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       # taz.de -- Kinder und Corona: Wieso die Impfquote steigen muss
       
       > Kinder infizieren sich vermehrt mit dem Coronavirus. Das Virus zirkuliert
       > in Kitas und Schulen – die Langzeitfolgen sind nicht absehbar.
       
   IMG Bild: Wer schützt die Kleinsten in der Pandemie?
       
       Uneinheitliche Testkonzepte in den Bundesländern, viele Kitas und
       Klassenräume ohne Luftfilter, vielfältige Quarantäneregeln – und für die
       jüngsten Kinder noch immer kein Impfschutz. Kitas und Schulen öffnen
       wieder, doch ob das im zweiten Coronaherbst so bleiben kann?
       
       [1][Die 7-Tage-Inzidenzen bei den 5- bis 14-Jährigen] liegen in einigen
       Landkreisen Nordrhein-Westfalens nach zwei Wochen Schule weit oberhalb der
       500, das Virus scheint ungebremst durch die Einrichtungen zu ziehen. Zwar
       können sich Jugendliche ab 12 Jahren inzwischen immunisieren lassen, doch
       viele sind noch nicht geimpft. Und die Kleinsten haben diese Möglichkeit
       vermutlich erst im kommenden Jahr. Es sieht deshalb so aus, also ob die oft
       genannte Durchseuchung der Kleinsten nun stattfindet. Die Frage ist, mit
       welchen Folgen.
       
       „Manche Menschen denken, dass die Kinder alle mit dem Virus klarkommen und
       dass es deshalb keine Problem geben wird“, sagt der australische
       Kinderinfektionsexperte Kim Mulholland von der Universität Melbourne. „Aber
       es noch nicht völlig klar, welche Langzeitfolgen eine Infektion für Kinder
       hat.“ Tatsächlich sind zwar schon mehrere Untersuchungen zu dieser Frage
       veröffentlicht worden, die Ergebnisse werden von Experten aber als wenig
       überzeugend kritisiert. Und obwohl nur sehr wenige Kinder wegen einer
       akuten Covid-19-Erkrankung ins Krankenhaus müssen, sagt das noch nichts
       über Symptomatiken aus, die Wochen später einsetzen.
       
       Dazu gehört neben dem oft dramatisch verlaufenden Pediatric Inflammatory
       Multisystem Syndrome (PIMS) auch Long Covid, das bei Erwachsenen mit etwa
       10 Prozent vergleichsweise häufig und auch nach sehr milden
       Covid-19-Erkrankungen auftritt.
       
       ## Die Studienlage ist noch schwierig
       
       Über PIMS-Fälle hat es in Deutschland Berichte gegeben, über Long Covid bei
       Kindern gibt es dagegen auch auf internationaler Ebene eher spärliche
       Erkenntnisse, was daran liegen mag, dass sich die Symptome zum Teil mit den
       Folgen der Schulschließung überlappen. Schlappheit, Depression,
       Konzentrationsprobleme bis hin zum vernebelten Gehirn – all das könnte bei
       unentdeckten Infektionen auch irrtümlich mit der Schließung der Schulen in
       Verbindung gebracht werden.
       
       Das würde zumindest zum Teil erklären, warum die bislang ins Netz
       gestellten Untersuchungen zu einem ziemlich breit gestreuten Ergebnis
       kommen, was Long Covid unter 12 Jahren betrifft. Die Schätzungen liegen
       zwischen weniger als 1 und mehr als 10 Prozent der Kinder, die davon
       betroffen sind.
       
       So weit, so vage – und mit dieser Unsicherheit könnte man eigentlich schon
       genug hadern. Hinzu kommt aber, dass sich das Thema Kinder und Schule nicht
       isoliert betrachten lässt. Es steht im Kontext einer Pandemie, und die
       betrifft die gesamte Bevölkerung. Falls sich alle Kinder unter 12 Jahren
       mangels anderweitiger Bemühungen anstecken, hat das deshalb auch Folgen für
       den erwachsenen, insbesondere den ungeimpften Rest der Bevölkerung.
       
       Die erste Folge einer massiv erhöhten Zirkulation des Virus unter Kindern
       sind mehr Infektionen bei Erwachsenen, und zwar sowohl unter Ungeimpften
       als auch – Stichwort „Durchbruchinfektion“ – unter Geimpften und
       Genesenen.
       
       ## Kinder werden unfreiwillig zum Pandemietreiber
       
       Letztere können sich dann via 2G-Regel im Restaurant oder Fußballstadion
       unter Ihresgleichen noch halbwegs sicher fühlen. Aber man muss kein
       Epidemiologe sein, um zu wissen, dass es im Alltag anders aussieht. Da
       treffen ungeimpfte wie geimpfte oder genesene Erwachsene auf fremde oder
       eigene Kinder, Enkelkinder, Nichten und Neffen, [2][weil man es in einer
       Welt ohne die verhassten Kontaktbeschränkungen nicht bewerkstelligen wird],
       die Kinder auszuklammern.
       
