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       # taz.de -- FDP-Spitzenkandidat zum Wahlkampf: „Brandgefährlicher Volksentscheid“
       
       > Fraktionschef Sebastian Czaja könnte Wirtschaftssenator in einer
       > rot-schwarz-gelben Koalition werden. Wohnungspolitik hält er für das
       > zentrale Thema.
       
   IMG Bild: FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja
       
       taz: Herr Czaja, sind Sie nach dem 26. September der Königsmacher oder
       genauer der Königinmacher? Die FDP könnte Franziska Giffey ins Rote Rathaus
       bringen und [1][Rot-Rot-Grün beenden]. 
       
       Der 26. September ist der Wahltag in Berlin und der ist diesmal eine
       Richtungswahl, wo tatsächlich darüber entschieden wird, ob es ein Weiter-so
       mit Rot-Rot-Grün gibt oder ob es mit einer starken FDP einen
       Regierungswechsel in Berlin geben kann …
       
       … und zwar als Teil einer rot-schwarz-gelben „Deutschland-Koalition“? 
       
       Das ist eine Frage, die die Wähler entscheiden. Das unterstreiche ich noch
       mal deutlich. Ich kann aber schon vor der Wahl ausschließen, dass wir mit
       AfD und Linken koalieren werden. Und ich kann auf Basis der Wahlprogramme
       auch heute schon sagen, dass unsere Schnittmengen zu CDU und SPD wesentlich
       größer sind als die zu den Grünen.
       
       Wie sieht das denn mit Ihrem persönlichen Verhältnis zu Frau Giffey aus?
       CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner hat uns berichtet, dass er mit ihr gut
       klarkomme. 
       
       Franziska Giffey liegt tatsächlich im Augenblick in den Umfragen vorne und
       wird aller Voraussicht nach den Auftrag bekommen, eine Regierung zu bilden.
       Aber sie hat bis heute eben auch nicht ausgeschlossen, mit Rot-Rot-Grün
       weiterzumachen – sie lässt sich zu allen Seiten alles offen.
       
       Frau Giffey hat doch zur Linkspartei de facto Nein gesagt, als sie beim
       Thema Enteignung eine rote Linie gezogen hat. Aber noch mal: Wie ist Ihr
       persönliches Verhältnis – oder gibt es das gar nicht? 
       
       Natürlich gibt es das – manch einer sagt schon, wir sollten uns doch einen
       gemeinsamen Tourbus anschaffen, weil wir [2][Spitzenkandidaten im Rahmen
       dieses Wahlkampfs] von morgens bis abends auf unterschiedlichsten Podien
       sitzen und uns damit am Tag mehrfach sehen. Das führt natürlich auch dazu,
       dass man sich am Rande von Podiumsdiskussionen immer wieder austauscht. Wir
       haben da einen guten Gesprächsdraht zueinander. Frau Giffey und mich
       verbindet auch ein gewisser Pragmatismus, ein Thema so angehen, dass wir
       immer bemüht sind, eine Lösung zu finden für ein konkretes Problem, das in
       der Stadt gibt.
       
       Während man sich gut vorstellen kann, dass Ihr Bundesvorsitzender Lindner
       und Grünen-Chef Habeck in einer Koalition zusammensitzen, wirkt das auf
       Berliner Ebene mit Ihnen und etwa Grünen-Stadtrat Schmidt nicht
       vorstellbar. 
       
       Da haben Sie recht, weil uns mehr trennt als verbindet.
       
       Nun ist aber nicht Schmidt die grüne Nummer Eins bei der Wahl, sondern
       [3][Bettina Jarasch, die sich als Brückenbauerin sieht.]
       
       Zwischen der Spitzenkandidatin Jarasch und ihrer Partei könnte das Tal
       nicht tiefer sein – da weiß man nicht: Bekommt man bei einer Stimme für die
       Grünen Frau Jarasch oder bekommt man die grüne Basis? Ich würde sagen: Man
       wählt Jarasch und bekommt Florian Schmidt und Monika Herrmann (Kreuzberger
       Bürgermeisterin, die ins Abgeordnetenhaus will, Anmerkung der Redaktion).
       
       Das klingt nun wie der Kassandraruf der CDU für die Bundestagswahl: Wer
       Olaf Scholz und die SPD wählt, der stimme für ein trojanisches Pferd, aus
       dem nach der Wahl die Parteilinken Esken und Kühnert steigen. 
       
       Das kann man gut miteinander vergleichen. In beiden Fällen kriegt man nicht
       das, was einem vorher vielleicht suggeriert wurde.
       
       Was werden denn für Sie die viel zitierten roten Linien bei
       Koalitionsverhandlungen sein, bei denen Sie vielleicht wie Lindner 2017
       sagen: „Besser nicht regieren als falsch regieren?“ 
       
       Ich kann mich nur wiederholen: Jetzt hat der Wähler das Wort und
       entscheidet darüber, ob er einen Regierungswechsel in der Stadt will. Und
       deshalb kann ich heute mit Ihnen nicht wirklich über die Frage von
       Koalitionsverhandlungen oder Sondierungsgesprächen reden. Dass wir ein
       Bündnis der Mitte favorisieren, darüber haben wir ja aber bereits
       gesprochen.
       
       Was ist denn aus Ihrer Sicht im Berliner Wahlkampf das bewegendste Thema? 
       
