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       # taz.de -- Kosten von Klimapolitik: Arme zahlen drauf
       
       > Im Wahlkampf wollen plötzlich alle Klimaschutz. Bisher finanzieren den
       > allerdings eher die kleinen Einkommen. Dabei ginge es gerechter.
       
   IMG Bild: Ladestation für Autos von Tesla, die werden hoch subventioniert und sind trotzdem für viele zu teuer
       
       Überraschend war die schlechte Nachricht nicht: Deutschland werde 2021 sein
       Klimaziel um etwa 47 Millionen Tonnen CO2 überschreiten, warnte am Montag
       eine Studie des Thinktanks Agora Energiewende. Eine neue Bundesregierung
       muss schnell gegensteuern. Und am schnellsten geht das über einen höheren
       CO2-Preis fürs Tanken und Heizen.
       
       Da aber entdecken plötzlich viele ihre angebliche soziale Ader: FDP-Chef
       Lindner warnte im Juni mit falschen Rechnungen vor hohen Belastungen, als
       die Grünen einen höheren CO2-Preis forderten. CSU-Verkehrsminister Andreas
       Scheuer sprach von „Preisen, die immer weiter nach oben gehen“.
       
       Finanzminister Olaf Scholz warf den Grünen vor, sie zeigten, „wie egal
       ihnen die Nöte der Bürgerinnen und Bürger sind“, die Linke sprach von der
       Spaltung der Gesellschaft durch hohe Energiepreise. Meist wird dann die
       Sorge um die „ungedämmte Pendlerin“ beschworen: also um Menschen, die zu
       Hause viel Geld fürs Heizen zahlen und weit zur Arbeit pendeln müssen.
       
       Was ist dran an den Vorwürfen? Die Frage ist eines der heißesten Eisen der
       Klimapolitik. Denn bislang betreibt Deutschland tatsächlich häufig
       Klimaschutz auf Kosten der Armen. Aber es ginge auch anders.
       
       ## Wie unsozial ist der neue CO2-Preis?
       
       Seit 2021 kostet jede Tonne CO2 beim Heizen und Tanken in Deutschland 25
       Euro. Im Schnitt bedeutete das für jeden Haushalt 10 Euro Mehrkosten
       monatlich. Der Staat nimmt damit etwa 7,4 Milliarden Euro ein. Das Geld
       fließt indirekt an die BürgerInnen zurück: Als Subventionen beim Austausch
       von Ölheizungen, für den Aufbau von E-Ladesäulen, für billigere
       Bahntickets, einen stabilen Strompreis und eine höhere Pendlerpauschale.
       Weil aber alle gleich zahlen, werden finanziell schwache Haushalte
       prozentual höher belastet.
       
       Dabei könnte das auch ganz anders sein. Der Thinktank Mercator Institute on
       [1][Global Commons and Climate Change (MCC) hat durchgerechnet,] welche
       Entlastung 2022 für einen CO2-Preis von 50 Euro (geplant sind bisher nur 35
       Euro) für welche Haushalte wirken würde – und gleich noch einen
       [2][Internetrechner für den Selbstversuch hinzugefügt.] Wie könnte die
       Belastung gerecht ausgeglichen werden? Es gibt fünf Wege: höhere
       Heizkostenzuschüsse für Sozialhilfe-Empfänger; dann durch eine
       Verpflichtung der Vermieter, 50 Prozent der erhöhten Heizkosten zu tragen;
       drittens über eine Senkung des Strompreises oder eine Erhöhung der
       Pendlerpauschale und schließlich als direkte Rückzahlung pro Haushalt in
       Form einer „Klimadividende“.
       
       Das Ergebnis zeigt, dass effizienter Klimaschutz auch gerecht sein könnte:
       „Bei einer gezielten Rückverteilung würden die Ärmsten nicht
       benachteiligt“, bilanziert die Studie, „das genaue Gegenteil ist richtig.“
       Bei der Klimadividende käme demnach das ärmste Fünftel der Haushalte am
       besten weg, am Ende bekämen diese mehr zurück als sie über den CO2-Preis
       zahlen. Reiche Haushalte mit hohem CO2-Ausstoß dagegen zahlen drauf,
       mittlere Einkommen landen etwa bei einer grünen Null. Zu einem ganz
       ähnlichen [3][Ergebnis kam bereits 2019 eine Studie des Öko-Instituts.]
       
