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       # taz.de -- Umweltsenatorin über Klimaschutz: „Maßnahmen müssen umsetzbar sein“
       
       > Berlins Senatorin Regine Günther (Grüne) über ihre Rolle bei den
       > Klimaprotesten, Schnellladesäulen für Elektroautos – und die Frage der
       > Radikalität.
       
   IMG Bild: Wollen immer mehr, als die Politik vorlegt: Klima-AktivistInnen
       
       taz: Frau Günther, am Freitag vor der Wahl ist wieder Klimastreik. Machen
       Sie mit? 
       
       Regine Günther: Nein. Ich kämpfe seit mehr als 20 Jahren für ambitionierten
       Klimaschutz. Am Freitag vor der Wahl bin ich aber nicht auf der Straße.
       
       Warum nicht? 
       
       Der Protest richtet sich an politisch Verantwortliche wie mich als Berliner
       Klimaschutzsenatorin, aber auch etwa an Svenja Schulze und Peter Altmaier
       im Bundeskabinett – also an jene, die auch für die Umsetzung von
       Klimapolitik verantwortlich sind. Ich habe mich früher viele Jahre als
       Klimaaktivistin an solchen Protesten beteiligt. Ich sympathisiere mit dem
       Klimastreik und sehe auch die Notwendigkeit dafür, aber meine Rolle ist
       momentan eine andere.
       
       Wer hat den Klimaschutz in den letzten fünf Jahren mehr vorangebracht:
       Fridays for Future oder die Politik? 
       
       Die Politik hat von Fridays for Future Druck bekommen, aber auch Rückenwind
       für mehr Klimaschutz. Forderungen sind der Startpunkt. Sie müssen dann aber
       auch operationalisiert werden.
       
       Operationalisiert – was bedeutet das genau? 
       
       Die Forderungen müssen über konkrete Maßnahmen in Emissionsminderungen
       umgesetzt werden. Und zwar vor allem in den drei großen Bereichen Energie,
       Gebäude und Mobilität. Mit präzisen Instrumenten, sonst nützen die besten
       Forderungen nichts. Es braucht beide, Politik und Protestierer, um den
       Klimaschutz voranzubringen.
       
       Geht Ihnen die zunehmende Radikalität vieler Klimaaktivisten nicht langsam
       auf die Nerven? Jede Maßnahme, die die Politik aufgreift, und jedes neue
       Reduktionsziel wird ja gleich wieder als zu schwach und zu langsam
       kritisiert. 
       
       In Sachen Klimaschutz wurde 30 Jahre lang versäumt, jene Maßnahmen zu
       ergreifen, die wirklich notwendig sind. Und die politisch Verantwortlichen
       wussten das. Vielleicht nicht in der heutigen Detailschärfe, aber insgesamt
       genug. Jetzt sind wir in dem Dilemma, die erforderlichen Maßnahmen in ein
       immer kürzeres Zeitkorsett pressen zu müssen. Das kommt an seine Grenzen,
       wenn wir über Infrastruktur sprechen: Schienenausbau, Anlagenbau, Dämmung
       von Millionen Gebäuden – das alles braucht seine Zeit. Radikale Ziele sind
       eben noch keine Umsetzung. Dass nur derjenige der radikalste Klimaschützer
       ist, der die radikalsten Forderungen stellt, ist ein Missverständnis.
       Erfolgreicher Klimaschutz spiegelt sich vor allem auf der Maßnahmenebene.
       
       Konnten Sie denn radikale Maßnahmen umsetzen? 
       
       Wir haben in Berlin in den vergangenen fünf Jahren im Klimaschutz sehr viel
       auf den Weg gebracht. Etliches davon ist in Deutschland einmalig. Wir haben
       mit dem Berliner Energiewendegesetz nicht nur das anspruchsvolle Ziel
       aufgestellt, bis spätestens 2045 klimaneutral zu sein. In Berlin wird nun
       jedes Gesetzesvorhaben auf seine Klimarelevanz geprüft. Wir werden bis 2030
       aus der Kohlenutzung aussteigen, wir werden als erstes Bundesland die
       Fernwärme ökologisch regulieren. Parallel dazu haben wir initiiert, dass
       sehr schnell Solaranlagen auf die Dächer öffentlicher Gebäude kommen. Wir
       haben mit dem Mobilitätsgesetz, das bundesweit ohne Beispiel ist, die
       Verkehrswende mit dem Vorrang von ÖPNV, Rad- und Fußverkehr eingeleitet –
       also den Abschied von der autogerechten Stadt. Bei der energetischen
       Sanierung der Gebäude muss in der nächsten Legislatur allerdings
       entscheidend mehr passieren. Das hängt zu großen Teilen am Bund, weil es
       sehr viel um Förderung geht.
       
