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       # taz.de -- Regierungsbildung in Afghanistan: Die Galionsfiguren der Taliban
       
       > Nach dem US-Abzug regieren die Islamisten in Afghanistan mit
       > provisorischen Strukturen. Ob das Land wieder ein Emirat wird, steht noch
       > nicht fest.
       
   IMG Bild: Schlange stehen vor der Kabul Bank: Auch das Finanzwesen haben die Taliban übernommen
       
       Im Gegensatz zu den Afghan:innen ist für die USA und ihre westlichen
       Verbündeten der [1][Krieg in Afghanistan seit Montag zu Ende]. Um weiteren
       befürchteten Anschlägen am Flughafen Kabul zuvorzukommen, verließen die
       letzten US-Soldat:innen 24 Stunden vor Ablauf der mit den Taliban
       vereinbarten Abzugsfrist das Land. General Chris Donahue, Kommandeur der
       82. Luftlandedivision, ging als Letzter an Bord der letzten
       Militärmaschine.
       
       Zum ersten Mal ließen die USA sogar eigene Staatsbürger:innen in einem
       Konflikt zurück. Denn der Krieg in Afghanistan ist nicht zu Ende.
       Ausländer:innen, mit ihnen kooperierende Afghan:innen, aber auch die
       Taliban sind [2][Anschlagsziele des zwar dezimierten, aber weiter aktiven
       afghanischen Ablegers der Terrorgruppe „Islamischer Staat“]. General Frank
       McKenzie, Chef des auch für Afghanistan zuständigen US-Central Command in
       Tampa (Florida), sprach von einer Zahl „im sehr niedrigen dreistelligen
       Bereich“. Präsident Joe Bidens Versprechen, „niemand“ werde zurückgelassen,
       ist damit gebrochen. Nach Angaben von US-Veteran:innen evakuierten die USA
       auch nur 8 Prozent der dafür qualifizierten Afghan:innen – etwa 88.000
       Menschen.
       
       Die Taliban feierten unterdessen mit stundenlangem nächtlichem
       Freudenfeuer. Talibansprecher Sabihullah Mudschahed, inzwischen zum
       provisorischen Informations- und Kulturminister aufgerückt, erklärte vor
       Kämpfern auf dem sofort besetzten Kabuler Flughafen, das Land habe nun „die
       volle Unabhängigkeit erreicht, Gott sei Dank“.
       
       Mit Mudschaheds neuem Titel treten erste Konturen der Talibanregierung
       hervor. Es wird auch deutlich, dass bisher Übergangsregelungen herrschten.
       Mit ihrer Rahbari Schura, dem Führungsrat und den ihm unterstellten
       Ressortkommissionen von Finanz- bis Flüchtlingsangelegenheiten verfügen die
       Taliban bereits über eine Regierungsstruktur, die so auch auf Provinz- und
       Distriktebene in den Gebieten funktionierte, die sie schon länger
       kontrollierten.
       
       ## Schlange stehen für 200 Dollar
       
       Bis 2001 gab es in Kabul einen Taliban-Ministerrat, der dem Führungsrat in
       Kandahar unterstand. Am Sonntag bestätigte Mudschahed, dass Talibanchef
       Mulla Hebatullah Achundsada in Kandahar sei und Gespräche führe. Bisher
       hatte man ihn in Pakistan vermutet.
       
       Provisorische Minister traten bisher bei konkreten Anlässen hervor, etwa
       als Hochschulminister Maulawi Abdul Baki Hakkani am Sonntag die
       geschlechtergemischte Bildung an den Universitäten Afghanistans aufhob.
       Bereits eine Woche vorher übernahm ein weiterer Geistlicher, Mulla Muhammad
       Nasir Achund, die Kontrolle über das Finanzministerium und das Bankwesen.
       Seit Montag können die Menschen an einigen Filialen in Kabul wieder bis zu
       200 US-Dollar oder 20.000 Afghani wöchentlich abheben. Es kam zu langen
       Schlangen. Nasir ist nicht Chef der Taliban-Finanzkommission, auch das
       deutete auf eine provisorische Ernennung hin.
       
       Berichte, dass der frühere Taliban-Militärchef Sadr Ibrahim zum
       Innenminister und der Ex-Guantánamo-Häftling Mulla Abdul Kajum Sakir zum
       Verteidigungsminister ernannt worden seien, sind unbestätigt.
       
       Ob Afghanistan wieder ein Islamisches Emirat wird, steht noch nicht fest.
       Noch laufen Gespräche über die Einbindung von Politikern wie Ex-Präsident
       Hamid Karsai, Ex-Oppositionsführer Dr. Abdullah Abdullah und
       Mudschahedinführern wie Gulbuddin Hekmatjar.
       
       Die Bildung eines zwölfköpfigen Staatsrats soll zur Diskussion stehen. Auch
       der Rat der schiitischen Geistlichkeit in Kabul forderte eine
       Regierungsbeteiligung. Wenn die Taliban sich überhaupt darauf einlassen,
       werden solche Regierungsbeteiligungen trotzdem nur Galionsfiguren
       hervorbringen.
       
       31 Aug 2021
       
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