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       # taz.de -- Ausgefallene Coronaprämie: Die Vergessene
       
       > Geld war all jenen versprochen worden, die im Gesundheitssystem
       > besonders belastet sind. Hebamme Hanna Schoneville ging leer aus – und
       > nicht nur sie.
       
   IMG Bild: Bestraft, weil sie zu loyal zum Arbeitgeber war: Hanna Schoeville
       
       Berlin taz | Seit drei Jahren arbeitet Hanna Schoneville im Berliner
       [1][Sana-Klinikum] als Hebamme auf der Geburtsstation. Die 29-Jährige macht
       ihren Job gerne, auch wenn die Arbeitsbedingungen nicht immer optimal sind.
       Die gebürtige Emsländerin berichtet von personellen Engpässen und dem
       ständigen Gefühl, nicht gut genug für die Patientinnen da sein zu können.
       
       Mit Beginn der Coronapandemie hielt im vergangenen Jahr eine unsichtbare
       Gefahr Einzug in die Geburtsstation, die eigentlich dem neuen Leben
       gewidmet ist. Extraschichten, Überstunden und die Furcht, sich anzustecken
       – gerade während der ersten und zweiten Welle arbeitete das damals noch
       ungeimpfte Pflegepersonal in Krankenhäusern unter großem Druck.
       
       Zum Dank gab es zuerst Klatschkonzerte von Balkonen und dann, im Herbst
       2020 und Frühjahr 2021, die staatliche [2][Coronaprämie]. Doch das
       versprochene Extrageld hat keineswegs alle Mitarbeitenden erreicht, trotz
       ihres Verdienstes während der Pandemie. Auch Schoneville ging leer aus.
       
       Die Regelung der Coronaprämie sieht vor, dass jedes durch die Pandemie
       besonders belastete Krankenhaus eine kompliziert errechnete Summe erhält,
       um diese dann weiterzugeben. Mit der Verteilung der Prämie aber wurden die
       rund eintausend Einrichtungen alleine gelassen. Der Grund: Sie sollten alle
       Mitarbeitenden einbeziehen, die durch Corona ihre Arbeit umstellen mussten.
       Also wurde in jedem Haus eine eigene Betriebsvereinbarung getroffen.
       
       ## Die Kollegen berichten vom Geld auf ihren Konten
       
       Hanna Schoneville kommt nach ihrem Studium in Österreich nach Berlin und
       bekommt ihre erste Stelle im Sana-Klinikum. Nebenher arbeitet sie
       freiberuflich in der Wochenbettbetreuung und Schwangerenvorsorge. Im Juni
       dieses Jahres erzählen Kolleginnen bei der Arbeit, dass deutlich mehr Geld
       auf ihren Konten gelandet sei. Als Schoneville nachsieht, steht da der
       gleiche Betrag wie immer. Sie wundert sich, schließlich habe sie während
       der gesamten Pandemie genauso gearbeitet wie ihre Kolleginnen auch.
       
       Ziemlich rasch erfährt Schoneville, warum sie nicht mehr Geld bekommen hat:
       Für ihr anstehendes Master-Studium in Gesundheits- und Pflegewissenschaften
       in Halle muss sie umziehen und hat deswegen viele Monate im Voraus beim
       Klinikum ihre Stelle gekündigt. Sie tat das, damit ihre Position ohne
       Zeitnot nachbesetzt werden kann. Doch die staatliche Prämie erhält sie
       deswegen nicht, sie befindet sich nämlich nicht mehr in einem ungekündigten
       Arbeitsverhältnis. Kein Dank also für Menschen, die einen Betrieb
       verlassen.
       
