# taz.de -- Tunesiens Parlament bleibt blockiert: Das Vertrauen schwindet
> Präsident Saied will Tunesien reformieren – und suspendiert das
> Parlament. Die EU sollte jetzt die Zivilgesellschaft stützen.
IMG Bild: Soldaten bewachen neben einem Militärfahrzeug den Haupteingang des tunesischen Parlaments
Man kann Tunesiens Präsident [1][Kais Saied] nicht vorwerfen, dass er sein
Wort nicht hält. Die nun verlängerte Aussetzung des Parlaments auf
unbestimmte Zeit, die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten, der
Hausarrest von Geschäftsleuten, die zu Zeiten des Ben Ali-Regimes reich
wurden – alles Ankündigungen aus seinen Wahlkampfreden, die der damals
unbekannte Juraprofessor hielt, bevor er mit überwältigender Mehrheit
Präsident wurde.
Auch seinen rechtlich kaum zu rechtfertigenden Staatsstreich unterstützt
eine breite Mehrheit der Bevölkerung. Gegen Saied standen bisher lediglich
moderate und radikale Islamisten und die korrupte politische Elite. Jetzt
aber bereitet sich auch die Zivilgesellschaft auf Widerstand vor.
Viele ausländische Analysten werfen den Tunesiern Naivität vor und
befürchten ägyptische Verhältnisse: eine Ein-Mann-Herrschaft, gestützt auf
die Armee und den seit 2011 nicht reformierten Polizeiapparat. Die
Regierung in Washington droht bereits, die Militärhilfe für [2][Tunesien]
einzustellen, sollte Präsident Kais Saied das Parlament nicht wieder
einsetzen. Das wird er aber nicht tun.
Zu groß ist die Unterstützung im ganzen Land für das Ende der bisherigen
Scheindemokratie. Zwar haben viele TunesierInnen nur eine vage Vorstellung
von der Basisdemokratie, die [3][Kais Saied] auf seinen Touren durch die
Provinz wie ein Wanderprediger mit einem Team von Freiwilligen anpries.
Vielen reicht es schon, dass er sein Amt nicht zum persönlichen Vorteil
nutzt. Schon das ist eine Ausnahme in einer Gesellschaft, in der zwar nun
Meinungsfreiheit herrscht, aber die Bürger Politik und Staat nur als
Klientelwirtschaft erleben.
Saieds Schwierigkeiten, eine neue Regierungschefin zu finden, einen
schlichten Reformfahrplan vorzulegen und mit der Bevölkerung offen zu
kommunizieren, sind aber bereits klare Anzeichen dafür, dass der
Vertrauensvorschuss schon bald aufgebraucht sein wird.
## Reform als Generationenfrage
Die nötige Reform des noch aus französischen Kolonialzeiten stammenden
zentralistischen und aufgeblähten Verwaltungssystems, die Reform der wie zu
Ben Alis Zeiten agierenden Polizei und Justiz ist eine Generationenfrage.
Der 63-jährige Saied wird hier höchstens ein Stein des Anstoßes sein.
Die EU und Deutschland müssen nun Tunesiens Zivilgesellschaft stärken und
das Land zum Partner machen, bevor die Golfstaaten dies tun.
Die junge Generation wird die Demokratie nicht mehr aus der Hand geben, sie
wird gegen Kais Saied auf die Straße gehen, sollte dieser keinen nationalen
Dialog starten. Doch nach Europa können junge TunesierInnen nicht einmal
für einen Meinungsaustausch, die Chance auf ein Visum ist gleich Null. Wer
hingegen mit dem Boot illegal nach Europa will, ist in wenigen Stunden auf
Lampedusa. Auch in Tunesien scheitert die EU mit ihren Doppelstandards.
24 Aug 2021
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## AUTOREN
DIR Mirco Keilberth
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