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       # taz.de -- Wahlverhalten von Senior:innen: Die unberechenbaren Alten
       
       > Wählt man im Alter konservativer? Oder doch linker als in jungen Jahren?
       > Kommt drauf an, sagen ältere Wähler:innen und Sozialforscher.
       
   IMG Bild: Was wurde hier angekreuzt? Auch ältere Wähler:innen entscheiden sich noch um
       
       Berlin taz | 20 Jahre lang war Anna Ohnweiler CDU-Mitglied, aber vor drei
       Jahren reichte es ihr. Die ehemalige Lehrerin aus dem
       baden-württembergischen Altensteig war in der Kommunalpolitik aktiv, sie
       setzte sich für mehr Sozialarbeit an Schulen ein, für bezahlbaren Wohnraum,
       für gebührenfreie Kitas. Ein CDU-Parteikollege rügte sie: „Das sind doch
       die Themen der Sozis.“ Im November 2018 kündigte Ohnweiler ihre
       CDU-Mitgliedschaft. „Auch dass sich innerhalb der CDU [1][die Werte-Union]
       gegründet hatte, hat mich gestört“, sagt die 71-Jährige heute.
       
       Ohnweiler initiierte die Gruppe „Omas gegen Rechts in Deutschland“ und trat
       wenig später in die SPD ein. „Viele sagen, ich sei eigentlich eine
       Humanistin“, berichtet Ohnweiler. Die „Omas gegen Rechts“ stünden dafür,
       „entschlossen die Demokratie zu verteidigen“. Die Gruppe hat den Kampf
       gegen Rechtsextremismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus sowie für
       den Klimaschutz auf der Agenda. „Klimaschutz ist Enkelschutz“, sagt die
       dreifache Großmutter.
       
       Ohnweiler ist in späteren Jahren nach links geschwenkt. Generell wird die
       Gruppe der Wechselwähler:innen in Deutschland größer. Und: Die Gruppe
       der Wechselwähler:innen wachse „allmählich auch in die Altersgruppe
       60plus hinein“, sagt Achim Goerres, [2][Politikwissenschaftler] an der
       Universität Duisburg-Essen. Vorbei sind die Zeiten, in denen
       Wähler:innen den Parteien, denen sie sich in jungen Jahren verbunden
       fühlten, unbedingt die Treue hielten. „Der Anteil der Stammwählerinnen
       und -wähler sinkt“, so Goerres.
       
       Es gibt allerdings generationale Zuordnungen. Laut [3][einer Studie des
       Parteienforschers Dominik Hirndorf] von der Konrad-Adenauer-Stiftung
       rekrutierten Unionsparteien und SPD ihre Wählerschaft bei der
       Bundestagswahl 2017 überproportional aus den Altersgruppen ab 60 Jahren. Im
       Zeitverlauf werde deutlich, dass dieser hohe Wähleranteil unter den Älteren
       „für die CDU/CSU auch bei allen vorherigen Wahlen zutraf, wohingegen die
       SPD noch in den 70ern und 80ern überdurchschnittlich gut bei jungen
       Wählerinnen und Wählern abschnitt“, schreibt Hirndorf.
       
       Unter den heute älteren Wähler:innen gibt es eine Konrad-Adenauer- und
       eine Willy-Brandt-Generation. Doch für die Jüngeren lassen sich solch klare
       Zuordnungen seit dem Aufstieg von kleineren Parteien wie den Grünen und
       zuletzt der AfD nicht mehr ausmachen. Die Grünen sammelten zuletzt die
       meisten Stimmen bei den heute 45- bis 59-Jährigen, so Hirndorf. Es ist
       abzuwarten, ob mit der Alterung der Grünen-WählerInnen deren Anteil auch
       unter den Rentner:innen zunimmt.
       
       Signifikante Unterschiede bezüglich grundlegender Werteeinstellungen
       zwischen den Altersgruppen zeigten sich nicht, stellte Hirndorf fest.
       Vielmehr seien weitere soziodemografische Faktoren wie Bildung und
       Einkommen sowie individuelle Einstellungen wichtiger für die
       Wahlentscheidung als das Alter.
       
       Die mitunter verbreitete These, dass Menschen mit dem Älterwerden eher
       konservativer wählen, ist „einfach falsch“ sagt Politikwissenschaftler
       Goerres, „das Alter war noch nie so unwichtig für das Wahlverhalten wie
       heute“.
       