       Bis 2045 als Stadt klimaneutral zu sein, ist aber wirklich nicht radikal,
       oder? 
       
       Wir haben vor wenigen Tagen eine Studie veröffentlicht, die in unserem
       Auftrag untersucht hat, ob und wie es mit der Umsetzung in Berlin schneller
       gehen könnte. Aber eben nicht auf der Grundlage von Wunschdenken, sondern
       von maximal ambitionierten, noch möglichen Maßnahmen. Wir sind dabei nicht
       von einer gegriffenen Sanierungsrate für die energetische Verbesserung der
       Gebäude von 4 Prozent pro Jahr ausgegangen, wie es eine andere prominente
       Studie getan hat. Denn jeder weiß, dass wir das nicht hinbekommen werden –
       allein mit Blick auf die Kapazitäten des Handwerks. Unsere Studie hat
       ergeben: Vor den 2040er Jahren ist Klimaneutralität in Berlin nicht zu
       erreichen. Selbst bei einer riesigen Kraftanstrengung.
       
       Das klingt hart. 
       
       Selbst die 70 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2030, die wir uns
       vorgenommen haben, sind noch nicht in trockenen Tüchern. Wir haben noch
       sehr viel zu tun, und deswegen müssen unsere Ziele und Maßnahmen hoch
       ambitioniert, aber eben auch plausibel und nachvollziehbar sein.
       
       Radikal ist also gar nicht so gut? Das Volksbegehren Klimaneutral Berlin
       [1][fordert ein klimaneutrales Berlin bis 2030]. 
       
       Je früher Klimaneutralität erreicht wird, umso besser. Ich habe aber
       bislang kein einziges belastbares Szenario gesehen, wie das bis 2030 gehen
       soll – also mit welchen wirklich umsetzbaren Maßnahmen. Natürlich müssen
       unsere Ziele ambitioniert sein, aber innerhalb der Planungshorizonte auch
       machbar. Wir können und müssen Verfahren beschleunigen, aber auch das hat
       Grenzen, gerade in einer demokratischen Gesellschaft mit viel Beteiligung.
       Sonst könnten wir genausogut sagen: Klimaneutralität bis 2030 ist nicht
       schnell genug – warum nicht gleich bis 2024? Es gibt einfach objektive
       Restriktionen, denen wir uns stellen müssen. Und 2030 kommt bereits in 8
       Jahren.
       
       Umgekehrt gefragt: Wenn selbst der Umbau einer Straße wie [2][Unter den
       Linden voraussichtlich 12 Jahre] braucht, wie wir gerade erst erfahren
       haben, wie will man dann bis 2040 die Wärmedämmung aller Gebäude in der
       Stadt erneuern? 
       
       Indem man heute damit anfängt, entsprechende Förderungen anbietet und den
       Infrastrukturumbau schnellstmöglich vorantreibt. Es gibt präzise Planungen,
       was wir für den Fernwärme- und den Gebäudesektor in den nächsten zwei
       Dekaden brauchen, und auch bei der Mobilität habe ich klare Vorstellungen,
       wie wir hier schon bis 2035 zur Klimaneutralität kommen.
       
       Können Sie das noch einmal skizzieren? 
       
       Entscheidend ist die Elektrifizierung der Kraftfahrzeuge. Um unsere Städte
       lebenswert zu halten, brauchen wir weniger Autos – und die müssen
       batterieelektrisch fahren. Als Land Berlin haben wir hier einiges auf den
       Weg gebracht: Bis 2030 fahren sämtliche BVG-Busse elektrisch, auch für alle
       anderen Landesflotten – ob Polizei, Feuerwehr, Grünflächenämter – gilt das
       Ziel einer Dekarbonisierung bis 2030. Im privaten Bereich steigen die
       Zulassungszahlen für Elektroautos inzwischen exponentiell. Darauf müssen
       wir uns vorbereiten, auch wenn Berlin derzeit gut aufgestellt ist bei den
       Ladesäulen.
       
       Mal konkret: Wie viele haben wir jetzt? 
       
