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       # taz.de -- Parlamentswahlen in Russland: Der rote Nawalny
       
       > Für die Kommunistische Partei in Russland ist Nikolai Bondarenko ein
       > Star. Jetzt will der Regionalpolitiker in die Duma einziehen.
       
   IMG Bild: „Ein Abgeordneter muss bei den Leuten sein“, sagt Nikolai Bondarenko
       
       Moskau taz | Manchmal bringt er ein Megafon mit. Dann stellt sich Nikolai
       Bondarenko zwischen die rötlichen Sitze des Gebietsparlaments von Saratow
       und brüllt. Von Kleptokraten, von Oligarchen, von einem System, das
       geändert gehört. Die Störung der immer gleichen Reden von
       Vertreter*innen der Regierungspartei „Einiges Russland“ gelingt.
       
       Seit Jahren verschafft sich der energische Kommunist Gehör in der
       Regionalpolitik fernab von Moskau. Der 36-Jährige nennt sich
       selbstbewusst einen „echten Oppositionellen“ und fordert ein Ende von
       Klagen in den heimischen Küchen. An diesem Sonntag will er [1][in die Duma
       einziehen], das russische Parlament.
       
       Saratow liegt an der Wolga, 800.000 Menschen leben hier, viele von kaum
       mehr als ein paar Tausend Rubel im Monat. Da sei doch nichts dabei,
       erklärte einst die Arbeitsministerin der Region. 3.500 Rubel – umgerechnet
       knapp 40 Euro – reichten doch aus zum Überleben. „Nudeln und Kefir kosten
       überall gleich.“
       
       Bondarenko nahm es mit der Frau auf und startete ein Experiment: Einen
       Monat lang gab er 3.500 Rubel für Lebensmittel aus, ernährte sich von
       Nudeln und Kefir und träumte davon, sich endlich satt zu essen. In sozialen
       Netzwerken und seinem „Tagebuch eines Abgeordneten“ bei Youtube, wo ihm
       mehr als 1,2 Millionen Abonnent*innen folgen, dokumentierte er sein
       vorübergehendes Leben in Armut. Am Ende hatte er mehr als sieben Kilo
       abgenommen, die Arbeitsministerin musste gehen.
       
       ## Nawalny bezeichnet er als „ideologischen Gegner“
       
       Die Aktion brachte Bondarenko Sympathien weit über Saratow hinaus ein. „Ein
       Abgeordneter muss bei den Leuten sein“, sagt er und geht auf Marktplätze
       und in die Hinterhöfe seiner Region. Auch mit Kritik an Russlands Präsident
       Wladimir Putin hält er sich nicht zurück. Dabei setzt er gekonnt aufs
       Internet und bedient sich damit der gleichen Methoden wie der inhaftierte
       [2][Oppositionspolitiker Alexei Nawalny.] 
       
       Bondarenko bezeichnet den 45-Jährigen zwar als „ideologischen Gegner“,
       reihte sich im Winter aber dennoch in die Reihen der Protestierenden in
       seiner Stadt ein, als diese Nawalnys Freilassung forderten. Eine
       vorübergehende Festnahme folgte. „Ich will nicht, dass es der Macht
       gelingt, jedem, der nicht ihrer Meinung ist, den Mund zu verbieten“, sagte
       er.
       
       Der Jurist war 24, als er Mitglied der Kommunistischen Partei wurde, aus
       Überzeugung, dass der Staat dafür da sei, die Ressourcen gerecht zu
       verteilen. Er war ein Segen für die an Überalterung leidende Partei. Zwei
       Jahre später saß er – als jüngster Abgeordneter – im Stadtparlament von
       Saratow.
       
       2017 wurde er ins Gebietsparlament gewählt. Für die Duma hätte er gern
       gegen den mächtigen Wjatscheslaw Wolodin kandidiert, den Duma-Sprecher und
       Putin-Vertrauten, der ebenfalls aus Saratow stammt. Die Kommunistenführung
       aber war dagegen.
       
       Am Sonntag könnte er dennoch ein Direktmandat gewinnen. Dank Nawalny.
       Dessen Methode des „klugen Wählens“, mit der er die Macht von „Einiges
       Russland“ zu brechen versucht, empfiehlt für den Wahlkreis 165 von Saratow
       einen Kandidaten: Nikolai Bondarenko.
       
       16 Sep 2021
       
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