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       # taz.de -- Neue Satiresendung „Aurel Original“: Kritik in Neonfarben
       
       > „Aurel Original“, zu sehen in der ZDF Mediathek, wagt sich an
       > Zusammenhänge heran. Funktioniert der Mix aus Unterhaltung und
       > Bildungsanspruch?
       
   IMG Bild: Aurel Mertz erklärt komplexe Themen wie Ausbeutung in der Lohnarbeit in 20 Minuten
       
       Im Jahr 2020 verschwanden die Lacher aus der US-amerikanischen
       Late-Night-Satire „Last Week Tonight“. Nicht nur im wörtlichen Sinn, weil
       es in der Coronapandemie keine Studiogäste gab. Auch spiegelte sich darin
       Fassungslosigkeit über die Ereignisse in den USA wider: die [1][Ermordung
       George Floyds], die mögliche Wiederwahl des Autokraten Donald Trump ins
       Weiße Haus. Lustig war daran gar nichts mehr. Immer öfter konnte man in
       Kommentaren auf Youtube lesen: „Wenn John Oliver gar keine Witze mehr
       erzählt, weiß man, wie schlimm die Lage ist.“
       
       Das Genre „satirische Late-Night-Show“ ist auch in Deutschland beliebt. Es
       beschreibt Sendungen, die sich gesellschaftlich relevanten Themen widmen
       und sie mit Humor kommentieren. Es gibt die „heute Show“ (ZDF) mit Oliver
       Welke, die das politische Tagesgeschehen aufgreift, oder [2][das
       „ZDF-Magazin Royale“ von Jan Böhmermann] mit Schwerpunkten wie der
       Kanzlerschaft von Sebastian Kurz oder künstlicher Intelligenz.
       
       Es ist keine leichte Aufgabe: einerseits ernsthafte bis erschreckende
       Umstände verständlich zu vermitteln und gleichzeitig den Bildungsanspruch
       gut genug als Klamauk zu tarnen, damit Zuschauer:innen, die leichte
       Unterhaltung suchen, nicht verschreckt werden.
       
       Jetzt gibt es ein neues öffentlich-rechtliches Format, das diesen
       Drahtseilakt versucht: „Aurel Original“ ist eine Produktion vom ZDF. Jede
       Woche wird eine Folge veröffentlicht. Moderator Aurel Mertz erklärt
       komplexe Themen wie Ausbeutung in der Lohnarbeit oder die gesellschaftliche
       Diskriminierung der Frau in 20 Minuten. Und das möglichst locker und
       witzig. Hier soll wohl Politsatire für Zuschauer:innen unter dreißig
       entstehen. Funktioniert das?
       
       ## Nur ein bisschen lost
       
       Ein bisschen lost sieht Mertz schon aus, wenn er in dem großen Studio steht
       und in verschiedene Kameras erklärt, wie „unheimlich weird unsere
       aufopferungsvolle Arbeitsmoral ist“, dass sich dank Kapitalismus ein paar
       [3][Superreiche „milliardenschwere Schwanzvergleiche im All“] liefern und
       „eine Lücke in unseren Daten Frauen tatsächlich unsichtbar macht“. Aber
       auch nur ein bisschen lost. Denn die Sendung vermittelt verblüffend gut und
       niedrigschwellig linke Anliegen.
       
       Begleitet wird Mertz’ Vortrag von Einblendungen quietschbunter Grafiken und
       Kollagen, etwa von Jeff Bezos’ Kopf neben einer penisförmigen Rakete. Da
       sieht man: Nicht nur Neoliberale können subversive Ästhetiken ausbeuten, um
       Produkte und Ideologien zu verkaufen.
       
       „Aurel Original“ kann offensichtlich auch eine Sendung mit Neonfarben
       tapezieren, um hinter der Insta-Sticker-Ästhetik Kapitalismuskritik zu
       machen.
       
       Gleichzeitig nimmt „Aurel Original“ keine revolutionären Neuerungen am
       Genre vor: Es gibt klassisch Einspieler mit Straßenumfragen, Sketche,
       Expert:innen-Interviews. Allerdings schaffen es Mertz und sein Team, diese
       Teile tatsächlich lustig zu machen. Sie stellen erfolgreich eine Balance zu
       den Erklärteilen der Sendungen her, die etwas von Frontalunterricht haben.
       
       ## Irrationale Solidarisierung
       
       In der ersten Folge spritzt sich Mertz drei Mal volle Kanne selbst
       Champagner in die Augen und stößt auf den Straßen Kreuzbergs darauf an,
       dass die Superreichen in der Coronazeit noch reicher geworden sind. In
       einem Sketch stolpert er als „Steuerflüchtling“ in Pelzmantel mit
       Reisetaschen voller Perlenketten durch den Wald, um das „reichenfeindliche“
       Deutschland zu verlassen. In einem anderen Sketch verteidigen
       mittelalterliche Bauern ihren ausbeuterischen Lehnsherrn dagegen, fair
       besteuert zu werden. Denn der trage schließlich „das gesamte
       unternehmerische Risiko“.
       
       Die irrationale Solidarisierung von Teilen der Normalbevölkerung mit
       Superreichen oder Liberalkonservativen, die theatralisch ankündigen, im
       Falle von Rot-Rot-Grün auszuwandern, während Menschen vor Kriegen flüchten:
       All das steckt in den „spaßigen“ Teilen der Sendung. „Aurel Original“
       zeigt, es gibt nicht nur die Möglichkeit, schlimme Umstände mit Humor zu
       spicken, um sie erträglicher zu machen. Man kann auch die Albernheiten
       offenlegen, die bereits in den Verhältnissen selbst stecken.
       
       20 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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