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       # taz.de -- Wohnungslose in Berlin: Die Obdachlosigkeit abschaffen
       
       > Wenige Wochen vor der Wahl präsentiert Berlins Sozialsenatorin ihren
       > Masterplan: Sie will Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 komplett beenden.
       
   IMG Bild: 10 Prozent der neu zu vermietenden landeseigenen Wohnungen sollen für Obdachlose sein
       
       BERLIN taz | In gleich zwei Veranstaltungen der letzten Tage ließ sich viel
       über die Obdachlosigkeit in Berlin erfahren: Zunächst sprachen
       Ex-Obdachlose, Angehörige und Helfer*innen in einem Stuhlkreis über das
       ganze Dilemma, das Berlin in eine bürgerliche und eine Schattenwelt teilt.
       Am vergangenen Freitag stellte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke)
       dann passenderweise ihren „Masterplan zur Überwindung der Wohnungs- und
       Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030“ vor. Ist das der Bämm-Moment, auf den
       alle warten, die es nicht ertragen wollen, dass Obdachlosigkeit zum
       Straßenbild Berlins gehört?
       
       „Die anderen Menschen schauen dich an, als wärst du abstoßend und
       irgendwann glaubst du das selbst“, erzählt ein Mann beim Trialog der
       Betroffenen, Helfer*innen und Expert*innen. Er war selbst jahrelang
       wohnungslos. Inzwischen arbeitet er als Peer-to-Peer-Berater – das sind
       Ex-Obdachlose, die vermitteln zwischen den zwei Welten: „Das hat nicht nur
       mich gerettet“, sagt er.
       
       „Das heftigste Gefühl in meiner Arbeit ist Machtlosigkeit“, erzählt eine
       Mitarbeiterin der medizinischen Hilfe. Gerade im Winter würden Menschen mit
       Pflegebedarf und psychiatrischen Erkrankungen bei ihnen „abgeladen“ – ohne
       Perspektive.
       
       „Im ganzen System steckt Gewalt“, sagt die Mitarbeiterin einer
       Wohneinrichtung. Das Verlangen nach Krankheitseinsicht, nach Abstinenz,
       nach Mitwirkung: „Bevor du an deine Hilfe kommst, sind deine Ressourcen
       schon aufgebraucht“, berichtet auch einer, den die psychische Erkrankung
       aus der Bahn warf.
       
       ## Masterplan mit vielen Maßnahmen
       
       Ein Masterplan, der hier Abhilfe schaffen will, der nicht weniger
       verspricht, als [1][Wohnungs- und Obdachlosigkeit zu überwinden], weckt
       große Erwartungen. Die Sozialsenatorin schöpft bei der Vorstellung nicht
       aus dem Leeren, sie hat [2][die Maßnahmen, die sie nun ausweiten und
       verstetigen will, in den vergangenen Jahren als Modellprojekte eingerichtet
       oder als Neuerungen eingeführt] (siehe Kasten): [3][Housing First] und
       [4][Safe Places], [5][24-Stunden-Unterkünfte] statt nächtlicher Nothilfe,
       Peer-to-Peer-Beratung, die erste [6][Obdachlosenzählung] Berlins, das
       Konzept einer [7][gesamtstädtischen Steuerung] der Unterkünfte und der
       unübersichtlichen Hilfsangebote.
       
       Breitenbach macht auch gleich klar: Teurer als bisher soll es mit ihrem
       Masterplan nicht werden. Es sei zwar bereits viel Geld im System, rechnet
       die Sozialsenatorin vor. Weit über 300 Millionen Euro gibt Berlin jährlich
       für die Notversorgung wohnungsloser Menschen aus. „Aber die Situation hat
       sich nicht nachhaltig verändert und deshalb müssen wir das Geld anders
       einsetzen“. Denn wenn ein Mensch erst wohnungslos ist, werde es fast immer
       teurer, sagt die Senatorin. Deshalb sollen in ganz Berlin Präventionsteams
       eingesetzt werden, die bislang nur in vier Bezirken unterwegs sind. Die
       Stadtteilzentren sollen stärker in die Prävention einbezogen werden. Es
       soll Vereinbarungen mit den Bezirken und dort mit den Vermieter*innen
       geben, um ein einheitliches und schnelles (binnen 10 Tagen!) Vorgehen im
       Wohnungsnotfall zu gewährleisten.
       
       Zentraler Paradigmenwechsel des Masterplans aber ist die Einführung von
       Housing First als Leitprinzip. Dafür braucht es allerdings sehr viel mehr
       Wohnungen als die knapp 80 im Modellprojekt. Breitenbachs Antwort: Eine
       feste Quote. Alle landeseigenen Wohnungsgesellschaften sollten 10 Prozent
       ihrer neu zu vermietenden Wohnungen dafür bereitstellen – insgesamt wären
       das bis zu 1.900 Wohnungen jährlich. Der Bestand der landeseigenen
       Berlinovo, die bislang vor allem Mikroappartements im höheren Preissegment
       an Studierende und Geschäftsleute vermietet, solle komplett der sozialen
       Wohnraumversorgung zukommen, fordert Breitenbach. Außerdem sollen die
       bestehenden Wohnungslosenunterkünfte, in denen Menschen teils Jahre ohne
       Perspektive und für viel Geld untergebracht werden, in Wohnungs- und
       Appartementstrukturen umgebaut werden. Der Masterplan sieht dafür ein
       Förderprogramm vor. Generell bei allen Angeboten soll die
       Gleichberechtigung der obdachlosen Menschen im Vordergrund stehen. Auch
       Breitenbach ist Verfechterin des Peer-to-Peer-Konzepts, will es breiter
       einsetzen.
       
       ## Selbstbestimmt über das eigene Leben entscheiden
       
       „Nur wenn die Menschen selbstbestimmt über ihr Leben entscheiden können,
       ist das nachhaltig“, sagt die Senatorin und klingt damit tatsächlich wie
       die Appelle der ehemaligen Obdachlosen und Helfer*innen aus dem
       Stuhlkreis. Doch es bleiben große Fragen. Wie die nach den EU-Bürger*innen,
       die in Deutschland zum Teil keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben.
       Bleiben die in der Schattenwelt? Das betreffe nicht die Mehrzahl der
       obdachlosen Menschen, sagt Breitenbach ausweichend. Zahlen aus
       Wohnungslosenunterkünften, von der Obdachlosenzählung 2020 und frühere
       Aussagen der Senatorin selbst stellen dies infrage.
       
       Ach, und dann gibt es noch den größten Haken, keine vier Wochen vor der
       Wahl: Ein derart umfassendes Konzept verlangt die Zusammenarbeit aller
       Regierungsabteilungen. Man traut einer Elke Breitenbach vielleicht sogar
       zu, das durchzuboxen. Aber dafür müssten sie und die Linke erst einmal in
       der Regierungsverantwortung bleiben.
       
       5 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Manuela Heim
       
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