       Besonders wirksam für einen sozialen Ausgleich ist nach den
       MCC-Berechnungen die Kombination von verschiedenen Möglichkeiten des
       Ausgleichs: Die Klimadividende plus Pendlerpauschale und Härtefallregelung
       für MieterInnen mit einer Ölheizung würde die Armen davor bewahren, für den
       Klimaschutz draufzuzahlen. Die Daten der Studie legen aber auch nahe, dass
       es die „ungedämmte Pendlerin“ mit Ölheizung, von der in der Politik oft die
       Rede ist, nur sehr selten gibt: „Selbst wenn man die Grenze bereits bei 20
       Kilometer Anfahrtsweg zur Arbeit ansetzt, betrifft das im ärmsten Fünftel
       nur rund 120.000 Haushalte“, sagt MCC-Forscherin Christina Roolfs, die an
       der Studie beteiligt war. „Für diejenigen, die hier besonders getroffen
       werden, könnte man sicherlich eine sinnvolle Härtefallregelung entwickeln.“
       
       Die Studie will mit vier „verbreiteten Irrtümern zum CO2-Preis“ aufräumen:
       Billiger Strom bringe den Armen nichts – falsch, sagt die Studie, die
       Ausgaben für elektrische Geräte machen bei ihnen prozentual mehr aus als
       bei Reichen. Auch sei die Fernpendlerpauschale anders als oft behauptet
       keineswegs „entscheidend für die Landbevölkerung“: Die bisherige Regelung
       bevorzuge Reiche, die weiter fahren und in größeren Häusern mehr heizen als
       Geringverdiener.
       
       Ein weiterer Irrtum sei, dass die Klimadividende „vor allem die obere
       Mittelschicht entlastet“ – im Gegenteil nütze sie den Armen am meisten,
       weil diese kleinere Wohnungen und Autos mit geringerem Verbrauch besitzen.
       [4][Ähnlich hatte auch schon die DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert
       argumentiert]: „Haushalte mit niedrigen Einkommen würden in der Regel
       bessergestellt, weil bei ihnen die Prämie die Steuerbelastungen
       überstiege.“
       
       ## Wie teuer macht Klimaschutz das Wohnen?
       
       Die MCC-Studie widerspricht auch der These der SPD im Wahlkampf, dass vor
       allem die Teilung der gestiegenen Heizkosten zwischen Mieter und Vermieter
       „entscheidend für eine sozial ausgewogene Energiewende“ sei – was die Union
       blockiert. Weil bei dieser Rechnung nicht der Anstieg beim Tanken
       berücksichtigt wird, sei die Entlastung für arme Haushalte „nur moderat“,
       heißt es in der Studie.
       
       Tatsächlich lauern für Mieter in nichtsanierten Häusern auf Dauer hohe
       Kosten, sagt Melanie Weber-Moritz, Bundesdirektorin des Deutschen
       Mieterbunds (DMB). „Wir müssen die Sanierungsraten verdoppeln und die
       schlechtesten Wohnungen kommen dabei zuerst dran – das trifft aber
       potenziell die schwächsten Haushalte.“ Wer da soziale Härten verhindern
       wolle, müsse die erlaubte Umlegung von 8 Prozent der Modernisierungskosten
       auf die Miete auf „höchstens 4 Prozent“ reduzieren, sagt Weber-Moritz.
       
       Der DMB schlägt vor, die Sanierungskosten sollten sich Mieter, Vermieter
       und Staat zu jeweils einem Drittel teilen. Im Idealfall sollen die
       eingesparten Heizkosten den höheren Preis pro Quadratmeter ausgleichen, die
       Kosten also nicht steigen. Bei den höheren Heizkosten durch den neuen
       CO2-Preis solle nicht wie bisher allein der Mieter zur Kasse gebeten
       werden, sondern diese sollten allein vom Vermieter getragen werden: „Nur
       der Vermieter entscheidet doch, welche Heizung eingebaut wird.“ Andere
       Experten widersprechen: Wie der Mieter heizt, habe großen Einfluss auf
       seine Rechnung.
       
       ## EEG: Arme finanzieren Reiche
       
       Eine andere soziale Schieflage beim Klimaschutz liegt im Erfolgsmodell der
       Energiewende begründet: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz garantiert Bau und
       Vergütung von Ökoenergieanlagen, vor allem aus Wind, Sonne und Biomasse.
       Aber das wird nicht durch eine Steuer, sondern die EEG-Umlage finanziert,
       die auf jede Kilowattstunde aufgeschlagen wird, derzeit etwa 6,5 Cent. Ein
       Haushalt mit einem Verbrauch von 4.000 Kilowattstunden Strom zahlt dafür im
       Jahr etwa 260 Euro mehr.
       
