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       # taz.de -- Bauern und die Bundestagswahl: Grüne Gefahr, grüne Hoffnung
       
       > Landwirt Christian Bielefeld will die FDP wählen, um einen grünen
       > Agrarminister zu verhindern. Ein Fehler, findet sein Berufskollege Björn
       > Scherhorn.
       
   IMG Bild: Weniger Rinder in der Landwirtschaft wären förderlich für Tierschutz und Klima
       
       Dalvers taz | Christian Bielefeld und Björn Scherhorn sind beide Bauern,
       sie leben in demselben niedersächsischen Dorf, in Dalvers. Aber sie wollen
       bei der Bundestagswahl am Sonntag völlig gegensätzlich stimmen. „Ich wähle
       FDP, weil ich unbedingt einen grünen Agrarminister verhindern will“, sagt
       Bielefeld – tiefliegende Augen, 53 Jahre, blau kariertes Hemd – in dem
       großzügigen Wohngebäude seines Hofs. Dafür wird der Landwirt dieses Mal
       sogar der CDU untreu, die er wie die meisten Bauern auf Bundesebene
       regelmäßig gewählt hat. „CDU und SPD würden in Koalitionsverhandlungen die
       Landwirtschaft an die Grünen verkaufen“, befürchtet Bielefeld.
       
       Da kann Scherhorn, neben einer Kuhweide keine 3 Kilometer von Bielefelds
       Betrieb entfernt stehend, nur mit dem Kopf schütteln. „Es bleibt keine
       andere Option als die Grünen“, sagt der 40-Jährige. Er trägt einen braunen
       Lederhut, ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „Bio rockt“, lange
       Haare, am Hals ist er tätowiert. Manche der kleineren Parteien gefalle ihm
       sogar noch besser, aber die würden ja nicht die 5-Prozent-Hürde schaffen.
       
       Wie kommen zwei Berufskollegen zu so dermaßen unterschiedlichen Ansichten?
       Warum sollte das auch Nichtlandwirte interessieren?
       
       Letzteres lässt sich leicht beantworten: Die deutschen Bauern erzeugen die
       meisten Lebensmittel, die hierzulande gegessen werden. Sie belegen die
       Hälfte der deutschen Landfläche, sie halten die meisten Tiere, vor allem
       sie belasten das Grundwasser mit dem potenziell gesundheitsschädlichen
       Nitrat aus Düngern, sie sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass immer
       mehr Pflanzen- und Tierarten aussterben. 13 Prozent der Treibhausgase
       kommen laut Umweltbundesamt aus der Landwirtschaft.
       
       ## 90 Prozent der Bauern arbeiten konventionell
       
       Wer wissen will, warum Bauern wie Bielefeld und Scherhorn zu ihrer
       Wahlentscheidung kommen, besucht sie am besten auf ihren Höfen. Die Allee
       zum Betrieb von Christian Bielefeld und seiner Familie führt an einer
       ganzen Reihe von großen Kuhställen vorbei. An die zehn Gebäude stehen auf
       Bielefelds Anwesen. In den Ställen geben 350 Kühe Milch, auf 250 Hektar
       Acker und Wiese bauen die Bielefelds den Großteil des Futters an. Damit
       liegen sie weit über dem Branchendurchschnitt in Deutschland. Bielefeld
       kann sich sieben Mitarbeiter und ein großzügiges Wohnhaus mit langer Tafel
       und Kaminzimmer leisten. Die Kühe können sich zwar im Stall frei bewegen.
       Aber in den Monaten, in denen sie Milch geben, kommen sie nie auf die
       Weide. Bielefeld baut vergleichsweise wenig Pflanzenarten an und schützt
       sie mit Pestiziden vor Schädlingen und Krankheiten.
       
       Sein Hof gehört zu den 90 Prozent der landwirtschaftlichen Unternehmen in
       Deutschland, die konventionell arbeiten. Andere Bauern halten ihn für einen
       „guten Betrieb“, ein Vorbild: effizient, wachstumsorientiert, für seine
       Region groß. Das Ziel solcher Unternehmen ist es, so billig wie möglich zu
       produzieren, um die Konkurrenz auszustechen – nicht nur die im Nachbardorf,
       sondern auch die auf dem Weltmarkt.
       
       Diese Strategie unterstützen im Bundestag seit Jahrzehnten vor allem
       CDU/CSU und FDP. Konsequenterweise betonen die Unionsparteien in ihrem
       aktuellen [1][Wahlprogramm] die angeblichen Leistungen der Landwirtschaft
       für Artenvielfalt und Klimaschutz. Aber die Probleme, die sie verursacht,
       benennen die Konservativen nicht. Genauso wenig wie die FDP. Denn sonst
       müssten sie ja möglicherweise wie die Grünen staatliche Eingriffe wie eine
       Pestizidabgabe oder höhere Steuern auf besonders klimaschädliche
       Lebensmittel wie Fleisch befürworten. Das würde die Produktionskosten
       erhöhen oder den Absatz der Landwirte schmälern.
       
