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       # taz.de -- Niederdeutsche Mundart: Jo, dat is würklich ’ne Sproak
       
       > Platt muss sein! Unsere Autorin hat sich in ihrer Muttersprache mit ihrer
       > Muttersprache befasst. Weiter unter gibt's die Übersetzung.
       
   IMG Bild: De Ummanzer secht to een Rind „dei Kau“ – un ick sech de Koh
       
       Ummanz/Insel Rügen taz | Wie ut de Öwerschrift to sehn, geht dat hier nich
       üm een plattes Ding; nee, dat gehn üm ene Sproak, nämlich dat Plattdütsche.
       Jo, dat is würklich ’ne Sproak un keen Dialekt. Räden deht man Plattdütsch
       de Ostseeküst lang un ok anne Nurdsee un ok in Meckelbörg. Dat is woll
       öwerall ’n lütt bäten anners – man kann sich likers verstoahn. In de Tied
       von de Hanse wier Plattdütsch de gebrükliche Verstännigung twischen de
       Hannelslüd.
       
       Dat uns Sproak öwerall so’n bäten anners klingen deht, is oll up Rügen to
       marken. Ick bün in Bargen upwossen un häw von Mudding un Grotmudding dat
       Bargensche Platt liehrt. As ick vör föfftig Joahr no Ummanz trocken bün mit
       Mann un twee Kinner, krech ick von unse Fischers to hüren: „Du rädst keen
       richtiges Platt!“ Nee, richtiges un verkiertes Platt giwt gor nich, denn up
       ganz Rügen markt man Unnerschiede. De Mönchguter, de Hiddenseeschen, de
       Wittowschen un äben de Bargener räden bäten anners; un ick blief bi dat,
       wat ick to Hus liehrt häw, dor bün ick stur! Tom Bispill secht de Ummanzer
       to een Rind „dei Kau“ – un ick sech de Koh. Öwer, wi verstoan uns, ok wenn
       ick bi mine Läsungen un in de Texte de Würd verwennen do, de ick in Bargen
       liehrt häw.
       
       Väle von de berühmten plattdütschen Schriewers sün mit verschiedenes Platt
       togang. De Rostocker Richard Wossidlow („Reise, Quartier in Gottes Naam“)
       schrift miehr dat Seemannsplatt, bi dat man oft de Verbinnung to dat
       Inglische marken kann – denn, wenn up een Schipp ropen ward „Reise, reise“,
       is dat inglisch Wurd rise meint, wat upstoahn heet. Un de Meckelbörger
       Fritz Reuter schreef natürlich in sien Platt. „Ut de Stromtied“, „Ut de
       Franzosentied“ – dor is dat mit Napolen meent – un noch väl miehr hät he
       schräwen. Noh de Napoleontied wier dat bi de „bäteren“ Lüd ok vörnähm,
       französisch to räden, se kunnen öwer ok Platt för enne Buern, denn de
       kunnen natürlich keen Französisch.
       
       In eene Geschicht wier ees ’n Sägler mit Französinnen an Burd bi schlicht
       Wäder bi Hiddensee vör Anker goahn, den Sturm aftotöben. De Doamen wieren
       nieglich un güngen up de Insel in den’n Glowen, hier keene Zivilisation to
       finnen. Se kemen an een wunnerschönes Hus, wo fein antrockene Kinner in’n
       Gorden spälten. De rädten se up Französisch an un kregen in ehre Sproak ’ne
       Antwurt. Dat hät enn dägern verfiert. Jo, de Kinner kunnen Französisch,
       Plattdütsch und Hochdütsch! De Doamen würden in dat Hus inloaden un dürften
       bi ene Hochtid dorbisin.
       
       Ganz niege Inflüsse kemen noh 1945 to uns Platt hento, denn to de Tied
       würden ok up Rügen väle Flüchtlinge inquartiert. De Minschen wieren ton
       groden Deel ut Hinnerpommern un rädten ok Platt. Tämlich anners as wi, man
       künn sich öwer verstoahn.
       
       Väl Afsonnerliches is in manch plattdütsch Wurt to finnen, un de ollen
       Plattdütschen hebben manchmoal Meuh, sich up dat Hochdütsche to besinnen.
       So har een von uns Fischer Urlauber in sien Hus unnerbröcht. Dat is woll
       oll vierdig Joahr her un wier in de Sommertied. De Gast freuchte sich, dat
       de Fischer so’n feinen Kirschboom har. Uns Fischer wull em verklickern,
       wurüm dat nich ümmer spoaßig is un sächt: „Ja, aber die vielen Spreigen!“
       De Anner keek em froachwies an. „Na, die vielen Spreen!“, versöchte de
       Fischer dat noch ees. Wier ok nich bäter ankommen, denn dat hochdütsche
       Wurt „Stare“ wier unsen Fischer nich infollen.
       
       Giwt ok Würd, de öwer Ümweeg to verkloren sünd: „Bottervoagel“, dor müßt du
       an Buttervogel denken un häst butterfly – Schmetterling. Odder, een sächt:
       „Kiek, wur de utsüht, as so’n Voagelbunt – bunter Vogel? Nee, hier is de
       Vagabund meent! Un wenn een sächt: „Brukst nich gliek pissing ut Öking!“ –
       pinkeln ut de Ogen –, denn is meint, brukst nich glik to blaren! Disse
       Besonnerheiten weten nich miehr väle Lüd, un wi möten uppassen, dat ümmer
       noch wek dor sünd, de dat Platt verstoahn, läsen un vielleicht ok noch
       räden können!
       
