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       # taz.de -- Reformgremium der katholischen Kirche: „Eine strukturelle Sünde“
       
       > Mara Klein wird beim Reformgremium der katholischen Kirche dabei sein.
       > Ein Gespräch über Frauenfeindlichkeit und den Veränderungswillen der
       > Kirche.
       
   IMG Bild: Mara Klein nimmt ab Freitag am Reformgremium der katholischen Kirche teil
       
       taz: Mara Klein, warum sollten sich Nicht-Katholik*innen für die zweite
       Synodalversammlung interessieren? 
       
       Mara Klein: Weil der synodale Prozess Reformen einleiten möchte – in
       Reaktion auf den Missbrauchsskandal. Der betrifft nicht nur die Kirche im
       Innern, sondern auch die Gesellschaft, deren Teil sie ist. Die Kirche ist
       da relativ weit vorne, was die Aufarbeitung und Prävention von Missbrauch
       angeht – auch wenn es oft nicht so aussieht.
       
       Ist das so? 
       
       Durch die hohe Aufmerksamkeit gab es viel Druck zur Aufarbeitung und
       Prävention. Die Kirche ist ein Bereich der Gesellschaft, der jetzt gewisse
       Standards legt, die zu kritisieren und zu hinterfragen sind, aber letztlich
       auch als Vorbild oder Spiegel gelten können für andere Institutionen der
       Kinder- und Jugendarbeit. Außerdem sind die Kirche und der Staat eng
       verbunden. Die katholische Kirche hat in Deutschland Privilegien.
       
       Privilegien? 
       
       Frauenfeindlichkeit und Homophobie sind in der katholischen Kirche fast so
       etwas wie ein geschütztes Kulturgut. Es gibt ein gesondertes Arbeitsrecht,
       das beides befördert und unterstützt. Das ist mit unserer Verfassung
       eigentlich nicht vereinbar und wird bei anderen Religionen hart kritisiert
       – und sogar als Begründung von Ressentiments gegen Migrant*innen
       verwendet. Deshalb glaube ich, dass es die Gesellschaft etwas angeht, ob
       und wie die katholische Kirche diese Fragen verhandelt.
       
       Bei der ersten Versammlung 2020 erwiderten Sie auf einen Konservativen:
       „Bischof Voderholzer hat vorhin gesagt, er würde sich unwohl fühlen. Ich
       möchte betonen: Ich hoffe doch, dass wir uns unwohl fühlen. Wir haben allen
       Grund dazu. Ich fühle mich sehr unwohl, hier zu stehen. Als Nicht-Mann, als
       nicht heterosexuelle Person, als nicht mal binäre Person.“ Sie sprachen von
       der Kirche als „Verein der Täter“ und von „struktureller Sünde“. Was meinen
       Sie damit? 
       
       Strukturelle Sünde ist ein Begriff, der aus der lateinamerikanischen
       Befreiungstheologie stammt und sich auf überindividuelle Zustände bezieht.
       Auch wenn einzelne Akteure verantwortlich sind, geht es dabei um Sünde, die
       im System verankert ist. Also um Vorstellungen, Dogmen, Gesetze, die
       Unrecht am Laufen halten. Das äußert sich auch in aufgebauter Abhängigkeit
       oder im Missbrauch menschlicher Bedürfnisse. Das ist in der Kirche der
       Fall. Missbrauch wird individuell begangen und vertuscht, aber beides ist
       systemisch begünstigt und geduldet. Das ist eine strukturelle Sünde.
       
       Was bedeutet es, dass der Papst den Kölner Kardinal Woelki im Amt belässt? 
       
       Das reiht sich ein in die Ablehnung der Rücktrittsangebote von Kardinal
       Marx und Bischof Heße. Es [1][hätte mich eher überrascht, wenn Woelki
       abgesetzt worden wäre]. Es ist eine ignorante Entscheidung, insofern es
       dabei nicht um alleinige Verantwortung geht. Die Bischöfe sind mehr als
       Individuen. Sie stehen dafür, dass die Struktur viel Leid begünstigt und
       vertuscht hat und weiterhin verursacht. Rücktrittsgesuche abzulehnen
       zeigt, dass weder dieses Leid noch das systemische Versagen ernst genommen
       wird. Es ist christlich, Menschen immer wieder neue Chancen zu geben.
       Aber es geht hier um das Amt. Es geht darum, an der Struktur aktiv etwas zu
       ändern. Und solange weder das eine kommt, noch die Amtsträger
       ausgewechselt werden, entsteht der Eindruck, dass der Ernst der Situation
       nicht richtig erfasst wird.
       
       Warum bleiben Sie in der Kirche? Warum wollen Sie Religion unterrichten? 
       
