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       # taz.de -- Berlins neue Mitte: Ist die neue Altstadt vom Tisch?
       
       > Oder droht auch Berlin die weitere Disneylandisierung? Ob der Beschluss
       > des Abgeordnetenhauses umgesetzt wird, muss gut beobachtet werden.
       
   IMG Bild: Bürgerinnen und Bürger wünschen hier einen Ort, an dem die Stadt auch Luft holen darf
       
       Es gibt immerhin einen Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses. Im
       Frühjahr 2016 verabschiedete das Berliner Parlament zehn Leitlinien, die
       zuvor [1][in zahlreichen Diskussionen und Werkstätten] erarbeitet worden
       waren. „Alte Mitte. Neue Liebe“ hieß das Beteiligungsverfahren. Es sollte
       einen seit der Wende schwelenden Streit beenden: Soll die Berliner Altstadt
       zwischen Marienkirche und Rotem Rathaus wieder aufgebaut werden? Oder soll
       der Raum, der zu DDR-Zeiten vom Fernsehturm bis zum Marx-Engels-Forum an
       der Spree entstanden war, aufgewertet werden?
       
       Fünf Jahre später [2][haben nun auch Preisrichterinnen und Preisrichter
       entschieden]. Ein grünes Band soll das Rathausforum mit dem
       Marx-Engels-Forum verbinden, zur Spree ist eine Freitreppe geplant. Es ist
       der Gegenentwurf zum grauen Umfeld des Humboldt-Forums, betont die
       Architektenkammer – und mahnt zur Eile bei der Umsetzung. Auch Bausenator
       Sebastian Scheel (Linke) warnt davor, „den langwierigen, demokratischen
       Prozess mit Füßen zu treten“.
       
       Sind diese Sorgen berechtigt, könnte die neue Altstadt doch noch kommen?
       Schon Berlins inzwischen in den Ruhestand verabschiedete
       [3][Senatsbaudirektorin Regula Lüscher] warnte, dass die Fertigstellung des
       Humboldt Forums eine neue Diskussion über die Rekonstruktion der Berliner
       Altstadt auslösen könnte. Denn die Debatte schwelte immer weiter. Je
       unübersichtlicher das Leben in den Metropolen wird, desto größer das
       Bedürfnis nach einer „heilen“ Stadtwelt, die meist nur einer Fantasie des
       Alten entspringt.
       
       Berlin konnte, vom Humboldt Forum abgesehen, dieser Versuchung bislang
       widerstehen. Anders als in Dresden, wo der Neumarkt und die Frauenkirche
       mit großer Entschiedenheit wieder aufgebaut wurden, war die Bewahrung der
       Ostmoderne in Berlin nicht nur das Anliegen einiger Ostalgiker, sondern
       auch junger Studierender der Architektur und von Aktivistinnen und
       Aktivisten. Diese besetzten den Palast der Republik oder Plattenbauten in
       Hellersdorf.
       
       ## Die „Generation Alex“
       
       [4][„Generation Alex“] nannte die taz diese Bewegung, die nicht
       rückwärtsgewandt war, sondern in der Weitläufigkeit der
       Nachkriegsarchitektur auch ein Statement gegen die Durchkapitalisierung der
       Stadt sah. Denn nichts anderes waren Projekte wie der Dresdener Neumarkt:
       Disneyland gewordene Investorenträume.
       
       In Berlin wurde stattdessen Wert darauf gelegt, was die Menschen vor Ort
       sagen. So folgte auf „Alte Mitte. Neue Liebe“ ein weiteres
       Werkstattverfahren, bei dem es auch um die Anbindung der benachbarten
       Quartiere und um den Verkehr ging. Im Wettbewerb zur Freiraumgestaltung,
       den nun das Büro RMP Stephan Lenzen gewonnen hat, werden die Wünsche der
       Bürgerinnen und Bürger nach einem Ort, an dem die Stadt auch Luft holen
       darf, konsequent umgesetzt.
       
       Dies infrage zu stellen, würde nicht nur das Parlament brüskieren, sondern
       auch die Menschen, die sich engagiert haben. Entwarnung ist dennoch nicht
       angesagt, eher erhöhte Wachsamkeit. Denn am 26. September könnten neue
       Mehrheiten neue Begehrlichkeiten wecken. Dass sich eine Regierende
       Bürgermeisterin Franziska Giffey nicht an Absprachen hält, hat sie nicht
       nur beim [5][Canceln der Bauordnung] in letzter Sekunde gezeigt. Sie hat
       auch bereits angekündigt, das Votum eines Volksentscheids nicht anerkennen
       zu wollen.
       
       4 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/staedtebau-projekte/alexanderplatz/downloads/altemitte-neueliebe/AMNL_Ausstellung-Buergerleitlinien.pdf
   DIR [2] /Freiraum-am-Fernsehturm/!5793046
   DIR [3] /Berlins-Senatsbaudirektorin-im-Interview/!5782100
   DIR [4] /zukunft-der-moderne/!1215236/
   DIR [5] /Wahlkampf-in-Berlin/!5792793
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
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