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       # taz.de -- Matteo Salvini in Italien vor Gericht: Erhobenen Hauptes
       
       > Der frühere Innenminister muss sich wegen Freiheitsberaubung und
       > Amtsmissbrauch verantworten. Er hatte Boote mit Geflüchteten abgewiesen.
       
   IMG Bild: Sechs Tage lang saß das Rettungsschiff „Open Arms“ fest
       
       Rom taz | Italiens früherer Innenminister Matteo Salvini steht ab Mittwoch
       in Palermo vor Gericht. [1][Der Chef der
       rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Lega muss sich wegen
       Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch verantworten], weil er in seiner
       Amtszeit als Innenminister im August 2019 dem Flüchtlingsschiff Open Arms
       sechs Tage lang das Einlaufen in einen italienischen Hafen verweigert
       hatte.
       
       Fast eine Woche lang mussten deshalb 147 Migrant*innen in der
       Sommerhitze an Bord des NGO-Schiffs ausharren – in den Augen der
       Staatsanwaltschaft ein klarer Fall von Freiheitsberaubung. Dieser Fall
       fügte sich in die Strategie Salvinis als Innenminister in der Regierung
       unter Giuseppe Conte vom Juni 2018 bis zum Dezember 2019 – eine
       Koalitionsregierung der Fünf Sterne mit der Lega.
       
       Unter dem Schlachtruf „Italiener zuerst!“ praktizierte der Lega-Chef damals
       die Politik der „geschlossenen Häfen“ und hinderte immer wieder Schiffe
       sowohl von NGOs als auch von der italienischen Küstenwache daran,
       Flüchtlinge in Italien an Land zu bringen.
       
       Salvini kündigte schon im Vorfeld an, er werde zum Prozessauftakt
       „erhobenen Hauptes“ in Palermo anwesend sein, denn er setzt auf
       Vorwärtsverteidigung. Der Rechtspolitiker reklamiert für sich, er habe als
       Minister doch bloß „das Vaterland verteidigt“ und Schaden von Italien
       abgewendet.
       
       ## Nicht isoliert gehandelt
       
       Zudem will er den Beweis antreten, er habe innerhalb der Regierung
       keineswegs isoliert gehandelt. Deshalb hat seine Verteidigerin das halbe
       damalige Kabinett vorgeladen, vom seinerzeitigen Ministerpräsidenten Conte
       über den Außenminister bis hin zu Luigi Di Maio, damals für die Fünf Sterne
       Vize-Ministerpräsident.
       
       Auch wenn ihm bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe drohen, kommt der Prozess in
       Palermo Salvini in diesem Moment durchaus gelegen Seine Lega durchlebt eine
       politisch schwierige Phase. Noch bei den Europa-Wahlen im Mai 2019 hatte
       sie gerade aufgrund ihrer aggressiven Anti-Flüchtlings-Politik
       sensationelle 34 Prozent geholt. Vor diesem Hintergrund hatte Salvini im
       August 2019 den Koalitionsbruch mit den Fünf Sternen vollzogen, weil er
       sich bei schnellen Neuwahlen einen Kantersieg erhoffte.
       
       Doch aus den Neuwahlen wurde nichts, da damals völlig überraschend das
       Movimento 5 Stelle eine Koalition mit der gemäßigt linken Partito
       Democratico erneut unter dem Premier Conte schloss. Auch als Conte dann im
       Februar 2021 seine parlamentarische Mehrheit verlor, musste die Lega
       Hoffnungen auf Neuwahlen begraben. Unter [2][Mario Draghi] fand sich eine
       Notstandskoalition zusammen, die ihre Rechtfertigung aus dem Kampf gegen
       die Pandemie zog.
       
       Auch die Lega biss in den sauren Apfel und trat in diese Koalition ein,
       nicht zuletzt weil sie bei der Verteilung der EU-Milliarden aus dem
       „Next-Generation“-Wiederaufbauprogramm mit am Tisch sitzen wollte. Seither
       verliert sie kontinuierlich an Zustimmung.
       
       ## Stimmung gegen Coronamaßnahmen
       
       Am rechten Rand ist sie der harten Konkurrenz der postfaschistischen,
       ebenso rüde fremdenfeindlichen „Fratelli d’Italia“ (FdI – Brüder Italiens)
       unter der populären Giorgia Meloni ausgesetzt, die aus der Opposition
       heraus offen Stimmung gegen die Regierung Draghi und viele ihrer
       Corona-Maßnahmen macht.
       
       Auch Salvini stänkert immer wieder gegen die „Einschränkung der
       Bürgerfreiheiten“ etwa durch den Impfpass – muss dann aber die
       Regierungspolitik mittragen. Die Folge: in den Umfragen liegt FdI
       mittlerweile bei 20 Prozent und damit gleich auf mit der Lega.
       
       Auch in den eigenen Reihen ist Salvini nicht mehr unumstritten. So fordern
       diverse Regionalpräsidenten aus dem Norden ein klares Bekenntnis zu
       restriktiven Coronamaßnahmen, um eine weitere Pandemiewelle zu verhindern.
       
       Vor diesem Hintergrund ist der Prozess für Salvini die willkommene Bühne,
       um sich als entschlossener Anführer der populistischen Rechten in Szene zu
       setzen und die Reihen der Lega wieder zu schließen – bei ihrem
       Lieblingsthema Migration.
       
       14 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Syrien-Verbrechen-vor-deutschem-Gericht/!5790203
   DIR [2] /Neue-Regierung-in-Italien/!5753276
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Braun
       
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