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       # taz.de -- Hartz IV, Lokführerstreik, Afghanistan: Unsolidarische Eliten
       
       > Dem Bordpersonal nützt der Streik nichts. Und die Linke wird wohl auch
       > den Dritten Weltkrieg nicht beenden – sie war ja dagegen, ihn anzufangen.
       
   IMG Bild: Wollen mit dem Afghanistaneinsatz nichts am Hut haben: Janine Wissler und Dietmar Bartsch (Linke)
       
       taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche? 
       
       Friedrich Küppersbusch: Bundesregierung hat keine Ahnung, wie man einen
       Militäreinsatz beendet.
       
       Und was wird in dieser besser? 
       
       Bundesregierung beschließt, besser keinen mehr anzufangen.
       
       Der Hartz-IV-Regelsatz soll laut Medienberichten 2022 um 3 Euro steigen.
       Die Inflationsrate liegt bei 3,8 Prozent. Wenden Sie einen einfachen
       Dreisatz an und berechnen Sie das Wahlergebnis der SPD! 
       
       Der Wohlfahrtsverband moniert, die Hartz-Regelsätze sollten mindestens die
       Inflation ausgleichen. Das SPD-Wahlprogramm verspricht, diese Regelsätze zu
       verbessern und Betroffene und Sozialverbände einzubeziehen. Also alles gut.
       Wenn Politik irgendwas mit Realität zu tun hätte. Dem Brandt-Haus fehlt ein
       Baustellenschild: „Schuld abladen verboten!“. Schöne Ironie: Merkel gewann
       vier Wahlen auch mit sozialdemokratischer Hartz-Politik. Die SPD verlor
       vier. Und nun schickt sie sich an, das Spiel zu drehen – weil Olaf Scholz
       noch am merkelsten rüberkommt.
       
       Gemäß dem „Hamburger 2G-Modell“ dürfen nur Geimpfte und Genesene ins
       Restaurant. Justizministerin Lambrecht hat keine Bedenken, der Ethikrat
       schon. Und Sie?
       
       Klingt nach einer pfiffigen Idee von McDonald's, der Hamburger 2G, mens
       sana in corpora sanella, eine Mehrklassenwelt der Guten und Gesunden oben,
       darunter dann die staatlich geduldeten Impfbummler und Coronagrübler. Man
       muss ja nicht ins Restaurant, also ist dort die harte Tür okay – während
       sie in Schule, Job, Behörde diskriminierend wäre. Der Staat vermeidet den
       Impfzwang, indem er dem Impfdruck der Wirtschaft wohlwollend zuschaut.
       Geimpft, genesen, nehmen Sie Platz! Wollen Sie's lieber ethisch, da draußen
       is 'n Stehtisch.
       
       Es wurde wieder gestreikt. Die Lokführergewerkschaft GDL und die Deutsche
       Bahn sind immer noch nicht zusammengekommen. Der Bahnvorstand bringt einen
       Coronabonus ins Gespräch. GDL-Chef Claus Weselsky fordert ein Angebot, das
       „diesen Namen auch verdient“. Konsequenter Arbeitskampf oder nerviger
       Starrsinn?
       
       Bei allem Respekt vor dem sächselnden Querulanten aus dem
       Gewerkschafter-Museum: Weselskys Lokführer wie auch Piloten oder Ärzte oder
       andere machtvolle Eliten – agieren letztlich unsolidarisch. Der lange Hebel
       der Lokführer nützt dem Bordpersonal nix, Ärzte nicht den Pflegenden,
       Piloten nicht der Kabinencrew. Die Idee der Einheitsgewerkschaft, in der
       die Starken Verbesserungen auch für die Schwachen wollen, reist bei mir
       Erster Klasse.
       
       In Kabul wurden am Donnerstag mehr als 70 Menschen bei Anschlägen am
       Flughafen getötet. Die Bundeswehr hat am selben Tag ihre Evakuierungsflüge
       eingestellt. Laut Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer (CDU) wurden
       5.347 Menschen evakuiert, darunter rund 500 Deutsche und mehr als 4000
       Afghanen. Viele Ortskräfte bleiben zurück. Und jetzt?
       
       Diskutieren wir mal kurz, wie zum Wehrdienst einberufen wir Medien spuren,
       wenn wir kollektiv einen Tendenzbegriff wie „Ortskräfte“ übernehmen. Das
       sind, ohne moralische Dimension, Kollaborateure. Außenminister Maas sprach
       im März von der wahrscheinlichen Machtübernahme der Taliban,
       Verteidigungsministerin AKK im Mai von der moralischen Verantwortung
       gegenüber den Kollaborateuren. Das eigentliche Mirakel ist, wie klar
       sehenden Auges die Bundesregierung in diese Falle getapert ist – sie sich
       im Grunde selbst gestellt hat.
       
       Derweil hat der Bundestag der Bundeswehr rückwirkend ein Mandat für die
       Evakuierungsflüge erteilt. Die Parteiführung der Linken empfahl ihren
       Abgeordneten, sich bei der Abstimmung geschlossen zu enthalten, weil die
       Partei Bundeswehreinsätzen grundsätzlich nicht zustimmt. Wo findet man
       eigentlich eine realistische linke Außenpolitik?
       
       Bin gespannt auf den dritten Weltkrieg, wenn die Linke sich weigert, ihn zu
       beenden, weil sie dagegen war, ihn anzufangen. Es ist gut, dass die
       pazifistische Position überhaupt Asyl gefunden hat; es ist schade, wo.
       
       Seit einer Woche gibt es nun die Bild-Zeitung auch rund um die Uhr im
       Fernsehen. „Bild Live“ heißt der neue Kanal und nennt sich „Deutschlands
       Newssender“. Ihre Lieblingssendung bisher?
       
       Die Print-Auflage ist zerbröselt, der TV-Sender ist einer unter Hunderten:
       am wirkmächtigsten ist Bild in der eigenen Branche als „Feind-Bild“. Gern
       auch mal gekonnt ignorieren.
       
       Und was machen die Borussen? 
       
       Jedes Jahr das gleiche. Diese ewige Dominanz des 1. FC Köln macht die Liga
       langweilig.
       
       Fragen: PWE, VAG
       
       29 Aug 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Friedrich Küppersbusch
       
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