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       # taz.de -- Botanisches Museum: Zukunft der floralen Arche Noah
       
       > Der Botanische Garten in Dahlem wächst und gedeiht: Er soll in den
       > nächsten Jahren zum Knotenpunkt der internationalen
       > Biodiversitätsforschung werden.
       
   IMG Bild: Es grünt so grün: Bromeliengewächshaus im Botanischen Garten Dahlem
       
       Berlin taz | Blumen, Bäume, Pilze, Farne: In [1][Berlins Botanischem
       Garten] ist alles auf Wachstum angelegt, jedenfalls in den passenden
       Jahreszeiten. Aber der einzigartige Pflanzenpark in Dahlem strebt nach
       mehr. Als Tochtereinrichtung der Freien Universität will der Botanische
       Garten mit angeschlossenem Botanischem Museum auch wissenschaftlich
       wachsen.
       
       Dazu hat er ein ambitioniertes „Zukunftskonzept“ entwickelt, das ihn bis
       2030 in die erste Liga der Botanikforschungsstätten weltweit führen soll.
       Dabei ist Gartendirektor Thomas Borsch die „Bodenhaftung“ in doppeltem
       Sinne wichtig. „Wir wollen, dass der Mensch einen neuen Zugang zur Natur
       findet und den Reichtum des Lebens bewahrt“, lautet seine Vision für die
       [2][florale Arche Noah]. Im Botanischen Garten werden 20.000
       unterschiedliche Pflanzenarten gehegt und gepflegt. Es ist die größte
       Einrichtung ihrer Art in Deutschland, die jährlich an die 450.000 Besucher
       anzieht. Vor allem das Große Tropenhaus ist zugleich eine
       Touristenattraktion des „Hauptstadtgartens“ mit einer Fläche von 43 Hektar
       und 23 Kilometern Wegstrecke.
       
       Im Moment wird die gewohnte Ruhe durch Bagger und Baulärm gestört. Große
       Umbauarbeiten sind im Gange, innen wie außen. Das Museum erhält eine
       energetische Komplettsanierung plus Neugestaltung der Ausstellungsflächen.
       „Wir wollen die großen Themen wie Klimawandel und Bio-Diversitätskrise in
       neuer Weise vermitteln, und dies auch interaktiv mit der Gesellschaft“,
       sagt Bosch. Das verlangt neben digitalen Formaten auch erneuerte
       didaktische Mittel. Denn nicht nur die natürlichen Arten schwinden unter
       dem Vordringen der Technikzivilisation, sondern auch das Bürgerwissen über
       diese Arten nimmt ab. „Wir brauchen wieder eine biologische
       Alphabetisierung“, formuliert Borsch den Lehrauftrag seines Gartens.
       
       In den Umbau des Museums plus dem neuen Besucherzentrum fließen bis 2023
       neun Millionen Euro an Wirtschaftsfördermitteln; weitere 17 Millionen Euro
       gehen in die Neugestaltung des Außenbereichs. Das Gesamtbudget von Garten
       und Museum liegt bei 14 Millionen Euro jährlich, wovon auch die 40
       Wissenschaftler bezahlt werden. „Unsere Pflanzengeografie der sogenannten
       Temperierten Welt ist international einzigartig“, sagt Gerald Parolly, der
       als Kustos die „mediterranen und temperaten Lebendsammlungen“ betreut, also
       die Pflanzen aus den gemäßigten Breiten.
       
       ## Herbarium mit vier Millionen Exemplaren
       
       In fast 300 Hügeln und Arealen sind im Süden Berlins die
       unterschiedlichsten Vegetationstypen nachgestellt, von der Flachlandheide
       bis zum Hochgebirge. „Diese 110 Jahre alte Anlage bekommt jetzt ein
       komplett neues Besucherleitsystem“, erläutert Parolly. Zentrale Infos über
       Ursprung und Verbreitung werden mit Tafeln vor Ort vermittelt. Noch größer
       wird der Innovationsschub des Zukunftskonzepts aber für jene Bereiche des
       Botanischen Gartens sein, in die normale Besucher üblicherweise keinen
       Zugang haben. Dieser wissenschaftliche Ansatz besteht für Borsch aus drei
       Elementen: der Digitalisierung des jahrhundertealten Archivs an gepressten
       Pflanzen, dem „Herbarium“ mit rund vier Millionen einzelnen Belegen, dem
       größten Bestand in Deutschland.
       
