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       # taz.de -- Berlin kauft knapp 15.000 Wohnungen: Schlussverkauf vor der Enteignung
       
       > Kurz vorm Enteignungs-Volksentscheid kauft der Senat der Deutschen Wohnen
       > und Vonovia für 2,4 Milliarden Euro Wohnungen ab. Der Deal stößt auf
       > Kritik.
       
   IMG Bild: Zurückgekauft für 2,4 Milliarden Euro: High-Deck-Siedlung in Neukölln
       
       Berlin taz | Laut Koalitionsvereinbarung der rot-rot-grünen Landesregierung
       sollte das Land Berlin bis zum Jahr 2025 400.000 landeseigene Wohnungen
       besitzen. Bis zu 375.000 sind es laut Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD)
       durch Neubau und Ankauf nun schon am Ende der Legislatur. „Wir sind dem
       Ziel deutlich nähergekommen, als manche glaubten“, sagte Kollatz am
       Freitag. Der Finanzsenator präsentierte zusammen mit den Geschäftsführern
       und Vorständen der Wohnungsgesellschaften Howoge, Degewo und Berlinovo
       sowie im Beisein der Vorstandvorsitzenden von Vonovia, Rolf Buch, und der
       Deutschen Wohnen, Michael Zahn, die notarielle Beurkundung von Berlins
       bisher größten Immobiliendeal der Legislatur.
       
       14.754 Wohnungen gehen für 2,4 Milliarden Euro in Landesbesitz über,
       weitere 30.000 Berliner*innen dürften damit ab dem 1. Januar 2021
       kommunale Vermieter haben, dazu noch 450 Gewerbeeinheiten. Die Wohnungen
       wurden über die Landesgesellschaften Howoge, Degewo und Berlinovo gekauft.
       Laut Finanzverwaltung belastet der Deal nicht den Landeshaushalt, weil er
       über Fremdkapital finanziert sei. Der Preis liege im Rahmen des
       Ertragswertes und könne sich langfristig durch Mieterträge refinanzieren.
       Mit der Rückführung in kommunale Hand hätten die Mieter Sicherheit, „dass
       die Wohnungen im preisgünstigen Segment liegen werden“, so Kollatz.
       
       Die SPD musste sich zu dem Deal allerdings auch Kritik gefallen lassen:
       Lange blieben die Details geheim und selbst den Koalitionspartnern
       unbekannt. Die hatten vor einem möglicherweise erheblichen Sanierungsbedarf
       bei den Immobilien gewarnt. Zuletzt hatte die Finanzverwaltung sogar eine
       [1][Klage gegen das Transparenzportal Fragdenstaat verloren], das unter
       anderem wissen wollte, welche Bestände genau Teil des Deals seien. Dennoch
       veröffentlichte Kollatz die Infos erst nach der Beurkundung
       Donnerstagnacht.
       
       Nun ist bestätigt: Bei den verkauften Beständen handelt es sich überwiegend
       um Großsiedlungen und damit aktuellen und ehemaligen sozialen Wohnungsbau:
       die High-Deck-Siedlung in Neukölln, die Thermometersiedlung in Lichterfelde
       Süd, der Ernst-Lemmer-Ring in Zehlendorf und das Falkenhagener Feld in
       Spandau. Enthalten sind aber auch 1.000 Wohnungen in Kreuzberg rund um das
       Kottbusser Tor.
       
       ## Durchaus Sanierungsbedarf
       
       Mehr als die Hälfte der Bestände liegt laut Senat in Spandau,
       Steglitz-Zehlendorf und Neukölln. Im Vergleich dazu eher wenige Wohnungen
       würden auch in anderen Bezirken gekauft, nähere Details finden sich auf der
       [2][Website der Finanzverwaltung].
       
       Die Investitionen seien für die landeseigenen Gesellschaften lohnenswert,
       wie diese am Freitag betonten. Die Ankäufe hätten keinen negativen Einfluss
       auf die Neubauziele. Nichtsdestotrotz seien bereits Gelder für Sanierungen
       veranschlagt. Die Howoge geht bei ihren 8.267 übernommenen Wohnungen von
       einem Asbestsanierungsbedarf in Höhe von über 80 Millionen Euro aus, hinzu
       kämen 50 Millionen für technische Instandsetzungen und weitere 50 Millionen
       als Puffer.
       
       Die Berlinovo, die knapp 4.000 Wohnungen kauft, plant mit 167 Millionen
       Euro für Sanierungen. Die Degewo, bei der über 2.300 Wohnungen landen,
       rechnet mit 84 Millionen Sanierungsbedarf.
       
       Ursprünglich wollte der Senat 20.000 Wohnungen kaufen. Warum es nun 5.000
       Wohnungen weniger sind? Der Degewo-Vorstand Beck nannte „unterschiedliche
       Auffassungen hinsichtlich von Bewirtschaftungsszenarien und
       unterschiedliche Risikoeinschätzungen“.
       
       ## Die Finanzierung von Enteignungen erscheint möglich
       
       Mit dem Deal kauft der Senat zu einem großen Teil ehemals öffentliche
       Bestände zurück. Der rot-rote Senat unter Finanzsenator Thilo Sarrazin
       (SPD) hatte Mitte der Nullerjahre große Bestände privatisiert. Kollatz
       rechtfertigte dennoch den teureren Rückkauf mit gestiegenen Marktpreisen
       und der Wohnungsnot: „Wenn man Kommunalisierungsziele befolgt, muss man
       wissen, dass man Wohnungen zu anderen Preisen zurückerwirbt. Ich halte
       diesen Ansatz aber für richtig“, so Kollatz.
       
       Michael Zahn von der Deutschen Wohnen, von der der Löwenanteil der
       Wohnungen stammt, sagte zur Bewertung der Immobilien, auch in Hinblick noch
       zu erfüllender Klimaschutzziele: „Wir haben keine unterdurchschnittliche
       Ware verkauft, sondern durchschnittliche Ware.“ Man hätte durchaus
       Interesse an der weiteren Bewirtschaftung etwa der Thermometer-Siedlung
       gehabt und finde den Preis sehr fair. Zahn ergänzte aber auch: „Man kann
       vielleicht erst in zehn Jahren erkennen, dass diese Transaktion für die
       Stadt eine gute war“, woraufhin ihm Kollatz sofort in dem Punkt
       widersprach, und dass man das wohl auch bereits früher sehen könne.
       
       Ein ähnliches Finanzierungskonzept verfolgt auch das Volksbegehren Deutsche
       Wohnen & Co enteignen, wobei dieses sogar günstiger vergesellschaften will.
       Sprecher Moheb Shafaqyar sagte zu dem Deal: „Was die SPD hier kurz vor der
       Wahl veranstaltet, ist eine üble Nummer.“ Man befürworte die Überführung
       von Wohnungen in die öffentliche Hand, aber nicht „durch Hinterzimmerdeals
       und zu spekulativen Preisen“, so Shafaqyar. „Der Vorgang zeigt aber, dass
       ein Erwerb von Wohnungen in großem Stil haushaltsneutral finanziert werden
       kann. Auch wenn die SPD öffentlich gerne das Gegenteil behauptet, setzt sie
       genau dieses Konzept jetzt um.“
       
       17 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/fragdenstaat/status/1438050925701128193
   DIR [2] https://www.berlin.de/sen/finanzen/vermoegen/liegenschaften/wohnungsankauf/artikel.1127379.php
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
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