       Das sind Fragen, die ich mir auch stelle. Ich bin zutiefst gläubig. Ich bin
       aber auch der Überzeugung, dass Unrecht nicht einfach stumm mit angesehen
       werden darf. Also gerade weil ich in diesem System diskriminiert werde,
       aber in der privilegierten Position bin, das ansprechen zu können, bleibe
       ich in dem System Kirche. Die Kirche ist auch meine geistige Heimat.
       
       Was heißt das? 
       
       Ich bin katholisch aufgewachsen und sozialisiert, wenn auch in der
       Diaspora, einer nicht sehr katholischen Gegend. Ich habe kirchliches Leben
       erfahren, in dem dieses Leid für mich nicht so stark präsent war. Ich weiß,
       dass es auch anders geht. Ich weiß aus meinem Studium, dass
       menschenverachtende Strukturen und das entsprechende Menschenbild nicht die
       einzigen Möglichkeiten sind, die wir im Katholischen haben. Wir haben eine
       [2][sehr viel diversere geistliche Geschichte] – und Wirklichkeit. Von
       daher bin ich überzeugt katholisch und hoffe, einiges ändern zu können.
       
       Seit der ersten Versammlung haben Arbeitsgruppen Reformvorlagen erarbeitet.
       Entsprechen die Ihrem Veränderungswunsch? 
       
       Es geht jetzt um eine erste Lesung, die Papiere sind noch nicht auf dem
       Stand, auf dem sie hoffentlich am Ende sein werden. Den Text der
       Arbeitsgruppe zu Partnerschaft und Sexualität, in der ich mitarbeite, halte
       ich schon für wegweisend. Er steht dem katholischen Menschenbild, das wir
       bisher haben, auf positive Weise entgegen. Er baut ein für die katholische
       Kirche neues, natürliches und positives Bild von Sexualität auf. Ich
       bezweifle, dass wir die Ehe für alle in dem Text noch unterbringen werden,
       aber es wäre nur konsequent.
       
       Eine Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren ist immerhin vorgesehen, was
       noch? 
       
       Queere Menschen werden entkriminalisiert. Es gibt eine positive Würdigung
       verschiedener Sexualitäten und geschlechtlicher Identitäten. Es wird eine
       Konsensethik aufgebaut, was im Hinblick auf den Missbrauchsskandal wichtig
       ist. Der Text würdigt auch Sexualität, die außerhalb der Ehe stattfindet
       und selbstbezogene Sexualität, also Masturbation. Eine Leerstelle ist die
       zölibatäre Sexualität. Ich hoffe, da wird noch viel passieren.
       
       Die Bischöfe haben ein Vetorecht. Hat Ihre Vorlage überhaupt eine Chance? 
       
       Ich konzentriere mich nicht auf die Zweidrittelmehrheit der Bischöfe. Ich
       halte die Rücksicht auf die Bischöfe für einen intrinsischen Fehler in der
       Geschäftsordnung des Synodalen Weges. Die Betroffenen sollten im
       Mittelpunkt stehen. Mir ist wichtig, dass am Ende ein gut durchdachter Text
       herauskommt, der längst Überfälliges festhält. Ein Kompromiss zwischen
       Menschenfeindlichkeit und Menschenrechten ist schwierig. Wir sollten den
       Dialog aufrechterhalten und ich hoffe, dass viele Bischöfe verstehen, was
       sich ändern muss. Aber ich denke, die Texte sind auch ohne ihre
       Zweidrittelmehrheit wertvoll.
       
       Was sagen Sie denen, die vor einer Abkopplung der deutschen Kirche vom
       Globalen Süden warnen? 
       
       Ich finde, das ist ein vorbelastetes Totschlagargument. Weltkirche ist zu
       großen Teilen Resultat von Kolonialismus, Imperialismus und
       Zwangsbekehrungen. Auf Grundlage der vorgeblichen Fortschrittlichkeit des
       Christentums. Jetzt wird dieses Argument ohne angemessene Aufarbeitung
       umgedreht. Es ist ein Fehlschluss, dass die Weltkirche ähnliche Probleme
       nicht kenne.
       
       Gerade Frauenfeindlichkeit bleibt in der Gemeinschaft der Gläubigen nicht
       unadressiert, auch wenn die Bischofskonferenzen sie nicht immer als Problem
       ansehen. Die [3][Amazonas-Synode 2019] zeigte, dass der Wille da ist,
       Frauen zu Diakoninnen zu weihen – das Nein dazu kam aber aus Rom. Ist die
       Kernessenz des Katholizismus wirklich Diskriminierung? Wenn nein, steht
       einer diversen Kirche nicht viel im Weg.
       
       30 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bischofskonferenz-in-Fulda/!5797883
   DIR [2] /Sexualitaet-in-der-Kirche/!5725339
   DIR [3] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/amazonas-synode-vatikan-neue-wege-fuer-die-katholische-kirche-102.html
       
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   DIR Stefan Hunglinger
       
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