       ## Bei uns wird Platt immer großgeschrieben!
       
       Wie aus der Überschrift zu sehen, geht es hier nicht um ein plattes Ding;
       nein, es geht um eine Sprache, nämlich um das Plattdeutsche. Ja, das ist
       wirklich eine Sprache und kein Dialekt. Reden tut man Plattdeutsch die
       Ostseeküste lang und auch an der Nordsee und auch in Mecklenburg. Das ist
       wohl überall ein klein bisschen anders – man kann sich trotzdem verstehen.
       In der Zeit von der Hanse war Plattdeutsch die gebräuchliche Verständigung
       zwischen den Handelsleuten.
       
       Dass unsere Sprache überall so ein bisschen anders klingen tut, ist schon
       auf der Insel Rügen zu merken. Ich bin in der Inselhauptstadt Bergen
       aufgewachsen und habe von Mutter und Großmutter das Bergensche Platt
       gelernt. Als ich vor fünfzig Jahren nach Ummanz, auf die kleine Schwester
       Rügens, gezogen bin mit Mann und zwei Kindern, kriegte ich von unseren
       Fischern zu hören: “Du redest kein richtiges Platt!“ Nein, richtiges und
       verkehrtes Platt gibt`s gar nicht, denn auf ganz Rügen merkt man
       Unterschiede. Die Mönchguter im Südosten der Insel, die Hiddenseeschen, die
       Wittowschen im Norden, und eben die Bergener reden ein bisschen anders; und
       auch ich bleibe bei dem, was ich zu Hause gelernt habe, da bin ich stur!
       Zum Beispiel sagt der Ummanzer zu einem Rind „dei Kau“ – und ich sage „de
       Koh“. Aber, wir verstehen uns, auch, wenn ich bei meinen Lesungen und in
       den Texten die Wörter verwende, die ich in Bergen gelernt habe.
       
       Viele von den berühmten Plattdeutschen Schreibern sind mit verschiedenem
       Platt zugange. Der Rostocker Volkskundler Richard Wossidlow („Reise,
       Quartier in Gottes Namen“) schreibt mehr das Seemannsplatt, bei dem man oft
       die Verbindung zum Englischen merken kann. Denn, wenn auf einem Schiff
       gerufen wird „Reise, reise“, ist das englische Wort rise (reis gesprochen)
       gemeint, was „aufstehen“ heißt. Der Mecklenburger Schriftsteller Fritz
       Reuter schrieb natürlich in seinem Platt. „Aus der Stromzeit“, „Aus der
       Franzosenzeit“ – über Napoleon – und noch viel mehr hat er geschrieben.
       Nach der Napoleonzeit war es bei „besseren“ Leuten vornehm, französisch zu
       reden. Sie sprachen aber auch Platt mit ihren Bauern, denn die konnten
       natürlich kein Französisch.
       
       In einer Geschichte war mal ein Segler mit Französinnen an Bord bei
       schlechtem Wetter bei Hiddensee vor Anker gegangen, um den Sturm
       abzuwarten. Die Damen waren neugierig und gingen auf die Insel in dem
       Glauben, hier keine Zivilisation zu finden. Sie kamen an ein wunderschönes
       Haus, wo fein angezogene Kinder im Garten spielten. Die sprachen sie auf
       französisch an und bekamen in ihrer Sprache eine Antwort. Das hat sie arg
       erschreckt. Ja, die Hiddenseeschen Kinder konnten Französisch, Plattdeutsch
       und Hochdeutsch! Die Damen wurden dann in das Haus eingeladen und durften
       bei einer Hochzeit dabei sein.
       
       Ganz neue Einflüsse kamen nach 1945 zu unserem Mecklenburger Platt hinzu,
       denn zu dieser Zeit wurden auch auf Rügen viele Flüchtlinge einquartiert.
       Die Menschen kamen zum großen Teil aus Hinterpommern und redeten auch
       Platt. Ziemlich anders als wir, man konnte sich aber verstehen.
       
       Viel Absonderliches ist in manchem plattdeutschen Wort zu finden, und die
       alten Plattdeutschen haben manchmal Mühe, sich auf das Hochdeutsche zu
       besinnen. So hatte einer von unseren Fischern auf der Insel Urlauber in
       seinem Haus untergebracht. Das ist wohl schon vierzig Jahre her und war in
       der Sommerzeit. Der Gast freute sich, dass der Fischer so einen feinen
       Kirschbaum im Garten hatte. Unser Fischer wollte ihm erklären, warum das
       nicht immer spaßig ist und sagte auf Platt: “Ja, aber die vielen Spreigen!“
       Der Andere guckte ihn fragend an. „Na, die vielen Spreen!“, versuchte der
       Fischer es noch einmal. Was aber auch nicht besser ankam, denn das
       hochdeutsche Wort „Stare“ war unserem Fischer nicht eingefallen.
       
       Und so gibt es auch Wörter, die über Umwege zu erklären sind:
       „Bottervogel“, da musst du an Buttervogel denken und es heißt butterfly –
       Schmetterling. Oder einer sagt: “Guck, wie der aussieht, wie so`n
       Vogelbunt“ – bunter Vogel? Nein, es ist der Vagabund gemeint! Und, wenn
       einer sagt: “Brauchst nicht gleich pinkeln aus den Augen“, – dann ist
       gemeint, brauchst nicht gleich zu weinen! Diese Besonderheiten kennen nicht
       mehr viele Leute, und wir müssen achtgeben, dass immer noch welche bleiben,
       die das Platt verstehen, lesen und vielleicht auch noch reden können.
       
       Rita Hoff, 75, ist auf Rügen in der Inselhauptstadt Bergen geboren. Sie
       liest auf Platt, schreibt Bücher und Erzählungen und ist Mitglied im
       Niederdeutschen Autorenverband.
       
       10 Sep 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rita Hoff
       
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