       Aktuell haben wir rund 1.800 Ladepunkte – das ist im Bundesvergleich sehr
       gut, reicht aber nicht für die kommenden Jahre. Wir müssen die
       Ladeinfrastruktur in Berlin schnell ausbauen. Es geht dabei weniger um die
       Anzahl der Säulen, sondern darum, welche Leistung sie haben. Ich bin für
       einen ausreichenden Ausbau der Schnellladestationen, an denen ein E-Auto
       innerhalb einer halben Stunde vollgeladen ist. Die brauchen wir an
       Tankstellen, aber auch in Parkhäusern oder vor Supermärkten. Dazu eine
       öffentliche Fläche pro Bezirk mit zum Beispiel jeweils 20 Säulen. In diese
       Richtung müssen wir in den nächsten fünf Jahren gehen, um eine
       Grundausstattung zu gewährleisten – damit keiner mehr Angst hat, sich ein
       Elektroauto zu kaufen und es dann nicht laden zu können. Die Vorstellung,
       dass wir die Stadt, den öffentlichen Raum, mit 50.000 leistungsschwachen
       Ladesäulen zubauen, halte ich dagegen für abenteuerlich. Wir wollen ohnehin
       nicht den Kfz-Bestand 1:1 austauschen – vom Verbrenner zum Elektroantrieb
       –, schon aus Gründen der Verkehrssicherheit und der Flächengerechtigkeit.
       Städte brauchen weniger Autos, wenn sie ihre Lebensqualität erhalten und
       steigern wollen.
       
       Derzeit besitzt grob jeder dritte Berliner ein Auto. Um wie viel sollte
       dieser Anteil sinken? 
       
       Da lässt sich seriös keine genaue Zielzahl nennen, aber der Plan ist, dass
       das ÖPNV-Angebot und die Radinfrastruktur bis spätestens 2030 so gut
       werden, dass die Leute freiwillig umsteigen. Weil die Busse und Bahnen
       komfortabel sind und rechtzeitig und häufiger kommen als heute. Und weil
       die Radinfrastruktur für alle diejenigen attraktiv wird, die sich jetzt
       noch nicht trauen.
       
       Das heißt, Sie wollen Anreize für den Umstieg auf Elektroautos und
       gleichzeitig, dass weniger Leute überhaupt Auto fahren. Das ist doch ein
       Widerspruch. 
       
       Nein. Wenn jemand ein Auto braucht und möchte, dann sollte es ein
       Elektroauto sein. Grundsätzlich wird es aber weniger Platz für Autos in der
       Stadt geben.
       
       Was heißt das konkret? 
       
       Städtische Flächen sind sehr wertvoll. Nur Parkplätze einzurichten, auf
       denen Autos 23 von 24 Stunden am Tag herumstehen, ist keine
       stadtverträgliche Nutzung. Wir werden die vorhandenen Flächen daher
       umverteilen – vom Autoverkehr auf den Umweltverbund aus Fuß- und Radverkehr
       sowie ÖPNV. Aber eben auch zugunsten anderer Nutzungen, Grünflächen,
       Gebäude und vieles andere mehr. Und wir brauchen eine Zero-Emission-Zone in
       Berlin, erst im S-Bahn-Ring, dann stadtweit. Das Ziel habe ich nicht
       aufgegeben.
       
       Sie hatten auch den Plan, die Parkgebühren deutlich zu erhöhen. Damit sind
       Sie nicht wirklich vorangekommen. 
       
       Also an mir lag es nicht. Wir hatten im Senat auf meine Initiative hin
       bereits 2019 im Luftreinhalteplan beschlossen, dass das Parken in den
       unterschiedlichen Zonen nicht mehr 1, 2 und 3 Euro kosten soll, sondern 2,
       3 und 4 Euro. Die entsprechende Verordnung wurde aber vom Innensenator
       nicht mitgezeichnet, weil er Ausnahmen für einzelne Berufsgruppen
       durchsetzen wollte. Ich kann aber nicht sagen: Alle müssen Parkgebühren
       zahlen, nur eine bestimmte Berufsgruppe nicht. Schon aus rein rechtlichen
       Gründen.
       
       Und die Anwohnervignette, die immer noch noch fast lächerlich billig ist? 
       
       Da gibt es erst seit einem Jahr deutlich mehr Spielraum durch eine neue
       bundesgesetzliche Regelung. Darüber wird in den kommenden
       Koalitionsverhandlungen zu sprechen sein.
       
