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       # taz.de -- Militäreinsatz im Sahel: Das zweite Afghanistan?
       
       > In Sahelstaaten wie Mali und Niger ist die Regierung vielerorts abwesend.
       > Um jungen Menschen Perspektiven aufzuzeigen, braucht es langfristige
       > Strategien.
       
   IMG Bild: Eine Frau wurde in Burkina Faso verschleppt, ihr gelang die Flucht; 19.11.2020
       
       Es ist unklar, wie viele Menschen täglich in den Sahelstaaten Mali, Burkina
       Faso und Niger durch Angriffe und Überfälle ums Leben kommen. An manchen
       dürften es Dutzende sein. In die internationalen Nachrichten schaffen es
       nur die [1][ganz großen Attacken wie jene in Burkina Faso von Mitte August,
       als mehr als 80 Menschen bei dem Anschlag auf einen Konvoi] aus Militär,
       Zivilist*innen und Selbstverteidigungsmilizen ermordet wurden.
       
       Mutmaßlich Dschihadisten überfielen ihn 25 Kilometer entfernt von der Stadt
       Gorgadji, die im Norden und in der Nähe der Grenzen zu Niger und Mali
       liegt. Präsident Roch Marc Christian Kaboré ordnete eine dreitägige
       Staatstrauer an. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit bis zum nächsten
       Anschlag.
       
       Eine Staatstrauer ist zwar ein wichtiges Symbol. Doch sie hilft weder, den
       Konflikt zu lösen, noch den Opfern und deren Familien. Deshalb ist es
       höchste Zeit, langfristige Strategien zu entwickeln, damit die Region nicht
       komplett verloren geht.
       
       Wie rasend schnell die Kontrolle entgleiten kann, zeigt ein kurzer Blick
       zurück: Noch vor sechs Jahren war es kein Problem, Burkina Faso mit dem Bus
       zu bereisen. Heute birgt jede Überlandfahrt ein enormes Risiko. Nach dem
       Putsch in Mali 2012 war man in Mopti, im Zentrum des Landes, sicher. Heute
       leben besonders dort die Menschen in Angst und beschreiben, wie
       Dschihadisten in den umliegenden Dörfern auf sie lauern.
       
       ## Die abwesende Staatsmacht
       
       Einer der Gründe: Die Staatsmacht ist in ländlichen Regionen de facto
       abwesend – und genau das muss sich dringend ändern, so schwer es auch sein
       mag. Weit weg von den Hauptstädten, häufig in Grenznähe, haben die Angriffe
       einst begonnen. Hier staatliche Präsenz zu zeigen, verhindert nicht jeden
       Anschlag, setzt aber für die Bevölkerung ein Zeichen: Wir sind da und auf
       eurer Seite, gegen den Terror.
       
       Vielerorts versucht die örtliche Bevölkerung, sich ohne Unterstützung –
       meist erfolglos – gegen Terroristen zu wehren. Aus der Region Tillabéri im
       Südwesten des Niger wird berichtet, dass es den Dörfern mitunter gelinge,
       eine kleine Zahl von Terroristen und Banditen zu vertreiben, wenn diese
       Vieh, Nahrungsmittel oder Benzin stehlen wollen. Doch die Angreifer kommen
       zurück und verüben aus Rache oft Massaker.
       
       Doch staatliche Präsenz allein reicht nicht. Vor allem auf dem Land braucht
       es Infrastruktur wie Straßen, Gesundheitseinrichtungen und Schulen sowie
       Perspektiven für die junge Generation. Letztere zu schaffen, wird die
       größte Herausforderung sein. Auch in weitaus stabileren Nachbarländern
       südlich des Sahels gelingt das häufig nicht. [2][Sehr viele Menschen fühlen
       sich abgehängt.] Mali, wo die Sahel-Krise vor knapp zehn Jahren begann, ist
       das Paradebeispiel dafür, dass eine rein militärische Lösung nicht
       funktioniert.
       
