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       # taz.de -- Verordnung zur Rassismusbekämpfung: Neuer Versuch mit alten Normen
       
       > Die Bremer Justizsenatorin will Rassismus und Antisemitismus in der
       > Strafverfolgung bekämpfen. Aber ihre Verordnung bringt wenig Neues.
       
   IMG Bild: Laye Condé starb 2005 durch Brechmittel im Gewahrsam der Polizei. Zu Rassismus wurde wenig ermittelt
       
       Bremen taz | Angesichts steigender antisemitisch und rassistisch
       motivierter Gewalt will die Bremer Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD)
       die Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus verbessern. [1][Mit einer
       Allgemeinverfügung] richtet sie sich dafür vor allem an Staatsanwaltschaft
       und Polizei.
       
       Laut der Verfügung, die auf bestehende Normen aus dem Strafrecht verweist,
       sollen Ermittlungen zu rassistischen oder antisemitischen Straftaten
       schwerer einzustellen sein. In Fällen von sogenannten Antragsdelikten, bei
       denen die Staatsanwaltschaft eigentlich nur auf Antrag der verletzten
       Person tätig wird, wie etwa bei einer Beleidigung, soll bei einem
       rassistischen oder antisemitischen Motiv grundsätzlich auch von Amts wegen
       zu ermitteln sein.
       
       Ein weiterer Punkt: Justizbeamt:innen werden auf einen sensiblen
       Umgang mit Zeug:innen besonders in diesen Verfahren hingewiesen. Auch
       eine Berichtspflicht für diese Straftaten wird festgelegt. Und rassistisch
       und antisemitisch motivierte Anschlägen auf Personen und Gebäude seien
       stets als Eilsachen zu behandeln.
       
       Weiterhin sollen rassistische und antisemitische Äußerungen innerhalb der
       Justiz an die Senatorin gemeldet werden. Und schließlich verweist die
       Verfügung auf Angebote zur Fortbildung.
       
       Damit adressiert die Verfügung das Problem antisemitischer und
       rassistischer Gewalt, trägt aber im Grunde wenig Neues zur bestehenden
       Rechtslage bei. Jan Sürig, der als Rechtsanwalt für Strafrecht und
       Migrationsrecht in Bremen tätig ist, führt aus, es handele sich eher um
       „eine Zusammenfassung von teilweise jahrzehntelang bestehenden Normen“.
       Einzig die Berichtspflicht und die Charakterisierung als Eilsache seien
       neu.
       
       ## Es fehlt an Sensibilisierung
       
       Dass die Verfügung keine große Neuerung ist, wird auch seitens der
       Pressestelle der Senatorin eingeräumt. Das Neue sei eher die
       Zusammenstellung der Regelungen, die den Fachkräften als Leitfaden an die
       Hand gegeben werde. So gebe es „klare Hinweise an die Staatsanwaltschaft,
       was zum Beispiel die Einstellung der Verfahren angeht“.
       
       Ausschlaggebend für den Schritt seien unter anderem die [2][rassistischen
       und sexistischen Aktionen in der Bremer Feuerwehr] sowie die [3][rechten
       Brandanschläge auf das Jugendzentrum „Friese“] gewesen. Die
       Allgemeinverfügung sei ein Appell an die Justiz. Denn Rechtsterrorismus sei
       das, was die Demokratie am meisten bedrohe.
       
       Viele Bestimmungen, auf die die Verfügung verweist, setzen da an, wo ein
       rassistisches oder antisemitisches Motiv in Betracht gezogen wird. Doch
       Antisemitismus werde häufig bei der Strafverfolgung gar nicht erkannt,
       problematisiert Helge Regner von der Recherche- und Informationsstelle
       Antisemitismus (Rias) Niedersachsen.
       
       Er sieht das anzugehende Problem deshalb schon vor der Strafverfolgung.
       „Wir haben außerdem oft gehört, dass man sich selten und ungern an die
       Polizei wendet“, meint Regner. Denn dort erlebten Betroffene von
       Antisemitismus oft unempathische und uninformierte Reaktionen.
       
       Auch Jan Sürig sieht im Identifizieren des Rassismus und Antisemitismus das
       drängendste Problem. Es gebe „Unmengen von Akten, die man liest und ahnt,
       da steckt Rassismus dahinter“. Aber selbst in Fällen, wo eine Schwarze
       Person ohne irgendeine Auseinandersetzung im Vorhinein angegriffen wird,
       würde regelmäßig kein rassistisches Motiv in Betracht gezogen.
       
       Die Verfügung will zwar Angebote zur Sensibilisierung schaffen – doch die
       sind nur freiwillig. Es sei schwer, eine verpflichtende Teilnahme
       durchzusetzen, erklärt der Pressesprecher der Justizsenatorin. Er ist aber
       zuversichtlich: Die bestehenden Angebote würden gerade erweitert und mit
       Interesse aufgenommen.
       
       ## Beamt:innen verweigern die Aussage
       
       Ein anderes Ziel der Verfügung ist die Bekämpfung rassistischer und
       antisemitischer Strukturen innerhalb der Behörden. Die Hoffnung auf
       dienstrechtliche Konsequenzen teilt Sürig allerdings nicht. Es gebe viele
       Fälle, in denen Beamt:innen gegen Kolleg:innen die Aussage
       verweigern, so dass diese keine Konsequenzen erfahren.
       
       Das habe sich zuletzt in der Bamf-Affäre gezeigt. Die Bremer
       Staatsanwaltschaft hatte dort einseitig gegen Ulrike B. ermittelt und
       widerrechtlich [4][persönliche Informationen preisgegeben.] Die
       Ermittlungen wurden aber schließlich eingestellt; Die
       Mitarbeiter:innen der Staatsanwaltschaft hatten nicht gegeneinander
       ausgesagt.
       
       Die Staatsanwaltschaft möchte sich zur Allgemeinverfügung nicht äußern. Das
       sei ein politisches Thema. Sie verfolge aber rassistische und
       antisemitische Straftaten, „egal, ob vor oder nach der Allgemeinverfügung.“
       
       30 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.senatspressestelle.bremen.de/pressemitteilungen/fuer-eine-wehrhafte-justiz-gegen-extremismus-367924?asl=bremen02.c.732.de
   DIR [2] /Skandal-um-Bremer-Feuerwehr/!5773085
   DIR [3] /Doppelbrand-in-Bremer-Jugendzentrum/!5663885
   DIR [4] /Nach-dem-Bamf-Skandal/!5769117
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Liz Mathy
       
       ## TAGS
       
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