       ## „Turbo-Kuh“ gibt 10.000 Kilogramm Milch im Jahr
       
       Auch Bauer Bielefeld redet Umwelt- und Tierschutzprobleme der
       Landwirtschaft klein. Er habe einen Zeitungsartikel über die
       Wasserverschmutzung gelesen, wonach „doch nicht die Landwirtschaft
       wissenschaftlich erwiesen zum Großteil für die Einträge ins Wasser
       verantwortlich ist, sondern zu einem Großteil es doch Kläranlagen der
       Menschen sind“. Am meisten überdüngt seien Schrebergärten. Experten
       [2][etwa des Umweltbundesamts] bestätigen aber immer wieder, dass das
       Nitrat nur zu einem kleinen Teil aus Kläranlagen kommt. Kleingärten belegen
       lediglich 0,1 Prozent der deutschen Bodenfläche. Sie dürften also selbst
       bei heftiger Überdüngung kaum ins Gewicht fallen.
       
       Warum er seinen Milchkühen keinen Auslauf gewährt? „Weil es auch für die
       Tierernährung“ besser sei, antwortet Bielefeld. Im Stall sei das Futter
       anders als auf der Weide immer gleich. Und das sei wichtig für eine Kuh,
       „die mehr als 10.000 Kilogramm Milch geben möchte, worauf wir angewiesen
       sind, weil wir zu Weltmarktbedingungen produzieren müssen“. Über 10.000
       Kilogramm Milch pro Jahr – das darf man als „Turbo-Kuh“ bezeichnen, die
       viele Grüne wegen ihrer Tierschutzprobleme für problematisch halten.
       
       Die Partei mache Politik eben „nicht in erster Linie für die Landwirte“,
       sondern für die „60, 70 Prozent Verbraucher“, die Naturschutz wollten, sagt
       Bielefeld. Dabei würde er als Rinderhalter und Futterbauer „viel mehr für
       die Natur tun als gegen die Natur und auch einen großen Teil zur Ernährung
       beitragen“.
       
       Björn Scherhorn hat auch Milchkühe, aber nur 70, für die er das komplette
       Futter auf 88 Hektar anbaut. Die Rinder stehen die meiste Zeit des Jahres
       auf der Weide. Sie geben dem Landwirt zufolge nur 6.700 Liter Milch pro
       Jahr. Chemisch-synthetische Pestizide darf er nicht benutzen. Scherhorn ist
       Biobauer. Während Bielefeld die Kälber gleich nach der Geburt von den
       Mutterkühen trennt, lässt Scherhorn den Nachwuchs monatelang bei den
       Elterntieren. Er und seine Frau bewirtschaften den Hof quasi allein.
       
       ## Weniger Tiere
       
       Was er sich von den Grünen verspricht? „In der Agrarpolitik muss sich
       deutlich was ändern“, antwortet Scherhorn. In den vergangenen 16 Jahren, in
       denen CDU und CSU das Landwirtschaftsministerium führten, hätten einfach zu
       viele Höfe aufgeben müssen. Newcomer im Regierungsgeschäft wie Annalena
       Baerbock könnten da frischen Wind bringen.
       
       Die Grünen wollten die Agrarsubventionen der Europäischen Union so
       reformieren, dass nur noch die Bauern Geld bekämen, die besonders viel für
       den Umwelt- und den Tierschutz tun, lobt Scherhorn. Subventionen könnte es
       zum Beispiel dafür geben, die Kühe auf der Weide zu halten. Das tue dem
       Wohlbefinden der Tiere und ihrer Gesundheit gut, sagt Scherhorn. Und so
       könnten die Landwirte mehr Grünland erhalten, das artenreicher ist als
       Ackerland und mehr Kohlendioxid speichert. Aber viele Bauern wehren sich
       gegen solche zusätzlichen Bedingungen. Scherhorn findet: „Diese Auflagen
       sind ein Prädikatszertifikat.“ Sie führten zu einer umweltfreundlicheren
       Produktion, mit der die heimischen Bauern sich von Billigimporten abgrenzen
       könnten.
       
