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       # taz.de -- Football auf ESPN: No-Highschool-Team
       
       > Der US-Sender ESPN hat jüngst ein Footballspiel zweier
       > Highschool-Mannschaften übertragen. Der Schönheitsfehler dabei: Die eine
       > Schule gibt es gar nicht.
       
   IMG Bild: Die Chance, nach oben zu kommen: Training im Highschool-Football, 2019
       
       Verheerende Wirbelstürme hier, katastrophale Truppenabzüge dort, schamloser
       Demokratieabbau allerorten: Die USA haben gerade ein paar ernstzunehmende
       Probleme zu bewältigen. Umso schöner, dass nun des Amerikaners liebstes
       Kind zurückkehrt, um von diesen Problemen abzulenken: Football is back!
       
       In dieser Woche beginnt die Saison im College-Football, am 9. September
       starten dann auch die Profis von der NFL in die neue, sehnsüchtig erwartete
       Spielzeit. Bereits im Gang ist der Highschool-Football, der vor allem im
       Süden der USA große Zuschauermengen anzieht. In Provinzstädtchen ist es oft
       das herausragende soziale Event der Woche, wenn die Football-Mannschaft der
       Highschool aufläuft. Da geht es dann zu wie beim Ruhrpottfußball, bloß mit
       Cheerleadern. Ein Denkmal gesetzt wurde der Obsession für den
       Highschool-Football 2004 im Spielfilm [1][„Friday Night Lights“], dem
       später eine 76-teilige TV-Serie folgte.
       
       Wegen der Coronapandemie gab es zwei Jahre lang keine großen
       Highschool-Sportveranstaltungen mehr. Umso mehr Aufmerksamkeit gibt es nun
       – eine übersteigerte Aufmerksamkeit, die auch sehr seltsame Blüten treibt.
       So übertrug der größte Sportsender des Landes am vergangenen Wochenende die
       Partie einer Mannschaft, die von einer Highschool kommt, die es anscheinend
       gar nicht gibt.
       
       In Canton, Ohio, wo die Ruhmeshalle des Sports liegt, kulminierte der
       Saisonauftakt am Sonntag mit dem „Hall of Fame Classic“. Dazu werden
       gewöhnlich – organisiert vor allem vom übertragenden Sender [2][ESPN] –
       zwei renommierte, möglichst gleichwertige Mannschaften eingeladen.
       Folgerichtig setzte erstauntes Stirnrunzeln ein, als die IMG Academy aus
       Florida, ihres Zeichens der amtierende Landesmeister, den Gegner Bishop
       Sycamore mit 58:0 abfertigte. Überhaupt hatten selbst die größten
       Highschool-Football-Experten noch nie etwas von dieser Schule gehört.
       
       ## Eine „Schule“ ohne Gebäude und Lehrpläne
       
       Nachträgliche Recherchen ergaben, dass Bishop Sycamore erst ihre zweite
       Football-Saison spielt – und im ersten Jahr alle sechs Partien krachend
       verloren hatte. Nicht nur das: Die Website der vermeintlichen Oberschule
       ist eher ein Blog über die Football-Mannschaft. Sonstige Schulaktivitäten:
       Fehlanzeige. Zuletzt wurden hoffnungsvolle Talente mit Tipps versorgt, wie
       sie am besten die Aufmerksamkeit von College-Scouts erregen können. Und
       unter dem Button „Über uns“ findet sich: absolut nichts.
       
       Auch ansonsten ist wenig zu ergoogeln über Bishop Sycamore. Die Adresse
       führt in einen gesichtslosen Bürokomplex in Columbus, Ohio, ein
       Unterrichtsgebäude besitzt die Schule auch nicht, ebenso wenig wie
       einsehbare Lehr- oder Stundenpläne.
       
       Der Hintergrund der zwielichtigen Unternehmung wirft auch ein Schlaglicht
       auf die gesellschaftspolitischen Realitäten in den USA: Auf eine Highschool
       zu gehen und dort die Chance auf ein Football-Stipendium zu haben, können
       sich viele arme, vor allem Schwarze Talente und ihre Familien nicht
       leisten. Erst recht keine Privatschule – wie nicht zuletzt die IMG Academy,
       Bishop Sycamores übermächtiger Gegner, die aus Nick Bolletieris privater
       Tennisakademie in Florida hervorging. Geschäftemacher nutzen das Fehlen von
       Vereinsstrukturen aus, gründen Mannschaften, die wie ein Zirkus durch die
       Lande reisen und gegen lokale Gegner antreten – eine Praxis, die in den
       letzten Jahren vor allem im Basketball um sich greift.
       
       In diesem Fall wurde anscheinend auch gleich noch eine Highschool dazu
       erfunden, um am offiziellen Spielbetrieb teilnehmen zu können. Dass ein
       TV-Sender wie ESPN darauf hereinfallen konnte, zeigt dann vor allem eins:
       Wie geil dieses Land auf Football ist, gerade in diesen Tagen.
       
       1 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Verleihung-der-Emmy-Awards/!5111690
   DIR [2] https://ftw.usatoday.com/lists/bishop-sycamore-espn-saga-high-school-football-img-academy
       
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