       Wir hatten ja über Zeithorizonte gesprochen. Mit dem versprochenen Ausbau
       des Tramnetzes sollten Sie in dieser Legislaturperiode eigentlich deutlich
       weiter gekommen sein. 
       
       Wir sind hier deutlich weitergekommen, aber es geht um Infrastruktur und
       damit um sehr lange Vorlaufzeiten. Ich habe nie mehr versprochen, als
       gehalten werden kann. Planungsrecht zu schaffen dauert. Ich habe von Anfang
       an gesagt: Der Ausbau der Tram braucht pro Linie durchschnittlich acht
       Jahre. Und selbst das nur für den Fall, dass niemand den Klageweg
       beschreitet. Wenn Sie dann in der Schublade keine Projekte vorfinden, bei
       denen schon fünf Jahre abgearbeitet sind, werden Sie nicht vier Linien
       fertigstellen und fünf Linien anfangen können – auch wenn es so im
       Koalitionsvertrag steht.
       
       Die [3][Ausbauziele der Tram], die im Koalitionsvertrag stehen, waren nicht
       machbar? 
       
       Neun neue Projekte in fünf Jahren waren nicht machbar. In den 30 Jahren
       seit dem Mauerfall sind überhaupt nur 12 Neubaustrecken eröffnet worden.
       Wir planen jetzt 16 neue Strecken in 15 Jahren – das ist bereits mehr als
       doppelt so viel –, und wir eröffnen die ersten. Im Übrigen haben wir von
       Anfang an das Verkehrssystem in seiner ganzen Breite, also auch jenseits
       von Radinfrastruktur und Tram, in den Blick genommen. Nur so kann die
       Verkehrswende gelingen. Auch die Pendlerinnen und Pendler aus und nach
       Brandenburg, zum Beispiel, brauchen zusätzliche Angebote. Deshalb haben wir
       auf meine Initiative gemeinsam mit Brandenburg das 8-Milliarden-Projekt
       i2030 zum Ausbau der S- und Regionalbahnverbindungen zwischen beiden
       Ländern aufgesetzt. Und wir haben begonnen, neue U-Bahn-Strecken zu
       untersuchen, erstmals seit Jahrzehnten. Wir haben in dieser Legislatur das
       Fundament für eine andere Mobilität gelegt.
       
       Wenn man MobilitätsaktivistInnen hört, klingt das anders. 
       
       Ja: Den einen geht es niemals schnell genug, den anderen passt die ganze
       Verkehrswende nicht. Aber bleiben wir bei den Fakten: Was sieht man denn
       seit Beginn dieser Legislatur in der Stadt? 30.000 neue
       Fahrradabstellplätze, 130 Kilometer neue oder sanierte Radwege, 30
       Kilometer Grünmarkierungen, Deutschlands erste Protected Bikelanes. Viele
       Radstrecken davon in einer Breite und Qualität, die in Deutschland
       ihresgleichen suchen. Eine Tramlinie, die jetzt in den Betrieb geht, und
       eine, die im Bau ist. Ein Zehntel der BVG-Busflotte fährt inzwischen
       elektrisch. Wir sehen Schülerinnen und Schüler, die für ihre ÖPNV-Tickets
       nichts zahlen müssen, wir sehen 60 umgebaute Kreuzungen, die jetzt sicherer
       sind als zuvor. Von 25 Kilometern neu angeordneten Busspuren haben die
       Bezirke immerhin 10 umgesetzt. Man kann immer sagen: Alle 25 wären besser
       gewesen. Aber insgesamt gab es in Berlin seit den 90er-Jahren nur 100
       Kilometer Busspuren, im Vergleich dazu haben wir einen erheblichen Zuwachs
       erreicht. Ich habe jetzt den Radverkehrsplan vorgelegt, da geht es um 3.000
       Kilometer Wege – und ja, deren Bau müssen wir unbedingt beschleunigen. Auch
       dafür haben wir die Verwaltung ertüchtigt, restrukturiert und für die neuen
       Aufgaben viel neues Personal eingestellt.
       
       Was war denn so kompliziert an diesem Radverkehrsplan? 
       
