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       # taz.de -- Mögliches Bündnis aus SPD, Grünen, FDP: Was kann die Ampel?
       
       > SPD, Grüne und FDP könnten die nächste Regierung bilden, unter einem
       > Kanzler Olaf Scholz. Nur: Da, wo es ums Geld geht, sind die Gräben tief.
       
   IMG Bild: Grüne Zukunft, gelbe Freiheit, rote Stabilität: Kann eine Ampel funktionieren?
       
       taz | Berlin Die Union ist in freiem Fall, die SPD im Aufwind. Das führt zu
       Spekulationen über eine Koalition, die lange nur Theorie war – [1][eine von
       Olaf Scholz geführte Ampel-Regierung]. Alles bewegt sich. Was sicher
       schien, hat sich verflüchtigt. Was als unwahrscheinlich galt, ist möglich.
       Die SPD kann in drei Wochen stärkste Partei vor der taumelnden Union
       werden. Aber was dann?
       
       Die Abneigung von Scholz und der Grünen-Spitze gegen die Linkspartei sitzt
       tief. Und auch [2][Jamaika, das Bündnis von Union, FDP und Grünen], das
       lange als sichere nächste Koalition gehandelt wurde, wankt. Die Ökopartei
       steht in fast allen Bereichen der SPD näher als der Union. Würden die
       Grünen wirklich gegen einen Wahlsieger SPD mit einer in den Grundfesten
       erschütterten Union regieren? Die FDP will derweil vor allem eins: wieder
       regieren.
       
       Doch die Hürden für die Ampel sind hoch. In der Außen- und Innenpolitik,
       bei Datenschutz und Einwanderungspolitik gibt es zwar Schnittmengen, aber
       bei einem politischen Schlüsselbereich – den Finanzen – ist das anders. SPD
       und Grüne wollen höhere Steuern für Gutverdiener und eine Vermögenssteuer.
       Die FDP hält das für Teufelszeug.
       
       ## Kein kategorisches Nein der Liberalen
       
       Florian Toncar, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, sieht tiefe
       Gräben. „Unsere Wählerschaft bevorzugt eine Koalition mit der Union. Das
       ist demoskopisch messbar und nicht verwunderlich. Die FDP und die SPD haben
       sich seit der Amtszeit von Gerhard Schröder deutlich voneinander entfernt“,
       so Toncar zur taz. Es gibt sogar Druck von der FDP-Basis, von
       Wirtschaftsvertretern und Selbstständigen, die Ampel auszuschließen. So wie
       Westerwelle 2009. Damals bekam die FDP mehr als 14 Prozent.
       
       Jetzt lavieren die Liberalen. Irgendwie sind sie dagegen. „Wir müssen mit
       steuerpolitischen Reformen Entlastungen durchsetzen und entbürokratisieren.
       Dafür gibt es Ansprechpartner in der Union, bei der SPD und den Grünen ist
       das anders“, sagt Toncar. Doch kategorisch Nein zur Ampel sagen sie nicht.
       Sich an die abstürzende Union als einzigen Partner zu ketten, wäre eine
       Selbstkasteiung für die komplexen Deals nach der Wahl.
       
       Am liebsten will die FDP über die Ampel vor der Wahl gar nicht reden.
       Taktisch ist das naheliegend. Denn die zusehends verzweifelte Union zielt
       auf jene WählerInnen, die zwischen Union und FDP schwanken – und keinen
       Sozialdemokraten als Kanzler wollen. CSU-Chef Söder poltert, dass „eine
       Ampel ein etwas verdünnter Linksrutsch“ wäre. Ein Linksrutsch mit Lindner –
       das klingt für aufklärte Milieus bizarr. Aber für die Union ist die
       Anti-FDP-Kampagne eine der wenigen Chancen, den Sturz nach unten noch zu
       bremsen.
       
       ## Streit um die Steuerpolitik
       
       Die Ampel sieht auch SPD-Finanzpolitiker Michael Schrodi skeptisch. Der
       Bayer ist einer der Sprecher der SPD-„Denkfabrik“, die mit Grünen und
       Linkspartei Übereinstimmungen sucht. „Finanz- und wirtschaftspolitisch
       würde es mit der FDP an mehreren Stellen sehr schwierig, denn sie macht
       Klientelpolitik für Superreiche“, so Schrodi. Die Distanz ist verständlich.
       Die Liberalen wollen den Soli für Reiche abschaffen; schon das kostet den
       Fiskus 10 Milliarden Euro im Jahr. Überhaupt sollen die Steuern für alle
       sinken, ganz besonders für Reiche und Unternehmen. Würden die
       FDP-Steuersenkungspläne umgesetzt – dem Staat würden 75 bis 88 Milliarden
       Euro fehlen. Weil die FDP zudem auch noch keine Schulden machen und die
       Coronaschulden schnell begleichen will, halten selbst konservative Ökonomen
       die FDP-Pläne für waghalsig.
       
       „Was die FDP will, ist finanzpolitisches Voodoo“, sagt Grünen-Haushälter
       Sven-Christian Kindler. [3][Eine dicke Steuersenkung für Reiche], eine
       Reform der Schuldenbremse verweigern und gleichzeitig investieren – das
       gehe einfach nicht. „Wer so etwas fordert, verkauft die WählerInnen für
       dumm“, so der Grüne. Kindler gehört zum linken Flügel der Grünen. Er hat
       Sympathien für ein Bündnis mit SPD und Linkspartei, nicht für die Ampel.
       Zur Abschaffung des Soli für Reiche sagt er schlicht: „No way.“ Das wäre
       eine massive Steuersenkung für Reiche. „Zudem sind die 10 Milliarden Euro
       im Jahr ohne Gegenfinanzierung im Haushalt nicht darstellbar.“ Wenn man
       Kindler und Schrodi zuhört, muss man Schnittmengen mit der Lupe suchen.
       
