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       # taz.de -- Gleichberechtigung bei der Rad-WM: „Eine Schande“
       
       > Die Rad-WM bietet beim Zeitfahren der Frauen ein besonderes Comeback.
       > Zudem wird über mangelnde Gleichberechtigung diskutiert.
       
   IMG Bild: Die mehrfache Medaillenkandidatin Emma Norsgaard fordert mehr Rennen für Frauen
       
       Die US-Amerikanerin Amber Neben und Dänemarks Jungstar Emma Norsgaard
       rauben den erfolgsverwöhnten Niederländerinnen vor der Straßenrad-WM in
       Belgien mediale Aufmerksamkeit. Und sie könnten sie auch sportlich in
       Bedrängnis bringen. Neben ging vor einem Monat noch an Krücken und peilt
       jetzt in ihrer Spezialdisziplin Zeitfahren eine Medaille an. Norsgaard
       tritt im Zeitfahren, in der Mixed-Staffel und im Straßenrennen an – und hat
       überall Medaillenchancen. Die Mixed-Staffel ist zudem eine Art
       Familienunternehmung für sie. Mit dabei sind auch Bruder Mathias und
       Lebensgefährte Mikkel Bjerg. Norsgaard und Neben sind zwei Frauen, die
       diese WM prägen können.
       
       Radsport wird gern als ein Sport für die ganz harten Kerle bezeichnet, die
       enorme Entbehrungen verkraften. Bei den Weltmeisterschaften im
       Straßenradsport, die an diesem Sonntag begannen, ist aber eine Frau in
       Sachen Leidensfähigkeit weit vorne.
       
       Die US-Amerikerin Amber Neben, die bereits 46 Jahre alt ist und vor fünf
       Jahren Zeitfahrweltmeisterin und diesen Sommer in Tokio Olympiafünfte auf
       der Straße wurde, brach sich vor fast genau einem Monat das Becken. „Ich
       erlitt einen dreifachen Beckenbruch. Ich trainierte in Kalifornien auf
       einem Highway. Ein Autofahrer sah eine Lücke im Verkehr und bog links ab“,
       [1][erzählte sie Cyclingnews damals]. Pech war, dass sie sich mit ihrem Rad
       in der Lücke befand.
       
       Immerhin konnte sie auf eine Operation verzichten. Die Bruchstücke
       splitterten auch nicht. Als der erste große Schmerz vorbei war, begann sie
       sogleich mit ihrem Rehabilitations- und Trainingsprogramm. Erste Bilder auf
       Social Media zeigten sie noch mit Krücken. Am vierten Tag saß sie aber
       schon auf einem gewöhnlichen Hometrainer – gebraucht gekauft für 25 Dollar.
       
       ## Spezielles Trainingsprogramm
       
       Zehn Tage nach dem Unfall saß sie bereits auf ihrem Zeitfahrrad. Ihren
       Genesungsprozess verdankt sie auch einem speziellen Trainingsprogramm, bei
       dem sie sich auf sanfte, schmerzfreie Bewegungen konzentrierte. „Ich habe
       viel Geduld gebraucht und stets in meinen Körper hineingehorcht“, sagte
       sie. Die etwa 40-minütige Belastung im Zeitfahren traut sie sich jetzt zu.
       Ihre Teilnahme am Straßenrennen, für das sie vor dem Unfall qualifiziert
       war, sagte sie indes ab.
       
       Belastungssteuerung ist auch ein Thema für Nebens nicht einmal halb so alte
       Rivalin Emma Norsgaard. Sie beklagte die hohen mentalen Belastungen, die
       eine so lange Saison wie die aktuelle mitbringe. Norsgaard war brillant in
       ihre erste Saison auf dem höchsten Profiniveau gestartet. Im Februar holte
       sie Platz 2 im Halbklassiker Omloop Het Nieuwsblad, im März folgte der
       erste Rundfahrtsieg in Belgien. Bei der Thüringenrundfahrt wurde sie
       Dritte.
       
       „Es war ein fantastisches Jahr. Ich habe mir dabei viel abgucken können
       [2][von Annemiek Van Vleuthen]“, sagte sie. Die Belgierin ist Norsgaards
       Teamgefährtin bei Movistar, zugleich die Überfrau der letzten Dekade. Zur
       WM will die Dänin die Lehrmeisterin herausfordern.
       
       Norsgaard vergisst trotz ihres persönlichen Höhenflugs nicht, auf
       strukturelle Probleme im Radsport hinzuweisen. „Es ist eine Schande, dass
       es keine U23-Kategorie bei den Frauen gibt. Nicht einmal bei der WM gibt es
       einen U23-Wettkampf für Frauen. Aber wir brauchen diese Kategorie, um in
       den Elitebereich hineinzuwachsen“, meinte sie.
       
       Die 22-Jährige hat zwar selbst ohne diese Kategorie den Sprung in die Elite
       geschafft. Sie glaubt aber, dass es vielen Sportlerinnen helfen würde. „Ich
       habe oft mit meinem Bruder Mathias darüber gesprochen. Er sagte mir, hätte
       es die U23-Kategorie nicht gegeben, hätte er niemals den Sprung zu den
       Profis geschafft, denn der Schritt von den Junioren dorthin ist sehr groß.“
       
       Bruder Mathias wurde WM-Dritter der U23 im Zeitfahren vor drei Jahren und
       hat seit vergangenem Jahr einen Profivertrag bei Movistar. Lebensgefährte
       Mikkel Bjerg gewann drei Jahre hintereinander das Regenbogentrikot in der
       U23 im Zeitfahren und ist seit 2020 beim Rennstall UAE angestellt. Emma
       Norsgaard und ihren Altersgenossinnen sind solche Erfolge aber verwehrt.
       „Die Männer haben einen U23-Kategorie, die Frauen nicht. Das muss sich
       ändern“, forderte Norsgaard. Mal schauen, ob das bei der UCI, die am Rande
       der WM ihren Kongress abhält, ein Thema ist.
       
       20 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.cyclingnews.com/news/amber-neben-locked-in-for-world-championships-time-trial-despite-recent-crash/
   DIR [2] /Radsport-nach-der-Coronapause/!5699920
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tom Mustroph
       
       ## TAGS
       
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