       Es waren insgesamt 3.000 Kilometer festzulegen – das ist ein komplett neu
       entwickeltes Planwerk, dessen Umsetzung Berlin als Fahrradstadt auf ein nie
       gekanntes Qualitätsniveau heben wird. Nur mit einem integrierten Netz
       entsteht eine wirklich neue Qualität. Bisher existiert so etwas nirgendwo
       anders in Deutschland, auch nicht als Plan. Wir haben uns schon bei der
       Entwicklung eng abgestimmt mit Zivilgesellschaft und Bezirken. Leider ging
       ein wichtiger Dienstleister insolvent, auch das hat Zeit gekostet. Zusammen
       mit neuen Regelwerken für Fahrradstraßen, Protected Bikelanes,
       Radschnellverbindungen ist das aber ein riesiges Programm. Der
       Radverkehrsplan war das letzte Stück, das wir noch nicht erledigt hatten.
       Und auch das ist jetzt geschafft.
       
       Sie würden nicht sagen: Ich hätte eigentlich lieber etwas mehr auf die
       Straße gebracht? 
       
       Doch, mehr ist immer besser. Aber „hätte“ ist keine politische Kategorie.
       Ich sehe nicht, dass viel mehr zu schaffen war.
       
       In der Koalitionsvereinbarung war von U-Bahn-Erweiterungen gar keine Rede.
       Das haben Sie geändert. 
       
       Wie gesagt, ich hätte es von Anfang an richtiger gefunden, die ganze
       Palette der Verkehrsoptionen aufzumachen. Das haben wir während der
       Legislaturperiode glattgezogen.
       
       Was ist denn der Zeithorizont für die Erweiterungen, die Sie jetzt prüfen
       lassen? 
       
       Bei der U3 zum Mexikoplatz sprechen wir von 2028–2030, bei den anderen eher
       von 2032–2035.
       
       Setzen Sie da wirklich aufs richtige Pferd? Der Bau von U-Bahn-Strecken ist
       sehr teuer und dauert sehr lange. Sie wollen doch eigentlich schnell etwas
       verändern in Bezug auf Mobilität und Klimaschutz. 
       
       Ich rate hier zu einer Diskussion ohne Schaum vor dem Mund. Wir müssen
       schauen, wie viele Menschen welche Strecke fahren werden, dann gibt es gute
       Bewertungskriterien und Modelle, wann der Bus oder die Tram das
       Verkehrsmittel der Wahl sind – oder eben die U-Bahn. In Spandau wissen wir,
       dass sehr viele Menschen die Verlängerung der U7 nutzen würden. Da wüsste
       ich nicht, warum ich sagen soll: Ich baue keine U-Bahn, ich lasse weiter
       Busse fahren.
       
       Weil es teuer ist und lange dauert. 
       
       Ob solche Strecken volkswirtschaftlich sinnvoll sind, auch noch in 15
       Jahren, ist doch Teil der Untersuchungen. Es geht um Infrastruktur mit
       langer Planungszeit, aber mit noch viel längerer Nutzungsdauer. Richtig,
       der U-Bahn-Bau dauert länger als eine Straßenbahn, aber sie transportiert
       dann auch weitaus mehr Menschen. Und wenn die Nutzen-Kosten-Analyse ergibt,
       dass sich der Bau rechnet, werden wir einen großen Teil aus Bundesmitteln
       finanzieren können.
       
       [4][Der Volksentscheid Berlin autofrei] ist eine Initiative, deren
       Vorstellungen von der Verkehrswende viel weiter gehen als Ihre. Könnte es
       sein, dass diese Initiative die Politik am Ende so vor sich hertreibt wie
       einst der Volksentscheid Fahrrad? 
       
       Ich glaube, unsere Schnittmenge lautet: weniger motorisierter
       Individualverkehr in Berlin. Der Weg dahin, den ich mit meiner Politik
       einschlage, ist aber ein anderer. Dabei setze ich sehr stark auf drei
       Elemente: auf Umverteilung des Straßenlandes, auf Kostenwahrheit für den
       stehenden und fließenden Autoverkehr und auf den Aufbau von Alternativen.
       Wir haben die S-Bahn-Ausschreibung mit 1.300 neuen Wagen, wir kaufen 1.500
       neue U-Bahnen und neue Trams, wir bauen die Netze aus und wir werden die
       unterschiedlichen Mobilitätsformen besser integrieren. Wir setzen aber
       nicht auf den Aufbau von Bürokratie, wie der Volksentscheid es vorsieht.
       Aus meiner Sicht sollte nicht eine Behörde auf Antrag entscheiden, wer wann
       Auto fährt. Sondern jeder entscheidet das selbst, auf der Basis neuer
       Rahmenbedingungen und Angebote und nach einer Umverteilung wertvoller
       Flächen zugunsten des Fuß-, Rad- und öffentlichen Nahverkehrs.
       
