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       # taz.de -- Autoexperte Dudenhöffer über die IAA: „Automessen haben ausgedient“
       
       > Die IAA, einst größte Automesse der Welt, ist in der Krise. Autoexperte
       > Dudenhöffer sieht darin nur noch einen „Event mit Volksfestcharakter“.
       
   IMG Bild: VW-Präsentation im Vorfeld der IAA in München
       
       taz: Herr Dudenhöffer, die einst größte Automesse der Welt startet –
       erstmals in München. Was ist anders als bisher bei der [1][IAA in]
       Frankfurt? 
       
       Ferdinand Dudenhöffer: Das Auto steht nicht mehr im Mittelpunkt, sondern
       auch öffentliche Verkehrsmittel, Fluggeräte und Fahrräder werden Thema auf
       der IAA sein. Auch eine Oldtimer-Ausstellung soll es geben, zudem
       Veranstaltungen in der Innenstadt. Es handelt sich also nicht mehr nur um
       eine klassische Messe, sondern eher um ein Event mit Volksfestcharakter.
       
       Das klingt nach einem populären Format. 
       
       Der Zuspruch unter den Automobilherstellern hält sich aber in Grenzen. Die
       großen deutschen Autobauer sind natürlich dabei. Aber schon Opel fehlt. Und
       bis auf Hyundai, Renault und ein paar jungen chinesischen Autofirmen werden
       auch die meisten großen internationalen Autohersteller [2][München] fern
       bleiben. Wenn Autos nicht die Hauptrolle einnehmen, stellt sich für viele
       Hersteller offensichtlich die Frage, warum sie noch kommen sollen.
       Automessen müssen sich für sie rechnen. Gute Laune an den Ständen reicht
       ihnen nicht.
       
       Ausrichter der IAA ist der Verband der Autoindustrie VDA. Kennt er nicht
       mehr die Bedürfnisse seiner Mitglieder? 
       
       Automessen im klassischen Sinn haben ausgedient. Im Zuge des Elektrotrends
       haben Messen wie Battery Days, Power Days, oder eigene Produktvorstellungen
       wie die von Tesla die Show gestohlen. Die Detroit Motorshow ist tot. Auch
       der Autosalon in Genf braucht einen neuen Ansatz. Außer in China. Dort sind
       Automessen weiter ein Erfolgsträger.
       
       Wie ist das zu erklären? 
       
       China ist schon seit geraumer Zeit der mit Abstand wichtigste und größte
       Automarkt der Welt. Der Markt wird weiter wachsen. Um mitzuhalten, müssen
       die Autohersteller jede Gelegenheit nutzen, sich zu präsentieren. Ansonsten
       entsteht dort der Eindruck, dass man nicht präsent ist. Hinzu kommt, dass
       die Auto China in Peking es nicht nötig hat, ihr Themenspektrum zu
       erweitern. Durch das große Angebot an unterschiedlichen und auch
       einheimischen Autobauern, die vor allem bei den Themen Elektromobilität und
       Autonomes Fahren enorm viel zu bieten haben, hat die Messe jede Menge
       Interessantes zu bieten.
       
       Die IAA als Messe hat es schwer, der PKW-Bestand hierzulande hat aber
       zuletzt sogar deutlich zugenommen. Wie passt das zusammen? 
       
       Ja, man sieht, dass das Auto gerade in Corona-Zeiten erheblich an Bedeutung
       gewonnen hat gegenüber öffentlichen Verkehrsmitteln. Und das dürfte auch
       erst mal der Trend bleiben. Virologen betonen schließlich, dass wir
       langfristig mit dem Virus leben müssen. Wir sehen das im Freizeitbereich.
       Caravans und andere Reisemobile erleben einen nie erwarteten Boom. Ich
       glaube, die IAA setzt zu stark auf populäre Themen, die vor der Pandemie
       aktuell waren oder allenfalls hierzulande angesagt sind, etwa die
       Sharing-Welt, die Erneuerung der Bahn, den Fahrradboom. Das spiegelt aber
       nicht den weltweiten Trend wieder.
       
       Sondern? 
       
       Es gibt hier eine große Neugierde auf Entwicklungen beim Elektroauto und
       autonomen Fahren. Ich glaube, beim Verband der IAA hat man diese
       Attraktivität aber nicht in allen Facetten gesehen, sondern hat Themen
       gewählt, die nicht alle den Nerv der Zeit treffen. Trends wie Reisemobile
       oder Facts und Infos zu Virenschutz im Auto wären spannend gewesen. Wenn
       ich mich für eine Veranstaltung entscheide, brauche ich ein Thema, das mich
       interessiert und nicht verwaschene Vielfalt. Die neue IAA bräuchte eine
       klarere Fokussierung.
       
       Autonomes Fahren steht in München auf dem Programm. 
       
       Die deutschen Autobauer haben das Thema auf dem Schirm. Aber die Trends,
       das muss man ehrlich sagen, werden derzeit im Silicon Valley und noch
       stärker in China gesetzt. In China gibt es in Shanghai und Peking mehr als
       500 Kilometer lange Teststrecken. Selbst autonom fahrende LKWs werden dort
       schon ausprobiert. Das allein wäre ein eigenständiges Thema gewesen, das
       die ganze Messe bestimmen könnte. Wenn ich sie allerdings auch mit
       Fahrrädern und Oldtimern vermenge, stellt sich die Frage: Wenn ich was über
       autonomes Fahren wissen will, erfahre ich das wirklich bei der IAA? Oder
       kriege ich ein Potpourri von allem vorgesetzt? Da kann ich gleich zum
       Oktoberfest gehen. Die Gamescom in Köln zeigt, wie man das machen kann –
       dort stellt man ja auch nicht das „Mensch-Ärgere-Dich-Nicht“-Spiel oder
       historische Brettspiele vor.
       
