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       # taz.de -- Der ökologische Wandel des Olaf Scholz: Plötzlich Klimaschützer
       
       > Lange fand Olaf Scholz das Klimathema eher lästig. Jetzt, im Wahlkampf,
       > wirbt er als „Kanzler für Klimaschutz“. Was ist davon zu halten?
       
   IMG Bild: Nur vordergründig grün: Kanzlerkandidat Olaf Scholz von der SPD
       
       Berlin taz | Die linke Hand lässig in der Hosentasche, den rechten Arm aufs
       Knie gestützt, der Gesichtsausdruck entschlossen: Als „Kanzler für
       Klimaschutz“ wirbt Olaf Scholz im seriösen Anzug mit Krawatte auf den
       knallroten Plakaten der SPD. Auch sonst heißt es bei den Sozialdemokraten,
       die das Thema bei der letzten Wahl 2017 praktisch komplett ignorierten,
       jetzt überall „Klimaschutz wählen!“.
       
       Der Kandidat verspricht ein „Industrieprojekt“ mit vielen grünen Jobs,
       klimaneutralen Wohlstand, eine rasante Beschleunigung beim Ausbau der
       Windkraft und vor allem – keine Verbote. Wenn „Klimakanzler Scholz“ zum
       Thema spricht, geht es nicht um CO2-Reduktion, Schließung von Kraftwerken
       oder das Ende von fossilen Motoren und Heizungen. Sondern Scholz sagt: „Als
       erste Amtshandlung würde ich die [1][Ausbauziele für Erneuerbare hochsetzen
       und den höheren Strombedarf 2045 per Gesetz festlegen].“
       
       So will Olaf Scholz auf der Ökowelle ins Kanzleramt reiten: entschlossener
       als die Union die Erneuerbaren vorantreiben, das Image der Industriepartei
       SPD wiederbeleben und die Grünen als Verbotspartei des reichen Bürgertums
       brandmarken. Bislang ist das erfolgreich: Die BürgerInnen trauen der SPD
       laut ARD-„Deutschlandtrend“ beim Klima jetzt deutlich mehr zu als im
       Frühjahr – wenn auch viel weniger als den Grünen.
       
       Kaum ein anderer Politiker hat sich so schnell zum Klimaschützer gewandelt
       wie Olaf Scholz, der das Thema jetzt „als zentrale Zukunftsmission zur
       Chefsache“ im Kanzleramt adeln will. Die Ökos in der Partei sind
       optimistisch bis begeistert. Umweltverbände sind skeptisch. Und die Grünen
       sprechen von „politischer Heuchelei“.
       
       Denn bis vor zwei Jahren war das [2][Klimathema für den
       Bundesfinanzminister uninteressant und eher störend]. Als seine
       Parteifreundin Svenja Schulze Ende 2018 als Umweltministerin einen eigenen
       CO2-Preis anmahnte, gab es aus seinem Finanzministerium eine klare Absage:
       Es gebe „keinerlei Überlegungen, eine neue CO2-Bepreisung einzuführen“,
       ließ ein Sprecher des Ministeriums die Genossin Schulze auflaufen.
       
       Auch als sich 2019 abzeichnete, dass Deutschland sein Klimaziel 2020
       verfehlen würde, juckte das Scholz nicht weiter. Nicht einmal die Gefahr,
       wegen dieser Zielverfehlung bis 2030 vielleicht 30 bis 60 Milliarden Euro
       an „Strafzahlungen“ an die EU zu entrichten, lockte den Finanzminister aus
       der Reserve.
       
       ## Zum Erfolg gezwungen
       
       Dem CO2-Preis für Verkehr und Heizen im Klimapaket 2019 stimmte Scholz wie
       die gesamte Groko nur widerstrebend zu, als der Druck der „Fridays for
       Future“ zu stark wurde, sich verlorene Wahlen häuften, die Dürresommer
       zunahmen und die Regierung Merkel/Scholz ihre eigenen Klimaziele verfehlte
       und das neue und noch viel ehrgeizigere Ziel der Klimaneutralität 2050
       ausrief.
       