       Derzeit ist etwa ein Fünftel der Bestände digitalisiert und damit
       computernutzbar gemacht worden; bis 2030 sollen die 100 Prozent geschafft
       sein. Teil zwei des Wissenskonzeptes ist die interdisziplinäre Vernetzung
       des Botanischen Gartens, der zwar schon 1679 auf kurfürstliche Veranlassung
       gegründet wurde – damals noch in Schöneberg –, aber erst 1995 zur Freien
       Universität kam, mit der Vielzahl an Instituten der Universität als einem
       internen Wissens-Pool. FU-Präsident Günter M.Ziegler kommt das für das
       Exzellenzkonzept seiner Hochschule sehr entgegen. „Der Botanische Garten
       Berlin bringt in seiner Arbeit die Idee der International Network
       University zum Blühen.“ Dritte Wissensorientierung ist die internationale
       Vernetzung, wo sich Berlin unter verstärkter Nutzung digitaler Techniken
       zum „Knotenpunkt der internationalen Biodiversitätsforschung“ profilieren
       will.
       
       Dazu wurde ein neues „Zentrum für Biodiversitätsinformatik und
       Sammlungsintegration“ gegründet. „In den kommenden zehn Jahren werden wir
       daran arbeiten, unterschiedliche Datentypen so miteinander zu verbinden,
       dass neue Erkenntnisse entstehen“, erklärt Informatiker Anton Güntsch.
       Unter seiner Leitung will das Zentrum neue „Wissensräume“ schaffen, globale
       Entwicklungen prognostizieren und neue Erkenntnisse für den globalen
       Artenschutz gewinnen.
       
       In der „Dahlemer Saatgutbank für Wildpflanzen“, die 2015 ein neues Gebäude
       hinter dem Museum bekommen hat, sind derzeit rund Samen von 13.000
       botanischen Arten archiviert. Darunter befinden sich zahlreiche seltene und
       gefährdete Arten. Deutschlandweit gibt es sechs solcher Saatgutbanken in
       Botanischen Gärten, die jeweils regional spezialisiert sind. „Mit den
       heutigen molekularbiologischen Methoden können wir feststellen, wie es um
       die genetische Vielfalt bedrohter Arten bestellt ist“, erläutert Elke
       Zippel, die Leiterin der Saatgutbank. „In den nächsten zehn Jahren wollen
       wir ein genomisches Monitoring etablieren, das den schleichenden und
       unsichtbaren Verlust von Vielfalt systematisch sichtbar macht“, ist der
       Plan der „Bank-Chefin“.
       
       ## Die Herbonauten kommen
       
       Der Botanische Garten ist an den Berliner Bürgern aber [3][nicht nur als
       Besuchern] interessiert, sondern spannt sie gerne als „Bürgerforscher“ auch
       in seinen wissenschaftlichen Betrieb mit ein. 2017 wurde die
       Citizen-Science-Gruppe „Herbonauten“ gegründet, in der wissenschaftliche
       Laien den hauptamtlichen Botanikforschern bei der Entschlüsselung der alten
       Herbar-Dokumente helfen.
       
       Die jahrhundertealten Blätter sind teilweise in kaum mehr zu entzifferndem
       Sütterlin oder in kyrillischer Schrift verfasst oder sie enthalten
       rätselhafte Ortsangaben. Mit ihrer geografischen oder sprachlichen
       Laienkompetenz konnten die Bürgerforscher häufig genug zur Aufklärung
       beitragen. „Nahezu 95 Prozent der Eingaben sind nach aktueller Prüfung
       unserer Wissenschaft korrekt“, stellt das Botanische Museum fest.
       
       Jetzt soll das Citizen-Science-Engagement auf neuen Feldern ausgebaut
       werden. „Wir brauchen einen Brückenschlag zwischen Wissenschaft und
       Gesellschaft. Ein gemeinsames Anpacken von Biodiversitäts- und Klimakrise“,
       betont Borsch. Das Zukunftskonzept hat wissenschaftliche Samenkörner in die
       Dahlemer Erde gelegt. Man darf gespannt sein, welche Früchte daraus reifen
       werden.
       
       3 Sep 2021
       
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