen hier neue Formen des Zusammenlebens und der Gentrifizierung, ein
       neuer diskursiver Raum. Es geht um Grenzen. Das reflektiert die Ausstellung
       – aber auch schon der Park selbst.
       
       ## Die Idee des Landschaftsgartens austesten
       
       „Als der Mensch sesshaft wurde“, schreibt Jakob Augstein in seinem Buch
       „Die Tage des Gärtners“, „hat er als erstes einen Garten angelegt. Und als
       er das tat, hat er eine Grenze gezogen.“ Jeder eingehegte Garten grenzt
       immer etwas ein und, ähnlich wie beim Rahmen eines Kunstwerks, zugleich
       etwas aus. Das drinnen ist Kunst, das draußen das profane Leben. Jeder
       „englische Garten“, ganz gleich wie natürlich er erscheint, ist das
       Ergebnis des Kampfes gegen die chaotische Natur, gegen das Unberechenbare,
       des Ringens um Herrschaft, Kontrolle und Ordnung.
       
       Würtenberger und Tümpel hätten es sich gemütlich machen können und nur
       Blue-Chip-Skulpturen wie Angela Bullochs etwas langweilige Rauten-Stehle
       oder die wunderschön archaischen „Sitting Figures“ (1989) des britischen
       Nachkriegsmodernen Lynn Chadwick aufstellen können.
       
       Doch das eigentlich Fantastische an diesem präzise kuratierten Park ist,
       dass die Macher wirklich etwas geschehen lassen, die Idee des
       Landschaftsgartens an die Grenze treiben. Kiki Smith’ feministische
       Scheiterhaufen-Skulptur „Moon on Crutches Figure 3“ (2002) wäre im White
       Cube nicht der Knaller. In Korrespondenz mit dem Unterholz und dem
       schnöden, aber harten Wildzaun, wird sie magisch, die brutale Unterwerfung
       der Natur und des Weiblichen spürbar.
       
       ## Positionen, die vom Kontrollverlust sprechen
       
       Da sind Positionen, die von Kontrollverlust, vom Ende künden. Etwa Toby
       Zieglers Skulptur „Slave“, für die Elemente einer Skulptur von Henri
       Matisse und Michelangelos Sterbendem Sklaven (1516) digital zusammen
       geklont wurden, wie von Aliens in einem Sci-Fi-Horrorfilm. Maria Lobodas
       mit künstlichem Moos versehene Version einer Hans-Arp-Skulptur, die sie als
       Auftragsarbeit im Tümpel versenkt hat, steht vergessen und schief in der
       Grütze, als wäre der moderne Mensch ausgestorben, mit ihm sein Bewusstsein
       und die Ideen von Besitz und Repräsentation.
       
       Zu Recht an einer zentralen Stelle, auf dem Rasen eines ehemaligen
       Bolzplatzes, steht Bettina Allamodas Skulptur „Outdoor Wrap“ (2018/2021),
       für die 25 Meter mit spiegelnd-irisierendem Metallic-Pailletten besetzter
       Stretch-Stoff um ein blaues Gerüst verspannt wurden. Diese Baugerüstteile
       werden auch in der römischen Filmstadt Cinecittà eingesetzt, um Kulissen
       für Western und Monumentalfilme zu stützen.
       
       Der Paillettenstoff nimmt Farben und Lichtreflexe der Umgebung auf,
       spiegelt Bewegungen und Wetterstimmungen wider. Die minimalistische
       Konstruktion lässt an Spielplatz-Klettergestänge, Zirkuszelte, die
       grandiosen Stoffe in Sixties-Kostümfilmen denken – an den Glamour und die
       einfachen Freuden der Massenkultur. Zugleich hat die Kombination von Stoff
       und Stahl etwas Brutales, die Assoziation von Barrieren und Bondage, der
       Disziplinierung von Körpern.
       
       Hier nimmt Allamodas Skulptur Kontakt mit Dan Grahams Glaspavillon auf, der
       auf englische Gärten, aber auch auf Kontrolle und Überwachung anspielt, die
       Frage, wer hier wen beobachtet, was drinnen und draußen ist. Allamodas
       Skulptur ist antimonumental. Sie wirkt industriell und kulissenhaft und
       macht auch die Kulissenhaftigkeit des Schlossgartens deutlich, das
       romantisierende Bild, das wir uns von feudalen Zuständen machen. Allein
       schon, dass man hier solche komplexen Interventionen riskiert, macht den
       Skulpturenpark zum Erlebnis.
       
       10 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Neuer-Skulpturenpark-in-Brandenburg/!5692695
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Oliver Koerner von Gustorf
       
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