       Profitiert von der Umlage haben das Weltklima – und die Investoren. Weil
       alle privaten Haushalte die gleiche Umlage zahlen, egal, wie arm oder reich
       sie sind, werden Arme höher belastet. Drastisch gesagt: Die Kassiererin im
       Supermarkt finanziert über ihren Strompreis dem Zahnarzt seine lukrative
       Investition in den Windpark.
       
       Eine Steuerfinanzierung (Reiche zahlen mehr) wäre gerechter gewesen, aber
       hätte wohl den schnellen Ausbau der Ökoenergien verhindert. „Eine
       Steuerfinanzierung wäre wahrscheinlich an den EU-Regeln zu staatlichen
       Beihilfen gescheitert“, sagt Carolin Schenuit, geschäftsführende Vorständin
       beim Forum Ökologisch-soziale Marktwirtschaft (FÖS). Sie gibt zu, dass die
       Finanzierung des EEG eine leichte soziale Schieflage hat, sieht aber keine
       Alternative. Dazukomme: „Mit einem Steuermodell hätte jede neue Regierung
       das Fördersystem wieder ausbremsen können.“ Und Klimaschutz nütze besonders
       den Armen, weil sie verwundbarer seien. „Die wirkliche soziale Schieflage
       ist aber die Entlastung der Industrie von der EEG-Umlage. Diese macht mehr
       als 20 Prozent des gesamten Fördervolumens aus“, so Schenuit.
       
       Ein ähnliches Gerechtigkeitsproblem zeigt sich gerade beim Ausbau der
       E-Mobilität: Durch Subventionen und Steuervorteile werden E-Autos und ihre
       Infrastruktur mit vielen Milliarden unterstützt. Das aber komme vor allem
       den Wohlhabenden zugute, es [5][gebe da eine „erhebliche soziale
       Schieflage“, moniert ein Bericht des Thinktanks Deutsche Bank Research.]
       
       ## Das Gleiche in Grün: E-Mobilität
       
       Carolin Schenuit kritisiert, dass die öffentlichen Ausgaben auch für eine
       mögliche Verkehrswende „zu stark für die Auto-Mobilität ausgerichtet sind,
       da fehlt die Balance“. Öffentliche Zuschüsse förderten Privat-Pkw „ohne
       ausreichend zu unterscheiden zwischen klimaneutralen Elektrofahrzeugen und
       klimafeindlichen Plug-in-Hybriden“. Die Investitionen müssten sich auf
       Schiene, Bus, Rad- und Fußverkehr sowie Ladesäulen konzentrieren.
       
       Die soziale Schieflage beim Klimaschutz wollen die potenziellen
       Regierungsparteien ganz unterschiedlich beseitigen. Alle wollen die
       EEG-Umlage abschaffen oder senken und durch Steuerfinanzierung ersetzen.
       Die Union drängt auf die Pendlerpauschale und blockiert bei der Entlastung
       der Mieter, sie hält nichts von einer Klimadividende. Die wird zwar von der
       SPD gefordert, ist aber in der Partei umstritten und verschwindet hinter
       den Forderungen nach einer Lösung für die Mieter.
       
       Die Grünen setzen auf eine Klimadividende, die Geld direkt zurückzahlt –
       was bürokratisch schwierig ist. Die FDP wiederum fordert, langfristig alle
       CO2-Kosten über den EU-Emissionshandel zu regeln – was nach Rechnung von
       Experten zu Kosten von über 250 Euro für die Tonne CO2 führen könnte.
       
       Die ExpertInnen vom MCC jedenfalls hoffen, dass ihre Zahlen und
       Berechnungen die aufgeregte Debatte um Klimagerechtigkeit versachlicht. Sie
       wollen ihr Modell eines CO2-Preises vom Vorwurf des neoliberalen
       Folterinstruments befreien.
       
       „Eine sozial gerechte CO2-Bepreisung auch mit perspektivisch hohen Preisen
       jenseits der 100 Euro“, heißt es beschwörend am Ende der Studie, „ist
       möglich und nötig.“
       
       22 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://docplayer.org/212862893-Co-2-bepreisung-mehr-klimaschutz-mit-mehr-gerechtigkeit-mcc-arbeitspapier.html
   DIR [2] https://www.mcc-berlin.net/news/meldungen/meldungen-detail/article/mcc-bringt-online-rechner-zu-co2-bepreisung-mit-sozialem-ausgleich.html
   DIR [3] https://www.oeko.de/publikationen/p-details/klimaschutz-auf-kurs-bringen-wie-eine-co2-bepreisung-sozial-ausgewogen-wirkt
   DIR [4] https://www.energiezukunft.eu/meinung/die-meinung/kluger-klimaschutz-fuehrt-zu-sozialer-gerechtigkeit/
taz.de:70 /!5792299:189: line too long