       Ist dieses Potpourri womöglich Ausdruck davon, dass die deutschen Autobauer
       in diesen Bereichen nicht führend sind? 
       
       Dieser Mix an Themen drückt eher aus, dass es keine Strategie gibt, die
       alle gleichzeitig verfolgen. Bei Volkswagen setzt Vorstandschef Herbert
       Diess nun voll auf Elektromobilität. Andere Autobauer wie BMW sind
       vorsichtiger und sagen: Wir brauchen noch lange den Verbrennungsmotor. In
       dieser Dissonanz befindet sich auch die IAA.
       
       Einer Studie des VDA zufolge gehen zwar mehr als 80 Prozent der befragten
       deutschen Autozulieferer davon aus, dass sich die Elektromobilität als
       neuer Standard durchsetzen wird, 88 Prozent rechnen aber erst 2030 oder
       später mit einer vollständigen Ablösung des Verbrennungsmotors. 
       
       Wer derart gelassen mit dem Thema umgeht, hat ein großes Risiko, dass es
       ihn übermorgen nicht mehr gibt.
       
       Wie erklären Sie sich diese Gelassenheit? 
       
       Das ist je nach Zulieferer unterschiedlich. Wer Sitze herstellt, Scheiben
       oder Reifen, den tangiert die Umwälzung nur wenig. Betroffen sind die
       Zulieferer, die Abgasanlagen oder andere Teile für Verbrennungsmotoren
       herstellen. Die Großen haben die richtigen Weichen gestellt. Continental
       etwa hat den Bereich Antriebstechnik ausgegliedert und wappnet sich. Firmen
       wie Bosch werden in Zukunft Geschäfte verlieren, weil sie das
       Batteriegeschäft nicht können. Einen Teil dieser Umsatzeinbrüche werden sie
       jedoch mit der Entwicklung von IT und Software auffangen. BASF und andere
       Chemiekonzerne werden zu den Gewinnern gehören, weil ihre Substanzen für
       die Batterieherstellung benötigt werden. Das Problem sind die eher kleinen
       Firmen, die immer noch glauben, das Gewitter werde schon nicht so schlimm
       wie im Wetterbericht angekündigt.
       
       Noch sind deutsche Autos in China sehr beliebt. Im ersten Halbjahr haben
       sie wieder Rekordabsätze gemeldet. Bei der Elektromobilität hinken sie aber
       hinterher, zumal die chinesischen Autobauer äußerst innovativ sind. 
       
       Um Volkswagen und Daimler mache ich mir wenig Sorgen. Sie setzen voll auf
       elektrische Fahrzeuge, entwickeln Betriebssysteme, um die Fahrzeug-Software
       auch selbst zu beherrschen. Die Deutschen sind die größten
       Premium-Autobauer der Welt. Tesla holt in diesem Segment zwar auf. Doch der
       VW-Konzern mit Audi und Porsche und auch Daimler sind gut aufgestellt. BMW
       muss sich ran halten, kann es aber auch schaffen. Sie alle haben erkannt,
       dass in China die Zukunft der deutschen Autoindustrie liegt, nicht in
       Europa.
       
       Mit dem Elektroauto ID.4 hatte VW in China einen eher schwierigen Start. 
       
       Beim Elektroauto spreizt sich der Markt in China derzeit. Die Chinesen
       kaufen entweder teure SUVs und Limousinen wie Tesla oder preisgünstige
       Kleinautos. Der ID.4 ist zwischendrin positioniert. Der Mini EV von Hong
       Guang etwa ist das meist verkaufte Elektroauto in China und umgerechnet für
       weniger als 4.000 Euro zu haben. Ich denke, VW wird mit den nächsten
       Karosserie-Varianten Marktanteile zurückholen.
       
       Und wie sind die chinesischen Autobauer aufgestellt? 
       
       Sie holen massiv auf und werden auch nach Europa kommen. In Osteuropa sind
       sie bereits, punkten vor allem mit günstigen Fahrzeugen. Mit der Übernahme
       von Volvo durch Geely ist ein chinesisches Unternehmen auch in Westeuropa
       schon präsent. Und Geely ist ja auch bei Daimler mit 10 Prozent beteiligt.
       Der nächste Smart wird von Geely gebaut und nach Europa kommen. Die
       Unternehmen wachsen zusammen mit noch stärkerem chinesischem Akzent.
       
       Die deutschen Autobauer werden chinesisch? 
       
       Das sind sie längst. VW, Audi, BMW und Mercedes bauen Autos nach
       chinesischem Geschmack. Und das wird so weitergehen. Der größte Markt
       entscheidet über den Standard. 2030 werden in China mehr als 30 Millionen
       Autos verkauft werden. Das ist doppelt so viel wie in Europa. Nur wer in
       China eine führende Position hat, wird noch zur Spitze gehören. Die
       Deutschen sind zwar gut aufgestellt, müssen aber aufpassen: Toyota greift
       an, ebenso GM. Der chinesische Markt wird nicht mehr das sein, was er in
       der Vergangenheit war. Dort wird man nicht mehr mit einer ruhigen Gangart
       trotzdem gute Gewinne einfahren. Der Wettbewerb wird massiv zunehmen. VW
       und Daimler haben zuletzt gezeigt, dass sie sich neu erfinden können. Das
       ist das eigentliche Erfolgsrezept.
       
       7 Sep 2021
       
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