       Ist die Ampel also nur ein taktischer Zug der SPD? Eine Illusion, die
       Scholz möglichst lange aufrechterhalten muss? Eine Machtoption, die nicht
       existiert? Ganz so ist es nicht. FDP-Chef Christian Lindner betont zwar
       gebetsmühlenhaft, dass ihm „die Fantasie fehlt, wie Rot und Grün der FDP
       überhaupt ein Angebot machen könnten“. Aber mit der Fantasie ist das in der
       Politik so eine Sache: Der Mindestlohn kam unter Merkel, Hartz IV und die
       Beteiligung am Afghanistankrieg unter Rot-Grün. Den Widerstand gegen einen
       Mindestlohn hat die FDP aufgegeben. Laut einer Civey-Umfrage hielten im
       Jahr 2020 43 Prozent der FDP-WählerInnen 12 Euro Mindestlohn für
       angemessen.
       
       So werden in den Parteizentralen derzeit die Spielräume bei den Finanzen
       ausgelotet. Sie sind nicht groß, aber es gibt sie. Bei den Grünen
       argumentieren in Sachen Soli nicht alle so hart wie Kindler. Das Argument
       der FDP, dass der Soli ursprünglich befristet eingeführt wurde, um die
       deutsche Einheit zu finanzieren, sei ja nicht von der Hand zu weisen, sagen
       manche.
       
       Die luftigen Szenarien für eine Annäherung sehen in etwa so aus: Weil für
       die FDP Steuererhöhungen tabu sind, landen Vermögensteuer und höhere
       Einkommensteuer im Papierkorb. Bei den Steuersenkungen für Unternehmen –
       ein Fetisch der FDP, unbeliebt bei Rot-Grün – wären Kompromisse denkbar.
       Der Ausweg heißt: deutlich erweiterte Abschreibungsregeln für Unternehmen.
       
       Die FDP hätte damit ihre Klientel bedient, SPD und Grüne könnten das als
       nötigen Beitrag für Investitionen nach Corona und für die Energiewende
       verkaufen. Dafür müssten die Liberalen der gestaffelten Erhöhung des
       Mindestlohns zustimmen. Erst mal mit einer niedrigeren Marke, und mit einer
       Erhöhung auf 12 Euro. So würde Scholz sein Versprechen einhalten, er werde
       im ersten Jahr als Kanzler 12 Euro Mindestlohn einführen. Und Lindner würde
       als Mann gelten, der Schlimmeres verhindert hat. „Wenn SPD und FDP wirklich
       wollen, dann geht es“, sagt Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler und
       Mitglied der SPD-Grundwertekommission.
       
       Aber wer soll das alles bezahlen? Die Schuldenbremse, im Grundgesetz
       verankert, bleibt. Für die FDP ist sie ein identitätsstiftendes Symbol, das
       die linken Schuldenmacher im Zaum hält. Doch auch hier gibt es
       Möglichkeiten. „Die Schuldenbremse bedeutet nicht Nullverschuldung, sondern
       ist konjunkturabhängig“, sagt FDP-Mann Toncar. In der auslaufenden
       Coronakrise könne man durchaus auch „noch mehr Schulden aufnehmen“. Lindner
       betont auffällig oft, dass die FDP-Steuerpläne ja eher langfristig gedacht
       seien. Toncar will bei Steuersenkungen „schrittweise vorgehen“.
       
       ## Ein möglicher Ampeldeal
       
       Jede Regierung wird, so die einhellige Einschätzung von konservativen und
       eher linken Ökonomen, die Schuldenbremse umgehen – mit mehr oder weniger
       großen Sonderfonds. Die Grünen denken über öffentliche Gesellschaften nach,
       um bestimmte Projekte voranzubringen – etwa die Ladestruktur für E-Autos.
       Die Gesellschaften könnten eigenständig Kredite aufnehmen und würden im
       Bundeshaushalt nicht auftauchen.
       
       So ist ein möglicher Deal erkennbar, der eine Ampel ermöglichen könnte –
       zumindest in Umrissen. SPD und Grüne sagen Ja zum Ende des Soli, dafür
       arrangiert sich die FDP mit dem Mindestlohn und Schulden per Sonderfonds.
       SPD-Mann Wolfgang Schroeder hat schon ein sinnstiftendes Motto für
       sozialliberale Regierung in petto: „Das könnte die Formel Innovation und
       Investition sein.“
       
       Ist Rot-Grün-Gelb also machbar? Wohl nur dann, wenn die FDP sich einen
       Lagerwechsel nicht viel teurer bezahlen lässt, als es sich die
       SPD-Pragmatiker derzeit vorstellen können. Die Lindner-Partei muss sich
       schließlich gegen den Vorwurf wappnen, lieber schlecht als gar nicht zu
       regieren. Und auch für die SPD wäre die Ampel ein Drahtseilakt, nachdem sie
       sich mühsam von der Agendapolitik befreit und ihre zerstörte
       Glaubwürdigkeit als Anwältin sozialer Gerechtigkeit einigermaßen repariert
       hat. Auch deshalb und nicht nur wegen Olaf Scholz ist sie jetzt wieder
       zurück im Spiel.
       
       Doch mit politischer Glaubwürdigkeit ist es wie mit Porzellan. Sie ist
       zerbrechlich.
       
       3 Sep 2021
       
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