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       # taz.de -- Lesefest in Cottbus: Literatur als Sandsack
       
       > Nach ihrer Premiere im Berliner Tiergarten geht die „Literatur auf der
       > Parkbank“ in die zweite Runde. Diesmal liest man in Cottbus.
       
   IMG Bild: Schon mal bereit gelegt zum Lesen
       
       „Eine Sache gibt es schon noch, die ich gern sagen möchte“, sagt er am Ende
       Gesprächs. „Unser Festival ist absolut klimaneutral. Die Autorinnen und
       Autoren reisen mit der Bahn an. Und wir müssen noch nicht einmal eine Halle
       anmieten.“ Damit hat der 67-jährige Charlottenburger Eckhard Hündgen
       allerdings recht.
       
       Denn sein kleines, charmantes Festival „Literatur auf der Parkbank“, das
       nach seiner erfolgreichen Premiere im Sommer 2019 am nächsten Wochenende in
       Cottbus in die zweite Runde geht, findet tatsächlich draußen statt. Während
       damals 50 Autor*innen umsonst und unter freiem Himmel auf [1][50
       Parkbänken im Berliner Tiergarten] lasen, sind es diesmal 28 Autor*innen,
       die auf 28 Parkbänken im Cottbuser Goethe- und dem benachbarten
       Carl-Blechen-Park lesen.
       
       Der Ortswechsel bringt es ganz automatisch mit sich, dass sich das Festival
       – abgesehen vom Konzept und vom nicht vorhandenen CO2-Ausstoß – stark
       verändert hat. 2019 ging es bei der „Literatur auf der Parkbank“ vor allem
       darum, die gute, alte andachtsvolle Autor*innenlesung auf den Kopf zu
       stellen und Lesungen interaktiver, niedrigschwelliger, lebendiger zu
       gestalten.
       
       „Ich mag Veranstaltungen, auf denen Menschen nicht nur wie in ihren eigenen
       Echoräumen unterwegs sein möchten“, hatte Hündgen damals in seiner
       fröhlich-direkten Art der taz erzählt. Denn auch, wenn er heute mit einem
       gut gelaunten „Nix“ atwortet auf die Frage, was er sonst so macht, kennt
       sich Hündgen doch in Vielem aus. Er hat als Kulturbeauftragter für die
       Stadt Köln gearbeitet, als Producer und Autor fürs Fernsehen – und dann
       initiierte er 2007 die ersten Berliner Krimitage.
       
       „In den zwanzig Jahren, in denen ich in Berlin lebe, habe ich auch
       Brandenburg ganz gut kennengelernt“, erklärt Hündgen jetzt. „Natürlich ist
       Cottbus eine wunderbare Stadt. Trotzdem habe ich über sie oft Dinge gehört,
       die ich lieber nicht hören wollte.“
       
       Soll heißen: Cottbus hat eine umtriebige Zivilgesellschaft und Kulturszene,
       trotzdem ist die Stadt nach wie vor Hochburg rechter Gewalt. „Wenn
       Starkregen kommt, braucht man Sandsäcke“, bringt Hündgen die Intention
       seiner Ortswahl zum Ausdruck. „Wir müssen einfach Stimme zeigen.“
       
       Weil die „Literatur auf der Parkbank“ diesmal anders als 2019 gefördert
       wurde – und zwar vom „Neustart Kultur“-Topf der Bundesregierung –, hatte
       Hündgen mehr Möglichkeiten zur Gestaltung als beim letzten Mal. Er konnte
       sich die Autor*innen besser aussuchen, die Wahl auf jene beschränken,
       die entweder aus der Region kommen oder die Region zum Thema haben. Dabei
       wurde er von zahlreichen Kulturinstitutionen wie dem brandenburgischen
       Literaturrat beraten.
       
       So kommt es auch, dass das Festival bekanntere Namen im Programm hat, aber
       auch unbekanntere. Auf der einen Seite liest beispielsweise die
       preisgekrönte Julia Schoch aus ihrem Roman „Schöne Seelen und Komplizen“
       über vier Gymnasiasten in der DDR, die auf die Wende mit Hass und Euphorie
       reagieren. Auf der anderen werden mit der 15-jährigen Lara Koch und der
       17-jährigen Tamina Hägler junge Autorinnen anwesend sein, die in der
       Literaturwerkstatt eines Cottbuser Jugendzentrums entdeckt wurden.
       Einerseits wird Björn Kern auf einer Parkbank sitzen, der am Leipziger
       Literaturinstitut studiert hat und aus seinem Roman „Solikante“ über ein
       Paar zwischen Provinz und Metropole lesen wird.
       
       ## Die Parkbank als Plattform
       
       Andererseits wird der in der Literaturszene bislang weniger bekannte
       Michael Küppers-Adebisi die Parkbank als Plattform nutzen: Küppers-Adebisi
       ist Gründungsvorstand [2][von Decolonize Berlin], kuratiert die Black
       Berlin Biennale for Contemporary Art & Decolonial Discourse und hat unter
       anderem die Anti-Humboldt-Box entworfen, eine Ausstellung im Koffer, die
       sich kritisch mit dem Humboldt Forum auseinander setzt.
       
       Nun gibt es also nicht mehr nur zwei Herangehensweisen, wie man den
       Spaziergang zwischen Parkbänken nächstes Wochenende in Cottbus nähern kann,
       sondern drei. Man kann sich im Vorfeld informieren und gezielt
       Autor*innen ansteuern, man kann auch dem Spirit des Festivals folgen und
       sich einfach ins Getümmel stürzen, treiben und überraschen lassen, hier und
       da verweilen, weiterziehen.
       
       Drittens könnte man nun aber auch die Cottbuser Stadtgesellschaft dabei
       beobachten, wie sie auf die konfrontativen Botschaften eines
       Küppers-Adebisi oder auch einer Sada Sultani reagiert, die vor ihrer
       Ausreise aus Afghanistan 2015 sechs Jahre als Journalistin bei der
       deutschen Bundeswehr gearbeitet hat und ein Gedicht über die aktuelle
       Situation im Land vortragen wird.
       
       „Ich bin gespannt“, sagt jedenfalls jetzt schon einmal Eckhard Hündgen.
       
       29 Aug 2021
       
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