       Ihr Problem ist weniger, dass der Vorschlag von „Berlin autofrei“ die
       Bürokratie aufblasen würde, sondern dass Sie finden, man sollte die
       Menschen nicht bevormunden? 
       
       Das Ziel „weniger Autos“ will ich nicht über mehr Bürokratie erreichen.
       
       Kritik an Ihnen kommt nicht nur von denen, die meinen, dass Sie viel zu
       langsam und unentschlossen agieren: Für die anderen sind Sie die
       Autohasserin. Wie leben Sie mit solchen Rückmeldungen? 
       
       Ich habe mir von Anfang an keine Illusionen gemacht. Mobilitätspolitik ist
       immer ein kontroverses Feld, weil Mobilität Menschen nicht nur physisch,
       sondern auch emotional stark bewegt. Es geht um die Veränderung elementarer
       Lebensgewohnheiten. Die Reaktionen sind dann in die eine oder andere
       Richtung entsprechend heftig. Generell wünschte ich mir einen Diskurs mit
       weniger persönlichen Angriffen und Diffamierungen.
       
       Die Legislaturperiode geht jetzt zu Ende. Wie viel von Ihrer Arbeit ist
       eigentlich irreversibel? 
       
       Wir haben die Verkehrswende eingeleitet und sind ein gutes Stück
       vorangekommen. Aber irreversibel ist natürlich gar nichts. Wenn jemand das
       will und die Mehrheit dafür hat, lässt sich auch das Mobilitätsgesetz
       wieder außer Kraft setzen. Oder auf der Karl-Marx-Allee das Straßengrün
       abräumen, um wieder Parkplätze anzulegen. Auch das ist die Wahl, vor der
       die Berlinerinnen und Berliner am 26. September stehen.
       
       Zum Abschluss Ihre Prognose: Wird die A100 jemals über die Spree jemals
       nach Friedrichshain weitergebaut? 
       
       Aus meiner Sicht: nein. Es ist einfach zu antiquiert und passt nicht in das
       21. Jahrhundert, eine Autobahn durch ein Wohngebiet zu betonieren.
       
       21 Sep 2021
       
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       ## AUTOREN
       
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       nach der Abgeordnetenhauswahl deutlich besser sein.
       
   DIR 100 Jahre Avus in Berlin: Aorta der Moderne
       
       Am 24. September 1921 wurde in Berlin die „Automobil-Verkehrs- und
       Uebungs-Straße“ eingeweiht. Seitdem bewegt sich immer mehr auf der
       Autobahn.
       
   DIR Klimaliste-Kandidat über CO2-Ziele: „Unser Ziel heißt 2030“
       
       Ziele, „die nicht unsere Zukunft schützen“, seien sinnlos, sagt Antonio
       Rohrßen von der Klimaliste. Bei der Machbarkeit komme es auf die Prämissen
       an.
       
   DIR Boulevard Unter den Linden: Autofrei in 16 Jahren?
       
       Die langsamen Mühlen der Planung: Was autofreie Linden in Berlin-Mitte mit
       Angela Merkel und Helmut Kohl gemeinsam haben.
       
   DIR Fridays for Future im Regierungsviertel: Radikal zelten fürs Klima
       
       Klimaaktivist:innen haben neben dem Haus der Kulturen der Welt ein
       Protestlager aufgeschlagen. Sie wollen diese Wahl zu einer Klimawahl
       machen.
       
   DIR Rot-rot-grüne Verkehrspolitik in Berlin: Es rollt allen viel zu langsam
       
       Selbst der Verkehrssenatorin Günther geht die Mobilitätswende zu langsam.
       Kritik kommt aus Opposition, Mobilitätsverbänden – und den eigenen Reihen.
       
   DIR Grüne Pläne für Stadtumbau in Berlin: „Mehr Bullerbü“ wagen
       
       Die grüne Spitzenkandidatin Jarasch stellt Visionen für den klima- und
       menschenfreundlichen Stadtumbau vor. Sie grenzt sich damit von der SPD ab.
       
   DIR Volksentscheid Berlin autofrei: „Viele haben die vielen Autos satt“
       
       Donnerstag übergibt Berlin autofrei die gesammelten Unterschriften dem
       Innensenator. Sprecher Manuel Wiemann ist zuversichtlich.