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       # taz.de -- „Bild“ im linearen Fernsehen: Tauziehen mit Raubkatzen
       
       > „Bild Live“ will „Deutschlands Newssender“ sein. Inhaltlich gibt es aber
       > Gefühle und Politik in Großbuchstaben.
       
   IMG Bild: Kanzlerkandidat Laschet bekam bei „Bild Live“ vage Fragen gestellt
       
       Das Wort „Nachrichtensender“ ist für „Bild Live“ zu hoch gegriffen, so viel
       ist nach einer Woche klar. Der Axel Springer Verlag wirbt für sein neues
       24-Stunden-Fernsehprogramm zwar als „Deutschlands Newssender“. Aber der
       Nachmittag ist gestopft mit Reality-TV.
       
       Da versucht ein Paar, bewaffnet mit einem Bagger, sich selbst einen Pool zu
       bauen, und scheitert dabei an so manch einem Baum. Auf den Poolbau folgen
       Autos, Bier und Grillen. „Heiligs Blechle – Deutschlands Autotempel“,
       „Deutschland im Glutrausch – Grillen extrem“ oder in „Deutsches Bier – Das
       große Brauen“. Viel geht es um Männer, die leidenschaftlich am Werk sind
       beim Bruzzeln und Brauen. Eher als auf den Bedarf nach einem deutschen
       Newssender zu reagieren, wirkt „Bild Live“ wie ein minimal mehr [1][auf
       Information gebürstetes Mischprogramm der Privatsender RTL und ProSieben].
       
       Rund um die Uhr auf Nachrichtenereignisse reagieren, wie es ein Newssender
       täte, ist mühsam, kostenaufwendig und wirtschaftlich kaum rentabel.
       Stattdessen setzt „Bild Live“ auf die starken Zeiten Vormittag und Abend.
       Höchstens eine Fähigkeit, schneller auf Breaking News zu reagieren als zum
       Beispiel ARD und ZDF, könnte der Sender noch unter Beweis stellen.
       Ansonsten hat man das alles schon, im deutschen Fernsehen. Bloß etwas
       weniger hektisch.
       
       Seit Ende vergangenen Jahres war klar, dass der Berliner Springer-Verlag
       sich mit einem weiteren TV-Sender im linearen Programm etablieren will. Für
       „Bild Live“ kam extra der Provokations-Moderator [2][Claus Strunz] in die
       Chefredaktion, die Ressourcen des bislang eher billig wirkenden „Bild
       Live“-Streams am Abend wurden ausgebaut.
       
       ## Wackelige Kamera und unpassender Text
       
       Dennoch fällt das Programm in Sachen Qualität weiter extrem auseinander. Da
       wackelt immer mal die Kamera, Schrift wird zu kurz eingeblendet, Text passt
       nicht zum gesprochenen Inhalt. Den Bild-Zeitungsjournalist*innen, die zum
       Teil durchs Programm führen, mangelt es an Kamerapräsenz und
       Sprechausbildung, das wirkt unbeholfen und verspannt, was das Dranbleiben
       bei einigen Sendungen selbst für Bild-Fans anstrengend machen könnte.
       
       Das Herzstück des Senderauftakts waren Interviews mit den Kanzlerkandidaten
       Laschet und Scholz am Sonntagabend. Die Interviews mit den verbliebenen
       Kandidaten waren in ihrer Gehetztheit ermüdend, die in Großbuchstaben
       versprochenen „Richtigen Fragen“ wirkten unvorbereitet und vage: „Herr
       Laschet, was geht Ihnen da durch den Kopf?“ Annalena Baerbock hatte eine
       Einladung ausgeschlagen, aus der Grünen-Zentrale heißt es dazu, man habe
       Prioritäten setzen müssen.
       
       Bei der Premiere des Abendtalks „Viertel nach acht“ am Montagabend wirkte
       dann auch Jürgen Trittin reichlich deplatziert, so wie der unsympathische
       Junge, dem Mama befohlen hat, zum Geburtstag einzuladen. „Zu brandheißen
       Themen“ (Bild) wie Terrorgendern, Impfzwang und Blumen von Putin fand denn
       auch nicht das „grüne Urgestein“ (Bild) Trittin, sondern ausgerechnet
       Thomas Gottschalk die richtigen Worte, er hätte „nicht gedacht, dass mir
       ausgerechnet eine Gesprächsrunde bei Bild die Augen öffnet“.
       