       Die Jüngsten, die sich wegen der noch ausstehenden Studien und
       Sicherheitsprüfungen nun mal nicht impfen lassen können, tragen das Virus
       daher nicht nur von außen in die Schulen und Kitas hinein, nachdem sie sich
       vor allem bei ungeimpften Erwachsenen angesteckt haben. Sie werden es auch
       wieder hinaustragen, und zwar umso häufiger, je stärker das Virus in diesen
       Betreuungseinrichtungen zirkuliert. Mit der Konsequenz, dass Kinder
       unfreiwillig und vollkommen unnötig doch noch zu dem gemacht werden
       könnten, was sie bisher nicht waren: Treiber der Pandemie. Das gilt
       jedenfalls für den kommenden Herbst.
       
       Fachleute sehen diesem Szenario mit großer Sorge entgegen. Sorge um die
       Kinder, die den Preis dafür zahlen müssen, wenn die längst bekannte Lösung
       des Problems – die weitgehende Immunisierung der erwachsenen Bevölkerung –
       nicht stattfindet. Wie sich dieser Preis in medizinischer Hinsicht
       gestaltet, mag zwar noch unklar sein. Mit Infektionen und schwerem
       Krankheitsverlauf müssen vor allem die ungeimpften Erwachsenen und
       Hochbetagte mit schwachem Impfschutz rechnen.
       
       Der Preis, ob medizinisch oder sozial, wird jedoch auch für die Kinder umso
       höher ausfallen, je weniger mündige Bürger und Bürgerinnen in Deutschland
       in den nächsten Wochen das kostenlose und niedrigschwellige Impfangebot
       wahrnehmen.
       
       ## Wo ist die Solidarität mit den Jüngsten?
       
       Vor zwei Wochen hatte der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in
       einer Stellungnahme gefordert, die soziale Teilhabe von Kindern unter 12
       Jahren zu sichern. „Wir appellieren an alle noch nicht geimpften
       Erwachsenen, ihre Verantwortung für Kinder und Gesellschaft wahrzunehmen
       und sich impfen zu lassen.“
       
       Die deutschen Kinderärzte stehen mit ihrem Appell nicht allein. Die
       US-amerikanischen Kinderkliniken haben diese Woche in zwei der
       angesehensten Zeitungen Anzeigen geschaltet, in denen sie alle Erwachsenen
       bitten, sich impfen zu lassen und auch die grundlegenden Vorsichtsmaßnahmen
       zu beachten. „Gemeinsam können wir unsere Kinder besser schützen“, heißt es
       in dem Aufruf. „Sie brauchen unsere Unterstützung, unsere Fürsorge und
       unser Engagement für ihre Zukunft.“
       
       Doch in der Realität ist diese Solidarität weder in den USA, noch in Israel
       oder Deutschland erkennbar. Das bundesweite Impftempo sinkt weiter, die
       Quote der vollständig Geimpften hat die 60-Prozent-Marke gerade mit Mühe
       überschritten. Dabei sind sich Fachleute inzwischen einig, dass erst eine
       Quote von mindestens 85 Prozent in der Gruppe der unter 60-Jährigen und
       eine von 90 Prozent bei den Älteren zu einer spürbaren Entspannung der Lage
       führen würde, trotz der viel zitierten Durchbruchinfektionen, die es dann
       noch immer geben wird.
       
       Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité hat in einem
       Interview mit dem Deutschlandfunk vor wenigen Tagen noch einmal sehr
       deutlich gemacht, dass und warum kein Weg an Impfungen in der erwachsenen
       Bevölkerung vorbeiführt. „Es gibt kaum andere Werkzeuge“, sagte der
       Coronavirusexperte. Das Testen sei allenfalls ein Behelfsmittel gewesen, um
       die Zeit bis zur Zulassung der ersten Impfstoffe zu überbrücken.
       
       Die Gruppe von Kindern, für die es eine solche Zulassung noch immer nicht
       gibt, wird auf dieses Behelfsmittel wohl weiter angewiesen sein. Drosten
       zufolge dürfen diese Kinder aber keinesfalls der Durchseuchung preisgegeben
       werden. Es gebe keinen wissenschaftlichen Beweis, dass es nicht zu direkten
       Erkrankungsfolgen komme. „Die Sicherheit bräuchten wir, um Kinder, wenn man
       das so salopp sagen möchte, freizugeben für eine Durchinfektion.“
       
       4 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
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   DIR Kathrin Zinkant
       
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