URI: 
       # taz.de -- Neue Machthaber in Afghanistan: Talib or not Talib
       
       > Berichte über Hinrichtungen nähren Zweifel an der Amnestie, die die
       > Taliban ihren Gegnern versprochen haben. Doch nicht immer ist klar, wer
       > Talib ist.
       
   IMG Bild: Neue Plakate in Kabul: ein Taliban als Märtyrer
       
       Drei Dutzend Frauen haben am Donnerstag vor dem Gouverneurssitz im
       westafghanischen Herat für eine Beteiligung in der künftigen Regierung
       demonstriert. Sie hielten Schilder hoch, auf denen sie „Bildung, Sicherheit
       und Arbeit“ als „unsere Grundrechte“ bezeichneten. „Wir werden nicht still
       sitzen, wie die Taliban es fordern“, wurde eine der Beteiligten zitiert.
       
       Zuvor hatten Taliban am Mittwoch nach Berichten afghanischer Journalisten
       gegnerische Kämpfer umgebracht, nachdem die sich ergeben hatten. Auslöser
       war die vorher vereinbarte Entwaffnung von Kämpfern des Chesisch-e Melli
       (Nationaler Aufstand), einer lokalen Miliz der bisherigen Regierung, in der
       zentralafghanischen Provinz Daikundi. Neun Chesisch-Leute seien exekutiert
       worden.
       
       Der Bericht verstärkt verbreitete Zweifel an der Amnestie für Angehörige
       der früheren Regierung und ihrer bewaffneten Kräfte, wie sie die Taliban
       wiederholt verkündeten. [1][Die BBC berichtete am Dienstag] unter Berufung
       auf „mehrere Quellen“ die Hinrichtung der Polizeichefs der Provinzen
       Badghis und Farah, Hadschi Mulla Atschaksai und Ghulam Sachi Akbari, durch
       Taliban. Die [2][Deutsche Welle bestätigte zuvor], dass bei der
       Durchsuchung des Hauses eines ihrer früheren Mitarbeiter ein
       Familienmitglied erschossen wurde.
       
       Es gibt Berichte über zusammengeschlagene Journalisten, geschlossene
       Frauenorganisationen und bedrohliche Hausbesuche, teilweise mit
       Verhaftungen, bei früheren Offiziellen und zivilgellschaftlichen
       Aktivist:innen, aber auch von Freilassungen von Beamten, die nach dem
       Umsturz verschwunden waren. Ein Betroffener berichtete, er sei beim neuen
       Talibangouverneur gewesen, aber „ob als Gast oder Gefangener, war unklar“.
       Viele Menschen, nicht nur Prominente, sind deshalb aus Angst untergetaucht.
       
       ## Keine Gnade für die Gegner
       
       Michael Semple, früherer UN- und EU-Mitarbeiter in Afghanistan und
       Talibankenner, inzwischen an der Queens-Universität Belfast, wertete das im
       BBC-Radio als Beweis dafür dass die Taliban-Militärkommandeure „nicht die
       geringste Absicht haben, die Bewegung zu reformieren oder
       Menschenrechtsstandards einzuhalten“. Diese sei vielmehr „in Panik“, weil
       sie keinen Plan zum Regieren hätten, meinte er unter Berufung auf
       Talibankontakte.
       
       [3][Patricia Grossman], bei Human Rights Watch für Afghanistan zuständig,
       sprach von „polizeistaatsähnlichem Verhalten“, sagte aber auch, dass es
       bisher „keine landesweiten Massenrepressalien“ gegeben habe und einige
       „Tötungen sich als Fälle persönlicher Rache erweisen könnten“. Aus dem über
       zwanzig Jahre von allen Seiten äußerst brutal geführten Krieg sind viele
       private Rechnungen offen
       
       Auch die niederländische Afghanistan-Analystin Martine van Bijlert spricht
       von einem „gemischten Bild“. Sie weist daraufhin, dass es bisher keine
       „Regeln“ für die Talibankämpfer“ gebe, die in den Straßen Polizeiaufgaben
       erfüllen und deshalb selbst entscheiden könnten, gegen wen sie vorgehen. Im
       Moment könne aber „jeder mit einer Waffe und in traditioneller Kleidung
       behaupten, ein Talib zu sein.“ Große Teile Kabuls werden von kriminelle
       Netzwerken heimgesucht. Laut Van Bijlert sei aber klar, dass die Taliban
       „wenig Gnade für die zeigen, die sie weiter bewaffnet bekämpfen“.
       
       2 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bbc.com/news/world-asia-58395954
   DIR [2] https://www.dw.com/de/taliban-t%C3%B6ten-angeh%C3%B6rigen-eines-dw-journalisten/a-58910077
   DIR [3] https://twitter.com/pagossman?s=20
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Ruttig
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Taliban
   DIR Menschenrechte
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Afghanistankrieg
   DIR Frauenrechte
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Hinrichtung in Afghanistan: Blutjustiz im Stadion
       
       Zum sechsten Mal lassen die Taliban eine öffentliche Hinrichtung zu. Die
       islamistischen Machthaber Afghanistans wollen eine Dokumentation
       verhindern.
       
   DIR Frauen aus Afghanistan berichten: Auf Zusagen folgen Schläge
       
       Die Taliban unterdrücken Proteste von Frauen mit Gewalt. Demonstrantinnen
       aus Afghanistan berichten, wie wenig sich die Islamisten geändert haben.
       
   DIR Kämpfe in Afghanistan: Taliban erklären Pandschir für erobert
       
       Talibansprecher Mudschahid verkündet die „vollständige“ Eroberung des
       Pandschir-Tals. Die Nationale Widerstandsfront kündigt an, ihren Kampf
       fortzusetzen.
       
   DIR Frauenproteste in Afghanistan: Frauen an den Verhandlungstisch
       
       Verhandlungen mit den Taliban? Nur wenn Frauen beteiligt sind und ihre
       Rechte gewahrt bleiben. Das sind wir den mutigen Demonstrantinnen schuldig.
       
   DIR Frauenrechte in Afghanistan: Taliban schreiben Niqab an Unis vor
       
       In einem Regelwerk erlauben die Taliban Frauen zwar den Zugang zu
       Hochschulen – doch nur mit Gesichtsverhüllung und getrennt von Männern.
       
   DIR Rettung aus Afghanistan: Die private Luftbrücke
       
       Von Berlin aus versuchen Aktivist*innen, Menschen aus Afghanistan zu
       retten. Von der Bundesregierung fühlen sie sich ausgebremst. Haben sie
       damit recht?
       
   DIR Evakuierung aus Afghanistan: Alle Wege führen über die Taliban
       
       Zehntausende Menschen warten in Afghanistan noch auf ihre Evakuierung.
       Außenminister Maas lotet derzeit aus, wie das gehen kann.
       
   DIR Abzug aus Afghanistan: Zivile Opfer auf den letzten Metern
       
       Um ihren Rückzug zu sichern, haben die USA wohl Zivilisten getötet. Wer
       waren sie? Indes äußern sich die Taliban zum Lehrplan an Universitäten.