       ## Dschihadisten dringen immer weiter in den Süden vor
       
       Seit 2013 sind dort Zehntausende internationale Soldat*innen
       stationiert, auch deutsche, die das Land stabilisieren, die malischen
       Streitkräfte (FAMa) ausbilden und die Terroristen bekämpfen sollen. Aus Gao
       und Timbuktu heißt es zwar, dass die Städte sicherer geworden sind,
       [3][nicht aber das Umland]. Andernorts hat sich die Lage sogar
       verschlechtert.
       
       Bewaffnete dringen immer weiter nach Süden vor. Gut möglich, dass die
       Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime (Jnim) weniger
       Kämpfer hat als die französische Antiterrorismuseinheit Barkhane. Trotzdem
       ist Jnim derzeit für die Mehrzahl der Anschläge in Mali und Burkina Faso
       verantwortlich.
       
       Aus all diesen Gründen ist Mali in den vergangenen Wochen häufig als neues
       Afghanistan bezeichnet worden. Der Vergleich klingt plausibel und trifft
       doch nicht zu. In Mali operieren zwar Terroristen, die Dörfer besetzen,
       Männern das Rauchen verbieten und Frauen dazu zwingen, sich zu
       verschleiern. Doch in der ganzen Region sind viele Mitglieder der
       Bewegungen eher Söldner, die weniger ideologische und religiöse, sondern
       starke finanzielle Motive haben. Alle drei Länder liegen auf den untersten
       zehn Plätzen des Entwicklungsindexes der Vereinten Nationen.
       
       Anders ist außerdem die religiöse Komponente. International bekannt
       geworden ist im vergangenen Jahr Imam Mahmoud Dicko, der zu Protesten gegen
       Malis Regierung unter Ibrahim Boubacar Keïta aufgerufen und Tausende
       Menschen mobilisiert hatte. Sie sind seinem Ruf allerdings nicht unbedingt
       deshalb gefolgt, weil er Imam ist, sondern aus der Frustration über ein
       korruptes System, steigende Unsicherheit und weil Dicko sich als starke
       Führungspersönlichkeit präsentieren kann.
       
       ## Eine andere islamische Tradition als in Afghanistan
       
       Der konservative Dicko studierte in Saudi-Arabien und kam dort mit dem
       Wahhabismus in Kontakt. Das Interesse des Landes, seine Auslegung des Islam
       nach Westafrika zu exportieren, ist groß. Doch in Mali bekennt sich die
       große Mehrheit der Muslime*innen, die zwischen 85 bis 90 Prozent der
       Bevölkerung ausmachen, zum Sufismus und betont eine Trennung zwischen Staat
       und Religion. Der Islam existiert seit vielen hundert Jahren neben
       Animismus und Christentum und ist regional gefärbt.
       
       Noch deutlicher wird es in Burkina Faso, wo sich anders als in den übrigen
       Sahelstaaten nur knapp zwei Drittel der Bewohner*innen zum Islam
       bekennen. Familien sind fast ausnahmslos gemischt. So spricht der
       katholische Erzbischof von Ouagadougou, Kardinal Philippe Ouédraogo, etwa
       völlig selbstverständlich darüber, dass eine seiner Schwestern Muslimin
       sei. Durch gezielte Anschläge auf Kirchen, aber auch durch geschürte
       ethnische Konflikte, wird der Zusammenhalt zwar brüchiger. Doch er ist noch
       nicht verloren.
       
       Genau diesen gilt es nun zu stärken, um Dörfer und Gemeinschaften
       widerstandsfähiger zu machen. Dafür muss der Staat Präsenz zeigen und
       glaubwürdig sein. Ebenso ist es notwendig, Terroristen zu bekämpfen und
       nicht wie bei der Serval-Mission der Franzosen bloß zu verscheuchen. Das
       wird den malischen Streitkräften alleine nicht gelingen, weshalb der
       Einsatz internationaler Streitkräfte weiterhin wichtig ist. So könnte sich
       ein neues Afghanistan vermeiden lassen.
       
       2 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gänsler
       
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