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       # taz.de -- Die Wahrheit: Japanisches Desaster
       
       > Manche haben im Pandemie-Lockdown außergewöhnliche Dinge erlernt – wie
       > fremde Sprachen. Nicht zu ihrem Besten und dem ihrer Mitmenschen.
       
       Mann, ist das aber auch peinlich!“, sagte Luis, als Raimund aufsprang und
       mit großen Schritten und äußerst alert einem jungen Asiaten
       hinterherstiefelte. Luis war der ungekrönte König des Fremdschämens und
       leuchtete rot wie ein Feuermelder.
       
       Raimund hatte unterdessen den Asiaten am Brunnen vor der Eulaliakirche
       erreicht und redete auf ihn ein. Er hatte den Lockdown genutzt, um
       Japanisch zu lernen, und war entschlossen, die Insel am anderen Ende der
       Welt zu besuchen, sobald dies wieder möglich war. In der Zwischenzeit jagte
       er ständig Konversationsgelegenheiten nach und sprach jeden an, der nur
       irgendwie japanisch aussah. Leider führte das jedes Mal zu einem kompletten
       Desaster, weil sein altersbedingt leicht siebartiges Gehirn selbst
       grundlegende Vokabeln nicht mehr speichern konnte und auch seine Aussprache
       wohl arg fundamentale Schwächen besaß.
       
       Längst fürchteten wir, dass er in Tokio letztlich verhungern würde, weil er
       sich trotz der monatelangen Büffelei nicht mal irgendwo etwas zu essen
       bestellen könnte. Raimund allerdings plagten solche Zweifel nicht. „Wusstet
       ihr“, sagte er einmal zu mir, „dass Takashi gar kein Japaner ist?“ –
       „Takashi? Dem der Teeladen in der Hölderlinstraße gehört?“ – „Er versteht
       kein Wort von dem, was ich sage.“ – „Ach, so! Na, ich fand schon immer,
       dass er eher wie ein Ire aussieht.“
       
       „Immerhin ist der da wirklich kein Japaner, sondern Chinese“, sagte Theo
       jetzt und machte eine Kopfbewegung hinüber zum Eulaliabrunnen. „Seit wann
       kannst du einen Japaner von einem Chinesen unterscheiden?!“, fragte Luis.
       
       Wir saßen vor der Bäckerei Brüser und tranken mal wieder Kaffee. „Ich hab
       vorhin gesehen, dass der Typ eine chinesische Fahne auf dem Rucksack hat“,
       grinste Theo. „Und Japaner mit einer Chinaflagge am Rucksack …“, Theo
       machte es spannend, „… sind ungefähr so häufig wie Dortmunder mit einem
       Schalke-Tattoo am Hintern.“
       
       Erstaunlicherweise plauderten Raimund und der Chinese mittlerweile
       ausgelassen miteinander. „Meint ihr, dass dieser Chinese vielleicht
       japanisch …?“, rätselte Luis. „Quatsch!“, fauchte Theo und machte einen
       weiteren Exkurs zu den Tattoos auf Dortmunder Hinterteilen.
       
       Die zwei kamen näher. Vor unserem Tisch blieben sie stehen, und Raimund
       schien uns seinem Begleiter vorzustellen. Der Chinese lächelte freundlich,
       und Luis murmelte: „Könnte Englisch sein.“ – „Glaub ich nicht“, meinte
       Theo. „Und wenn doch, dann ist es genauso schlecht betont wie sein
       Japanisch. Ich versteh jedenfalls kein Wort.“
       
       Raimund und der Chinese verabschiedeten sich indessen äußerst fröhlich und
       überaus wortreich voneinander, und als Raimund sich wieder zu uns setzte,
       legte er einen Zettel mit einer Adresse irgendwo tief in Schanghai auf den
       Tisch und meinte, dass wir zur Feier dieses schönen Tages doch jetzt ins
       Café Gum umziehen und ein sehr großes und sehr kühles Bier trinken sollten.
       
       7 Sep 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Joachim Schulz
       
       ## TAGS
       
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