       Etwas besser läuft die Morningshow von 9 bis 14 Uhr, die verwirrenderweise
       auch „Bild Live“ heißt und durch die ein Team ausgebildeter
       Fernsehmoderator*innen führt. Da gibt es zu aktuellen Themen
       Gespräche mit Expert*innen, Live-Interviews, etwa mit dem Außenminister,
       und Fluff-Geschichten über Bodybuilder beim Tauziehen gegen Raubkatzen.
       
       ## Deutsches Fox News?
       
       Die Interviews mit Laschet und Scholz sahen laut Quotenmessung [3][um die
       100.000 Menschen], das ist nicht schlecht, aber auch kein
       furchteinflößender Angriff aufs lineare TV. Die Erste Ausgabe der
       Morningshow sahen dagegen zwischen 20.000 und 50.000, was in diesem
       Zeitraum recht gut ist.
       
       Zu den [4][unabhängig gemessenen Quoten] kommen noch all jene, die „Bild
       Live“ auf der Bild-Webseite streamen. Zu diesen Abrufen macht Springer
       keine Angaben. Um zu analysieren, wie sich „Bild Live“ auf dem neuen
       Terrain lineares TV schlägt, reichen jedoch die frei verfügbaren Daten.
       Dazu muss man aber abwarten, was passiert, wenn sich der Rummel um den
       Launch gelegt hat.
       
       Kurz gesagt bietet „Bild Live“ in Sachen Produktionsqualität ein Spektrum
       von annehmbar bis peinlich. Inhaltlich ist es genau, was man von Bild
       kennt. Gefühle, Fluff, Sport und Politik in Großbuchstaben. Keine Gefahr
       einer Produktenttäuschung.
       
       Aber egal, wie viel Häme man wegen der Moderation, den Gästen oder den
       wiederkehrenden Auftritten von Reiner Calmund auch über „Bild Live“
       ausgießen mag: Wichtig ist am Ende anderes. Nämlich ob „Bild Live“ ein
       deutsches [5][Fox News] wird, wie manche schon raunen. Und das hängt von
       mehreren Faktoren ab. Zum einen Vertrauen. Fox News sprachen in den USA
       2020 in einer Umfrage 43 Prozent der US-Amerikaner*innen ihr Vertrauen aus.
       Der Berichterstattung der Bild-Zeitung vertrauen laut Reuters Institute
       gegenwärtig 19 Prozent der Deutschen.
       
       ## Erwartbares Bashing
       
       Zweitens die Frage, wer dort auftritt. Im US-Wahljahr 2020 diskutierte die
       Demokratische Partei, ob man den Sender aufgrund seiner engen Verbindungen
       zur Trump-Regierung im Wahlkampf boykottieren sollte. Fox News wie auch
       Bild leben nicht zuletzt durch ihr Image, nah an den Mächtigen zu sein. Ein
       [6][Boykott von Bild] seitens linker Politiker*innen allein könnte
       allerdings den Effekt haben, den Sender gerade eben mehr zu einem Fox News
       zu machen – also einem Sender, der vor allem die rechte Seite der Politik
       für die rechte Seite des Publikums abbildet.
       
       Und drittens die Frage, wie viel der Bild-Kampagnenjournalismus woanders
       aufgegriffen wird. Auch eine engagierte Gegenrede kann eine Verstärkung
       sein. Dasselbe gilt für routinierte Häme. Am Wirkungsvollsten gegen Bild
       ist nicht erwartbares Bashing, sondern nach wie vor: ein fundiertes und
       diverses journalistisches Gegenprogramm. Zum Beispiel: ein Newssender.
       
       27 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /RTL-uebernimmt-Zeitschriftenverlag/!5790989
   DIR [2] /Sat1-Moderator-im-Fernseh-Duell/!5444343
   DIR [3] https://www.dwdl.de/nachrichten/84160/ueber_100000_menschen_sahen_kanzlernacht_bei_bild/
   DIR [4] /Einschaltquote-Fernsehen-und-Internet/!5723934
   DIR [5] /Medien-bei-US-Wahlen/!5726865
   DIR [6] /Nach-Solingen-Berichterstattung/!5708395
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carolina Schwarz
   DIR Ambros Waibel
   DIR Peter Weissenburger
       
       ## TAGS
       
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