URI: 
       # taz.de -- Arte-Doku über den „Fall el-Masri“: Ein Staatsverbrechen
       
       > Der Neu-Ulmer Khaled el-Masri wurde 2003 in ein Gefängnis nach
       > Afghanistan verschleppt und von der CIA abgehört. Eine Doku rollt den
       > Fall neu auf.
       
   IMG Bild: Seit 2014 untergetaucht: Khaled el-Masri
       
       Die berührendsten Momente der Dokumentation „Der Fall el-Masri“ (Buch und
       Regie: Stefan Eberlein) finden sich gegen Ende. Das Gespräch mit Ehefrau
       Aysha und Sohn Jauhaar zeigt, welche nachhaltigen Verheerungen die
       Verschleppung des Vaters in der Familie anrichtete. Stockende Stimmen,
       Tränen, siebzehn Jahre nach dem Ereignis:
       
       Der Neu-Ulmer Khaled el-Masri wurde Silvester 2003 bei einem Kurzurlaub in
       Mazedonien ohne Angabe von Gründen festgenommen und in ein Geheimgefängnis
       in Afghanistan entführt, wo er unter erbärmlichen Bedingungen von der CIA
       verhört wurde. Nach fünf Monaten ließ man ihn nachts in einem Wald in
       Albanien frei. Eine Verwechslung?
       
       Im Kampf um seine Rehabilitierung wird el-Masri rundum im Stich gelassen.
       Die Bundesregierung vertuscht für die Amerikaner, die Justiz mauert,
       Innenminister Otto Schily (SPD) verschweigt anderthalb Jahre lang seine
       Kenntnis von dem Fall. Die Ermittler bügeln das Ergebnis einer
       Gegenüberstellung, bei der sich el-Masri „zu 95 Prozent sicher“ ist, eilig
       ab (el-Masris Anwalt Manfred Gnjidic: „… da sind wir noch im Gebäude
       drin“).
       
       Es ist eine Schlüsselszene, denn el-Masri glaubt, „Sam“ erkannt zu haben,
       einen mutmaßlichen BKA-Beamten, der in Afghanistan an seiner Rückführung
       beteiligt war. Dessen anerkanntes Mitwirken vor Ort hätte die Beteiligung
       der Bundesregierung bewiesen. So kann diese weiter alles abstreiten, wider
       anderslautende Erkenntnisse mazedonischer Quellen und der New York Times.
       
       ## Keine Rechtfertigung
       
       Das bizarre Framing, „el-Masri behauptet, er sei grundlos gekidnappt worden
       …“, als wäre das vielleicht doch eine irgendwie legitime Methode, prägt die
       Haltung von Regierung und Strafverfolgungsbehörden (Klaus Jansen, Bund
       deutscher Kriminalbeamter: „… er ist nicht zufällig ins Fadenkreuz
       amerikanischer Ermittlungsbeamter gekommen“), bis hin zur unverhohlenen
       Hetze der Bild: „… durchgeknallter Schläger, Querulant und Brandstifter:
       AUCH EIN LÜGNER?“
       
       Die Enttäuschung über die deutsche und US-amerikanische Justiz haben bei
       el-Masri tiefe Spuren hinterlassen. Ab 2007 verübt er wie aus dem Nichts
       mehrere spektakuläre Straftaten, die ihn schließlich im Jahr 2009 für fünf
       Jahre hinter Gitter bringen. Die Ausraster des traumatisierten Mannes
       wirken hier fast wie ein Geschenk für die verantwortlichen Politiker und
       eine ressentimentbehaftete Öffentlichkeit.
       
       Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, wie seltsam el-Masris Ausflug nach
       Mazedonien wirken mag, ob man ihn sympathisch findet, ob er verwechselt
       wurde oder ob ihm seine Bekanntschaft zu dem Islamisten Reda Seyam
       schadete, der im ebenfalls als radikal geltenden Neu-Ulmer Kulturhaus
       verkehrte. Nichts von alldem rechtfertigt Staatsverbrechen.
       
       ## Neue Infos von Wikileaks
       
       So macht der Chefaufklärer im Europarat, Dick Marty, deutlich:
       „Außergerichtliche Verschleppungen sind kriminelle Handlungen […], das muss
       man wissen und es laut aussprechen.“ Der Journalist (unter anderem
       „Panorama“) John Goetz stellt wiederum die Frage, „ob Deutschland überhaupt
       ein souveräner Staat ist“, und Hans-Christian Ströbele als Mitglied des im
       März 2006 doch noch eingesetzten parlamentarischen Untersuchungsausschusses
       wundert sich: „Warum gehst du da überhaupt noch hin? Die Leute sitzen dir
       mit treuen Augen gegenüber und lügen.“ Die Kooperation der involvierten
       Politiker ist gleich null. Auch für den Film verweigerten sie jedes
       Gespräch.
       
       Warum dieser Beitrag aber jetzt, 2021? Schon 2007 plante Eberlein das
       Projekt, doch 2009 brach der Kontakt zu el-Masri ab. Der verschwand nach
       Verbüßung seiner Haftstrafe 2014 überstürzt und mit unbekanntem Ziel. Erst
       2017 machte der Filmemacher el-Masri in Graz ausfindig, wo er nun wieder
       mit seiner Familie lebt. Für den Film hatte das den Vorteil, dass 2010
       Wikileaks Dokumente zu dem Fall veröffentlicht hatte und 2016 der geheime
       CIA-Bericht zu der Entführung freigegeben wurde – mit einem Ergebnis, das
       konträr zu dem des Untersuchungsausschusses ausfällt.
       
       In der empörenden Klarheit, die „Der Fall el-Masri“ bereits über das
       unkommentierte Auftreten der Lager für oder gegen die Gerechtigkeit
       herstellt, liegt eine große Qualität der Doku. Brandaktuell erscheint auch
       das notorische Versagen Deutschlands, in seiner Obhut stehende Personen zu
       beschützen.
       
       31 Aug 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uli Hannemann
       
       ## TAGS
       
   DIR Dokumentarfilm
   DIR CIA
   DIR Kidnapping
   DIR 9/11
   DIR Arte
   DIR US-Senat
   DIR Mazedonien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die CIA und ihre Foltermethoden: „Auch in Deutschland strafbar“
       
       Anwalt Wolfgang Kaleck über seine Anzeigen gegen US-Agenten, den vom CIA
       entführten Khaled el-Masri und vorauseilenden Gehorsam der Bundesregierung.
       
   DIR Urteil zur Entführung Khaled el Masris: Mazedonien muss zahlen
       
       Wegen der Entführung Khaled El Masris wurde Mazedonien vom Gerichtshof für
       Menschenrechte verurteilt. Masri soll 60.000 Euro Schmerzensgeld erhalten.
       
   DIR Menschenrechtsorganisationen rügen: Deutschland weicht Folterverbot auf
       
       Amnesty International kritisiert die Kooperation Deutschlands mit
       Folterstaaten. Terrorverdächtige wurden mehrmals in solchen Ländern
       befragt.