       Es gibt keine gesetzlichen Vorschriften, wer die Coronaprämie bekommen
       soll. In Paragraf 26d des [3][Krankenhausfinanzierungsgesetz]es heißt es
       lediglich, dass Mitarbeitende durch die Pandemie einer „erhöhten
       Arbeitsbelastung ausgesetzt“ sein mussten. Die Kliniken sollten die
       Verteilung intern aushandeln, nach eigenem Gutdünken entscheiden – ähnlich
       wie beim Weihnachtsgeld, nur dass dieses nicht vom Bund kommt.
       
       Man habe es sich damit nicht leicht gemacht, erklärt das Sana-Klinikum auf
       Nachfrage. Am Ende heißt es: Die Prämie gibt es für all diejenigen, die zum
       einen noch nicht gekündigt haben und zum anderen im Juni 2021 angestellt
       sind. Eine geringere Rolle spielt dabei, ob sie in den Hochphasen der
       Pandemie gearbeitet haben.
       
       Auch aus anderen Kliniken heißt es, die Entscheidung über die Verteilung
       sei nicht leicht gefallen. Immer wieder gibt es Mitarbeitende, die sich
       vergessen fühlen. Der Tenor der Entscheider lautet: Es werden nie alle
       zufrieden sein, aber ohne eine Regelung geht es nicht. Um die Interessen
       der Mitarbeitenden zu berücksichtigen, seien
       Arbeitnehmer:innenvertretungen wie der Betriebsrat an den
       Aushandlungen beteiligt gewesen.
       
       ## Ein Flickenteppich an Regelungen
       
       450 Millionen Euro nahm der Bund für die Prämie in die Hand. Unmut sei bei
       dieser Summe unvermeidbar, der Topf hätte „deutlich größer sein müssen,
       sprich im Milliardenbereich“, sagt Uwe Ostendorff vom Fachbereich
       Gesundheit und Soziales bei Verdi. Nun wurde der Sündenbock den
       Krankenhäusern zugeschoben, die den Ärger somit mitten in ihre Belegschaft
       treiben mussten.
       
       Herausgekommen sind unendlich viele unterschiedliche Regelungen. Teils
       bekam nur das aktive Personal die Prämie oder die Mitarbeitenden mussten zu
       einem Stichtag noch angestellt sein. In wenigen Häusern bekamen auch
       ehemalige Arbeitnehmer:innen das Geld. Manche Betriebe schütteten über
       die staatliche Prämie hinaus noch eigene Sonderzahlungen aus.
       
       Hanna Schonevilles Fall und die Regelung im Sana-Klinikum in
       Berlin-Lichtenberg gehören zu den Ausnahmen: Denn sie war sowohl bei der
       Prämienausschüttung als auch in dem betroffenen Zeitraum angestellt. Sie
       teilte ihr Ausscheiden einfach nur sehr früh mit, obwohl sie das nicht
       hätte machen müssen. Hätte sie lediglich die sechswöchige Kündigungsfrist
       eingehalten, wäre auch ihr Juni-Gehalt aufgestockt worden.
       
       Welche Berufsgruppen die Prämie bekommen, ist ebenfalls unterschiedlich
       geregelt. In manchen Kliniken geht das Geld vorwiegend an Pflegekräfte,
       andere inkludieren Reinigungskräfte oder die Verwaltung. Im Sana-Klinikum,
       Schonevilles Arbeitgeber, bekamen auch Teile des Catering-,
       Wäscheversorgungs- und IT-Personals eine Prämie, heißt es auf Nachfrage.
       
       Die Last der Pandemie hat Schoneville wie alle anderen mitgetragen. „Wir
       hatten immer wieder positive Frauen“, erzählt sie. „Wir konnten schwangere
       und gebärende Frauen schließlich nicht auf einer Pandemiestation parken.“
       Kurz vor Weihnachten betreut sie eine infizierte Frau im Kreißsaal, einen
       ganzen Dienst lang. Positive Fälle werden abgeschottet, manchmal kommt aber
       erst im Nachhinein heraus, dass eine Frau erkrankt ist, weil die
       Schnelltests nicht immer anschlagen. Und das in einem Bereich, in dem die
       Frauen zumindest während der Geburt auf die Maske verzichten dürfen, in dem
       es ohne Körperkontakt einfach nicht geht.
       