       Beim Klimaschutz war die SPD in der Groko relativ erfolgreich. Sie hat ein
       Klimaschutzgesetz durchgesetzt, das in dieser Form undenkbar schien. Sie
       hat einen CO2Preis eingeführt und verhindert, dass in den Coronahilfen auch
       Verbrennungsmotoren Milliardensubventionen bekamen. Aber zum Klimaschutz
       wurde auch Olaf Scholz gezwungen: durch den Beschluss des
       Bundesverfassungsgerichts im April 2021. Plötzlich musste für den
       Kandidaten Scholz alles schnell gehen: Die SPD profilierte sich gegen die
       Union, weil sie eine faire Verteilung der CO2-Kosten zwischen Mietern und
       Vermietern forderte und beim Ausbau der Erneuerbaren vorankommen wollte.
       
       Scholz setzt in der Klimapolitik auf eine ganz eigene „neue Mitte“: Er
       attackiert die Union für deren Blockade beim Ausbau der Erneuerbaren oder
       den Prognosen zum künftigen Stromverbrauch. Aber er will der Bevölkerung
       nicht sagen, dass seine eigenen Beschlüsse ihr etwas zumuten: Als die
       Grünen im Juni vorschlugen, den CO2-Preis als logische Konsequenz aus den
       Beschlüssen der Groko nach dem Urteil des Verfassungsgerichts schneller
       anzuheben, [3][teilte er heftig aus]: „Wer jetzt einfach immer weiter an
       der Spritpreisschraube dreht, der zeigt, wie egal ihm die Nöte der
       Bürgerinnen und Bürger sind“, polterte der SPD-Kandidat.
       
       Scholz’ Botschaft: Gut, wir machen Klimapolitik, aber bitte keine Panik.
       Diese Stimmung atmet auch das SPD-Wahlprogramm, zum Thema, das sich im Netz
       findet. Es zählt einfach auf, was ohnehin Stand der Planung in der GroKo
       ist: Kohleausstieg 2038, bis 2030 den Erneuerbaren-Anteil auf 65 Prozent
       heben, ab 2026 keine neue Ölheizungen, viel Geld für E-Autos, Radwege,
       Nahverkehr und Gebäudesanierung, maßvoll höhere CO2-Preise über billigeren
       Strom zurückgeben.
       
       Mit diesen Vorschlägen landet Deutschland allerdings weit entfernt vom
       Ziel, seinen Anteil am weltweiten 1,5-Grad-Ziel zu schaffen, findet eine
       aktuelle wissenschaftliche Untersuchung des Deutschen Instituts für
       Wirtschaftsforschung: Von 4 möglichen Punkten erreicht das SPD-Programm nur
       1,8 Punkte, die Grünen bekommen doppelt so viel.
       
       Gute Ansätze im SPD-Programm sehen die Forscher bei der Verkehrspolitik,
       aber insgesamt seien auch die sozialdemokratischen Pläne „häufig weder
       konkret genug noch geeignet“ für das 1,5-Grad-Ziel. Andere Experten
       zweifeln, ob für Scholz Klima wirklich ein zentrales Thema im Kanzleramt
       wäre, das nicht wie bisher dem Hickhack der Ministerien überlassen wird.
       
       ## Begeisterung hier, Skepsis dort
       
       Kritisch ist auch eine kleine Gruppe von jungen GenossInnen aus dem Umfeld
       von „Fridays for Future“, die vor allem bei den Jusos aktiv sind. Seit
       Frühjahr 2021 versuchen die nach eigenen Angaben inzwischen etwa 80
       KlimaschützerInnen in der SPD mit dem Titel „SPD.Klima.Gerecht“ Partei und
       Kandidaten zu mehr Einsatz zu bewegen: Kohle-Aus bis 2030, Ausbautempo bei
       Erneuerbaren verdreifachen, 2 Prozent der Landesfläche für Windräder
       reservieren, ein CO2-Budget für Deutschland, das bereits 2025/26 erschöpft
       wäre, Abschmelzen von umweltschädlichen Subventionen.
       
       Das klingt eher nach den grünen Vorstellungen. „Olaf Scholz kann der erste
       Klimakanzler werden“, sagt trotzdem Maximilian Herzog, Sprecher der kleinen
       Gruppe. „Bisher hat die SPD aber nicht genug gemacht. Wir wollen den Druck
       aufbauen und aufrechterhalten, aber wir wissen, dass das ein langer Weg
       ist.“ Kontakt hatten sie bisher nur mit Parteichefin Saskia Esken, nicht
       mit dem Scholz-Team, sagen sie.
       