       Das ist die soziale Frage unserer Zeit, das ist die Frage von [4][Mieten
       und Wohnungspolitik], die natürlich kontroverser nicht sein könnte, auch
       aufgrund der Debatte rund um den Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co.
       enteignen“.
       
       Wenn dieser Volksentscheid Erfolg hat, aber nach der Wahl durchweg Parteien
       regieren, die Enteignung ablehnen – was passiert dann? 
       
       Dann werden die Parteien, die dann regieren, das machen müssen, was so ein
       Verfahren vorschreibt.
       
       Und das wäre? Die FDP hat ja selbst früher den Senat heftig kritisiert, er
       würde den von Ihnen angeschobenen Volksentscheid zum Flughafen Tegel nicht
       umsetzen. 
       
       Jetzt kämpfen wir ja auch erst einmal dafür, dass dieses unglaubliche
       Vorhaben, die Enteignung ganzer Branchen, die Enteignung der evangelischen
       Hilfssiedlung, die Enteignung von Unternehmen mit jüdischen Eigentümern,
       dass dieser Wahnsinn keinen Erfolg hat. Sollte das nicht gelingen, muss
       eine künftige Regierung die Frage klären, inwieweit der Volksentscheid
       erstens verfassungsgemäß und zweitens verhältnismäßig ist.
       
       Wieso verhältnismäßig? 
       
       Ich meine das in Bezug auf die Belastungen, die damit verbunden sind, also
       im schlimmsten Fall 36 Milliarden Euro an Entschädigungen. Unser
       Landeshaushalt umfasst gerade mal 32 Milliarden pro Jahr.
       
       Der Haushalt würde gar nicht belastet, sagte die Initiative, die den
       Volksentscheid trägt. 
       
       Wenn man sagt, das soll den Landeshaushalt nicht belasten, dann frage ich
       mich, wie das gehen soll.
       
       Das Modell sieht Kredite vor, die aus den Mieteinnahmen der dann
       landeseigenen Wohnungen über 30 oder 40 Jahre getilgt werden. 
       
       Und woraus bezahlt man dann die Instandsetzung und die Renovierung und die
       energetische Sanierung der Objekte? Welcher Mieter will eigentlich in
       diesen Objekten dann noch 40 Jahre wohnen, wenn die Fenster nicht mehr
       repariert werden können, weil keine Gelder da sind, weil damit die Kredite
       abgezahlt werden?
       
       Angeblich reicht es auch dafür. 
       
       Auch die Rechtsfragen sind im Übrigen nach wie vor offen. Aber um zu Ihrer
       Ausgangsfrage nach dem Verfahren zurückzukommen: Es wird eine umfassende
       Prüfung geben müssen, inwieweit dieser Volksentscheid überhaupt politisch
       durchzusetzen ist. Und dann werden sich natürlich die Senatsverwaltung und
       die Gerichte damit auseinandersetzen, und am Ende wird das Parlament über
       eine Empfehlung des Senats abstimmen, wie man mit diesem Volksentscheid
       umgeht. Ich persönlich halte ihn für brandgefährlich, auch für das
       Investitionsklima in unserer Stadt.
       
       Sie meinen tatsächlich, es würde auch einen Investor, der mit Immobilien
       absolut nichts zu tun hat, von einer Ansiedlung abhalten? 
       
       Ja – weil der Volksentscheid auch eine sehr harte Haltung und damit eine
       sehr harte Botschaft in sich trägt: nämlich die, dass es in Berlin keine
       politische Verlässlichkeit gibt.
       
       Falls die FDP mitregiert, wäre es das erste Mal seit 32 Jahren.
       Finanzsenator war damals Günter Rexrodt, später auch
       Bundeswirtschaftsminister, genannt „Mr. Wirtschaft“. Da hängt die Messlatte
       hoch für Sie … 
       
       Günter Rexrodt ist uns in sehr guter Erinnerung, weil er eine extrem gute
       Arbeit für die Stadt geleistet und gezeigt hat, wie wichtig es ist, dass
       die Freien Demokraten mit dabei sind.
       
       Er hat ja 2001 geschafft, was Sie ihm 2016 nachgemacht haben: Die FDP aus
       dem parlamentarischen Off wieder ins Abgeordnetenhaus zu bringen. 
       
       Wenn Sie den Vergleich ziehen wollen, nehme ich das dankend zur Kenntnis.
       
       Folgen Sie ihm dann auch als Senator nach? Für Wirtschaft? 
       
       Bevor es am Ende um irgendwelche Senatorenposten geht, gibt es erstens
       Wahlen, zweitens Koalitionsgespräche und drittens eine Entscheidung der
       Partei darüber.
       
       Eine Partei macht aber selten jemanden zum Spitzenkandidaten, um ihn danach
       nicht in der Regierung sehen zu wollen. 
       
       Ich räume ein: Die Vergangenheit würde Ihnen recht geben, aber ich mag mich
       an solchen Spekulationen nicht beteiligen. Aber was das Ressort betrifft,
       das Sie angesprochen haben …
       
       … also Wirtschaft. 
       
       Da würden wir bei einer Senatsbeteiligung Verantwortung übernehmen wollen,
       nämlich Wirtschaft gekoppelt mit Innovation und Digitalisierung. Dieses
       Ressort wird maßgeblich auch mit darüber entscheiden, ob der Wohnungsbau in
       der Stadt gelingt und ob wir Investitionen nach Berlin holen können.
       
       14 Sep 2021
       
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