       „Weniger Tiere ist richtig“, sagt Scherhorn zu der Forderung der Grünen,
       die Tierzahlen zu senken. Die Tierhaltung verursacht die meisten
       Treibhausgase der Landwirtschaft, Fleisch und Milchprodukte sind
       klimaschädlicher als pflanzliche Nahrungsmittel. Die Grünen wollen
       niedrigere Obergrenzen für die Tiere pro Fläche, mehr Tierschutz und eine
       [3][verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung]. Der Tierwohlcent soll den
       Umbau der Ställe finanzieren. Nicht alle Details hält Scherhorn für
       sinnvoll. Aber es geht in die richtige Richtung, ist der Landwirt
       überzeugt. „Wenn wir weniger Tiere haben, haben wir weniger Ware auf dem
       Markt und dann gibt es auch keine Übersättigung mehr“, sagt Scherhorn. In
       der Folge würden auch die Preise steigen und die Landwirte pro Produkt mehr
       verdienen. „Es gibt kein Recht auf jeden Tag Fleisch oder einen Liter
       Milch“, sagt der Bauer.
       
       Er unterstützt auch die Forderung der Grünen, eine neue Abgabe auf
       Pestizide zu erheben. „Die externalisierten Kosten der konventionellen
       Landwirtschaft müssen eingepreist werden“, so der Landwirt. Pestizide
       vergiften nicht nur Schädlinge, sondern auch andere Pflanzen und Tiere.
       Deshalb sind sie eine Ursache für den Artenschwund. Scherhorn verzichtet
       als Biobauer auf chemisch-synthetische Pestizide, erntet dafür aber auch
       weniger. Eine Pestizidabgabe könnte diesen Wettbewerbsnachteil zumindest
       teilweise ausgleichen, hofft er.
       
       ## Gefahr durch Freihandel
       
       Scherhorn hat keine Angst vor den Grünen, denn er sieht sich gut gerüstet
       für den Umbau der Landwirtschaft, den die Partei vorschlägt. „Wir gehen
       vorweg“, sagt Scherhorn. Sein Hof hat ja schon das Biosiegel, er hält seine
       Kühe auf der Weide, er baut nicht nur eine Fruchtart auf einem Acker an,
       sondern mehrere gleichzeitig. Bald will er Lebensmittel zwischen Bäumen
       erzeugen, die CO2 speichern und die Wasserversorgung verbessern. „Es nützt
       nichts, wenn wir in die Blockadehaltung gehen“, warnt Scherhorn seine
       Berufskollegen. Sonst würde der Staat mehr Umweltschutz diktieren, ohne
       dass die Landwirte aktiv mitgestalten könnten. „Das ist dann eine
       schleichende Enteignung über eine Zwangsökologisierung.“
       
       Vor allem aber hat sich Scherhorn schon lange davon verabschiedet, für den
       Weltmarkt produzieren zu wollen. „Früher habe ich auch Mineraldünger aufs
       Feld gekippt, Bäume gefällt und so weiter“, erzählt Scherhorn vor seinem
       Fachwerkhaus, das seine Vorfahren vor 230 Jahren gebaut haben. Aber billig
       genug war seine Milch dann immer noch nicht. „Irgendwann stand ich da oben
       unter dem Dach und wollte springen.“ Er tat es nicht und stellte 2016 auf
       Bio um. Jetzt verkauft er seine Biomilch und seinen Käse in Deutschland zu
       den höheren Ökopreisen. Scherhorn hat verstanden: „Ein nachhaltig erzeugtes
       Produkt hat auf dem Weltmarkt keine Chance, es ist zu teuer.“ Deshalb will
       er, dass die EU ihren Markt etwa vor Milchimporten weiterhin durch hohe
       Zölle schützt.
       
       Das berührt ein Thema, das Bauern wie Bielefeld als Argument gegen höhere
       Umweltstandards nutzen. „Solange das Fleisch und die Eier aus Drittländern
       kommen, können wir nicht weniger produzieren zu höheren Preisen, wenn es
       keiner kauft“, sagt der konventionelle Landwirt. Er würde es gut finden,
       wenn die deutschen Bauern besser vor der Konkurrenz von außerhalb der EU
       geschützt wären. Aber ausgerechnet seine FDP ist dafür nicht zu haben. Sie
       will sogar noch [4][mehr Freihandel]. Und will das Handelsabkommen mit den
       südamerikanischen Mercosur-Staaten so schnell wie möglich abschließen –
       obwohl Bauern befürchten, dass dann viel mehr billiges Rindfleisch von dort
       in die EU gelangt.
       
       22 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.ein-guter-plan-fuer-deutschland.de/
   DIR [2] /Umweltbelastung-durch-Nitrat/!5649584
   DIR [3] https://www.gruene.de/artikel/wahlprogramm-zur-bundestagswahl-2021
   DIR [4] https://www.fdp.de/vielzutun
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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