       Offiziell steht die Partei hinter ihrem Kandidaten. Im SPD-geführten
       Umweltministerium erzählt man schon seit Monaten, „der Olaf hat das Thema
       für sich entdeckt“ und habe sich tief in die Materie eingearbeitet.
       Umweltministerin Svenja Schulze sagt über ihren Parteifreund auf
       taz-Anfrage, sie habe „nicht den geringsten Zweifel daran, dass Olaf Scholz
       als Bundeskanzler den Klimaschutz massiv vorantreiben wird. Die notwendige
       sozial-ökologische Transformation ist bei ihm in den besten Händen.“
       
       Zumindest auf der Arbeitsebene des Hauses ist die Begeisterung da weitaus
       gedämpfter. Als die Regierung im Sommer ihr
       8-Milliarden-Euro-„Sofortprogramm“ zum Klima auflegte, strich das
       Finanzministerium so viele Ökovorschläge des Umweltministeriums aus dem
       gemeinsamen Papier, dass das Haus kurz davor stand, das Papier nicht
       mitzuzeichnen. Einer der großen Kritikpunkte: Die über 50 Milliarden Euro
       an jährlichen umweltschädlichen Subventionen, die das Umweltbundesamt immer
       wieder moniert, hat Scholz nie angetastet.
       
       ## Gestus als Klimakanzler „zu 100 Prozent Wahlkampf“
       
       Und so finanzieren die SteuerzahlerInnen auch unter dem Klimakanzler in spe
       weiter jährlich billigen Dieseltreibstoff und Kerosin, Dienstwagen oder
       CO2-intensive Steuergeschenke für Unternehmen. Und auch zur umstrittenen
       Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, gegen die UmweltschützerInnen und
       WissenschaftlerInnen Sturm laufen, weil sie fürchten, dass sie die fossile
       Abhängigkeit vom Gas aus Russland zementiert, kommt von Olaf Scholz kein
       schlechtes Wort.
       
       Der Gestus des Klimakanzlers sei „zu 100 Prozent Wahlkampf“, um Ökostimmen
       einzusammeln, sagt der grüne Fraktionsvize Oliver Krischer, „denn in den
       letzten vier Jahren kam da nichts von Scholz“. Der Finanzminister habe die
       Kfz-Steuer nicht ökologisiert, „Schulze beim CO2-Preis zurückgepfiffen“ und
       einen schwachen Kohleausstieg gestützt. Eine Koalition mit Scholz würde für
       Krischer beim Klima „nicht viel Unterschied zur Union machen“: Der Ausbau
       der Erneuerbaren ginge besser, „aber wenn es bei Steuern, Subventionen oder
       Straßenbau konkret wird, hält die SPD zu den Besitzstandswahrern.“
       
       Kai Niebert ist Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), des
       Dachverbands der Umweltverbände. [4][Seit Jahren arbeitet das SPD-Mitglied
       für mehr Umweltschutz]. Er fordert, als Kanzler müsse Scholz „nicht nur
       Gesetze ändern, um so schnell wie möglich die Erneuerbaren auszubauen,
       sondern konsequent gesetzlich den Ausstieg aus den Fossilen festschreiben“.
       Bisher sagt Scholz nur den ersten Teil des Satzes. Niebert begrüßt, dass
       Scholz „verstanden hat, dass Wohlstand nur mit Klimaschutz zu haben ist“,
       aber er kritisiert dessen „Angst vor dem Ordnungsrecht und einem wirksamen
       CO2-Preis“.
       
       Scholz habe die Verschärfung der Ziele im Klimaschutzgesetz und in der EU
       durchgesetzt, lobt Niebert. „Aber er traut sich nicht, die Konsequenzen
       daraus auszusprechen, denn den Kohleausstieg 2030 hat er damit faktisch
       beschlossen“. Die CO2-Preise müssten und würden steigen. „Der Kanzler muss
       umgehend ein Konzept vorlegen, wie das Geld zu den Menschen zurückkommt“,
       fordert Niebert. Er müsse den Mut haben deutlich zu machen, dass
       Klimaschutz Industrie-, aber auch Gesellschaftspolitik sei, dass es „nicht
       nur um andere Autos, sondern um weniger Autos gehe, nicht nur um besseres,
       sondern um weniger Fleisch“.
       
       15 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
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