       Dabei können sich individuelle Einstellungen im Leben sowohl in die eine
       als auch in die andere Richtung ändern. Jan Kutscher zum Beispiel, 57 Jahre
       alt, Unternehmensberater in Berlin, hat in seinen jungen Jahren mehrfach
       die Grünen gewählt und wäre einmal sogar fast in die SPD eingetreten.
       Später wandte er sich von den Grünen und anderen Parteien des linken
       Spektrums ab und machte seine Kreuze bei der CDU oder FDP.
       
       ## Viel wichtiger als das Alter: Geld
       
       „Das hat auch mit meiner Berufstätigkeit zu tun“, sagt der
       Unternehmensberater, „in meiner Arbeit mit den Betrieben habe ich erlebt,
       dass das Klischee der Linken von den gierigen Unternehmern, die nur Geld
       abschöpfen wollen, einfach nicht zutrifft. Unter den Mittelständlern sind
       durchaus soziale Leute, die selbst eigenes Geld einsetzen, Risiken
       eingehen, sozial Benachteiligte fördern.“ CDU und FDP habe er nicht aus
       glühender Anhängerschaft gewählt, es ginge ihm eher darum, „das kleinere
       Übel zu wählen“, erklärt er. Dieses Jahr wird er gar nicht an die Urne
       gehen.
       
       Es gebe eine Tendenz, dass diejenigen, die sich wirtschaftlich nicht so gut
       fühlten, eher links wählen, sagt Goerres. Diejenigen, die finanziell besser
       aufgestellt sind, seien hingegen eher auf der rechten Seite zu finden.
       Diese Regel gelte für die sozioökonomische Dimension des Wahlverhaltens.
       Hinzu komme eine kulturelle Dimension. „Da lassen sich unter den materiell
       gut Aufgestellten auch viele mit kosmopolitischen Werten finden, die ein
       diverses, buntes Miteinander über Grenzen hinweg anstreben“, erklärt
       Goerres.
       
       Eins allerdings hat sich gezeigt: Ältere Menschen wollen auf keinen Fall
       als „Senioren“ angesprochen werden. Parteien wie „Die Grauen“ und andere
       Seniorenparteien kommen nicht auf nennenswerte Stimmenanteile, obwohl der
       Anteil der Wähler:innen im Rentenalter inzwischen mehr als ein Drittel
       beträgt.
       
       Claus Bernhold, Bundesgeschäftsführer der Senioren-Union, der
       Alten-Organisation von CDU/CSU, kann von diesem Identifikationsproblem ein
       Liedchen singen. Die Senioren-Union leide unter „Nachwuchsmangel“, erzählt
       er, „wer heute 60, 65 ist und etwa angeschrieben wird, ob er oder sie sich
       nicht in der Senioren-Union engagieren will, der sagt: Um Himmels willen,
       so alt bin ich doch noch gar nicht!“ Vom Streit über die Zukunft der Rente
       seien die Mitglieder der Senioren-Union mit einem Durchschnittsalter von 78
       Jahren nicht mehr so betroffen, so Bernhold, „die sind ja in der Regel
       abgesichert“.
       
       Ältere vor allem mit vermeintlichen „Alten-Themen“ ansprechen zu wollen
       funktioniert nicht unbedingt. Die Gruppe der Älteren ist sehr heterogen.
       Ein 55-Jähriger sieht eine kommende Anhebung des Renteneintrittsalters
       dramatischer als ein 75-Jähriger, der davon nicht mehr tangiert wird.
       
       Bei den Wahlen spielen die Personen der Kandidierendeneine zunehmend
       wichtige Rolle, erklärt Goerres. Das gelte auch für die älteren
       Wähler:innen, die politisch nicht so informiert sind. „Sie bevorzugen
       Kandidaten und Kandidatinnen, die auch älter sind, die ihnen ähnlich sind,
       die sympathisch rüberkommen“, so der Politikwissenschaftler.
       
       Einfacher wird es also nicht, um die Gunst der heterogenen alternden
       Wählerschaft zu werben.
       
       14 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /taz-Recherche-zur-Werteunion/!5745420
   DIR [2] https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/demografischer-wandel/275798/achim-goerres-wie-wir-waehlen-hat-nur-noch-sehr-wenig-mit-dem-alter-zu-tun
   DIR [3] https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/wahlbeteiligung-und-wahlverhalten-nach-alter-und-geschlecht-in-deutschland
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Dribbusch
       
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