       Es sind 525 Euro, die Schoneville als Coronaprämie erhalten hätte;
       zumindest sei das die Summe, die Kolleginnen in gleicher Position bekamen,
       sagt sie. Doch es geht ihr nicht um das Geld, sondern um Fairness und den
       Umgang mit Mitarbeitenden. Ein Widerspruchsschreiben, das sie Anfang Juli
       abschickt, wurde drei Wochen gar nicht und erst nach einer Erinnerung
       unpassend beantwortet. Man schickt sie intern von einer Stelle zur anderen,
       erzählt sie.
       
       Auf Nachfrage begründet das Sana-Klinikum die Regelung so: „Stichtage und
       Bemessungsmonate gab es in tariflichen Regelungen schon immer.“ Es sei also
       schlicht üblich und die Entscheidung „im Sinne des Bestandspersonals“.
       
       Der Betriebsrat kann Schoneville nicht helfen, teilt aber mit, dass sie
       versuchen könne, individualrechtlich gegen die Entscheidung der Klinik
       vorzugehen. Eine Nachfrage bei ihrer Rechtsschutzversicherung ergibt, dass
       Schoneville wenig Chancen habe, diesen Rechtsstreit zu gewinnen. Der
       Gesetzgeber hat den Einrichtungen die Entscheidungsgewalt übertragen und
       hat damit keine Handhabe mehr. Lediglich nach dem allgemeinen
       Gleichbehandlungsgesetz könnte argumentiert werden, aber auch da wäre die
       Aussicht auf eine erfolgreiche Klage eher gering. Zu gering für solch eine
       kleine Summe, sagt Schoneville und entscheidet sich gegen eine Klage.
       
       Die Gewerkschaft Verdi empfahl den Betriebs- und Personalräten zu
       kommunizieren, dass eine Beteiligung aller schlicht nicht möglich sei, ohne
       dass der individuelle Betrag lächerlich klein werde. In der Altenpflege
       bestimmte der Gesetzgeber, wer die Prämie erhalten sollte. Doch nach
       Angaben von Uwe Ostendorff war auch das nicht die Lösung aller Probleme:
       Viele Bereiche seien ausgegliedert worden, um Kosten zu sparen, diese
       Menschen gingen wie Schoneville leer aus. Auch ganze Krankenhäuser seien
       nicht berücksichtigt worden, wenn sie zu wenige Covid-Fälle behandelt
       hatten – obwohl die Pandemie auch dort den Alltag bestimmt haben dürfte.
       
       Der Dank in Form der Coronaprämie durch das Gesundheitsministerium hat
       viele erreicht, aber auch Unmut ausgelöst. Dennoch hat es auch gute Seiten,
       den Einrichtungen die Entscheidung selbst zu überlassen. Schließlich kennen
       sie ihre Mitarbeitenden und die Belastungen vor Ort viel besser als der
       Gesetzgeber.
       
       Hanna Schoneville hat mittlerweile mit der Geschäftsführung des
       Krankenhauses gesprochen, schließlich sei sie auch nicht der einzige Fall
       im Haus. Auch dort vertröstet man sie zunächst. Erst jetzt, nach unzähligen
       Schreiben und Telefonaten, scheint sich eine einvernehmliche Lösung
       anzudeuten.
       
       Ihr Team im Kreißsaal wird Schoneville sehr vermissen. Doch das
       Sana-Klinikum selbst verlässt sie mit Groll und Wut.
       
       8 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.sana.de/berlin
   DIR [2] /Pflegekraefte-in-der-Coronapandemie/!5738763
   DIR [3] https://www.dkgev.de/themen/finanzierung-leistungskataloge/covid-19/vereinbarung-nach-21-abs-7-khg/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Weinzierler
       
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