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       # taz.de -- Onlinemagazin von trans Frauen: Ein Gegenschlag
       
       > Trans Menschen sind in Redaktionen selten zu finden. Nun haben sechs
       > Frauen das erste transfeministische Onlinemedium Frankreichs gegründet.
       
   IMG Bild: Youssef Belghmaidi und Carol Sibony von „XY Média“
       
       Paris taz | „Wir hatten die Schnauze voll“, sagt Redakteurin Youssef
       Belghmaidi. „Vom [1][transphoben Diskurs] in den Medien, von der
       Diskriminierung, die wir am eigenen Leibe erfahren und davon, dass unsere
       Freundinnen in völliger Gleichgültigkeit sterben“. Belghmaidi arbeitet für
       das neue Onlineportal XY Média in Frankreich. Auf [2][Youtube, Instagram
       und Twitter] schreibt und spricht die Redaktion etwa über vergessene trans
       Personen aus der Geschichte, trans Rechte und Transphobie. In der Redaktion
       von XY Média in Paris sind alle 18 Mitarbeitenden transgender.
       
       Als erstes transfeministisches Medium in Frankreich werde XY Média eine
       Lücke in der Medienlandschaft schließen, hofft Mitgründerin Carol Sibony.
       „Es wird viel über uns geschrieben, aber in den Redaktionen sitzen keine
       trans Personen“, sagt sie.
       
       Häufig fehlt die [3][Perspektive von trans Personen in der
       Berichterstattung]. Lebenswelten außerhalb der Zweigeschlechtlichkeit
       kommen nicht vor. Außerdem sind cis Journalist:innen oft über
       Transgeschlechtlichkeit schlecht informiert. Immer wieder wird trans
       Personen in Texten das falsche Geschlecht zugewiesen oder die
       Geschlechtsangleichung wird fälschlicherweise als „Geschlechtsumwandlung“
       beschrieben. Das kann für trans Personen sehr belastend sein.
       
       Das habe den Anstoß zur Gründung von XY Média gegeben, sagen Carol Sibony
       und Youssef Belghmaidi. „In den USA und in Großbritannien spitzt sich der
       transphobe Diskurs in den Medien zu. Wir konnten nicht länger zuschauen,
       wie er auch in Frankreich immer vehementer wird“, so Sibony. Besonders habe
       sie die im Mai veröffentlichte Ausgabe der rechtsextremen Zeitschrift
       Valeurs actuelles über den vermeintlichen „Transgender-Wahn“ (frz. „le
       délire transgenre“) geprägt.
       
       ## Crowdfunding und Hilfe von Promis
       
       Außerdem seien die Präsidentschaftswahlen nächstes Jahr ein politischer
       Wendepunkt für LGBTQ-Rechte, meint Sibony. „Unsere Rechte könnten noch viel
       schlimmer missachtet werden, sollte eine rechtsextreme Regierung an die
       Macht kommen.“ Bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2017 hatte es Marine
       Le Pen, Vorsitzende der rechtsextremen Partei „Rassemblement National“,
       neben Emmanuel Macron bis in die letzte Runde geschafft. Sibony hat Angst,
       dass sich solch ein Duell auch 2022 wiederholt. Deswegen sei es genau jetzt
       wichtig, ihre Plattform zu starten. „Es war Zeit zurückzuschlagen“, so
       Belghmaidi.
       
       Um sich zu finanzieren, starteten die sechs Gründerinnen von XY Média im
       März eine Crowdfunding-Kampagne. Große französische Medien berichteten
       darüber, und bekannte Namen der LGBTQ-Szene, wie die lesbische Journalistin
       Alice Coffin [4][oder der queere Eurovision-Popstar Bilal Hassani], haben
       sie öffentlich unterstützt. „Wir haben überhaupt nicht damit gerechnet,
       dass die Kampagne so erfolgreich ist“, sagt Sibony. Schließlich ergab das
       Crowdfunding über 91.000 Euro von insgesamt 2.600 Kleinspender:innen.
       
       Aus deutscher Sicht mag der Name XY („ics igrec“) für ein
       transfeministisches Magazin irritieren. Der Titel bezieht sich auf die
       transfeindliche Beleidigung „sale xy“, auf Deutsch „dreckiges xy“. „Hinter
       'xy’ steckt eine transphobe Rhetorik, die eine trans Person auf ihren
       mutmaßlich biologischen Karyotypen reduzieren will“, sagt Sibony. „Das
       wollten wir uns zu eigen machen“.
       
       Wie Sibony und Belghmaidi haben auch die anderen Mitarbeitenden
       verschiedenste Hintergründe, sind Aktivist:innen, Producer:innen,
       Tontechniker:innen oder Journalist:innen. Noch arbeiten sie alle
       ehrenamtlich und mit ihrer eigenen privaten Ausrüstung. Dank der
       Crowdfunding-Kampagne hoffen sie jedoch, dass sich XY zumindest für ein
       Jahr finanzieren kann. „Das Geld stecken wir in die Produktion unserer
       Videos, in Kameras und Laptops und in die Vergütung von trans Personen.
       Angesichts unserer unsicheren Situation ist das unbezahlbar“, sagt
       Belghmaidi.
       
       ## Erst mal prekär
       
       Und danach? Aus XY soll ein unabhängiges, selbstverwaltetes Medium mit
       fairer Bezahlung werden – wie sich ihr Projekt langfristig und dauerhaft
       finanzieren soll, wissen die Gründerinnen aber selbst noch nicht. Es ist
       unwahrscheinlich, dass sie jedes Jahr so viel Geld sammeln können, darüber
       sind sie sich im Klaren. Also suchen sie nach weiteren
       Finanzierungsmöglichkeiten.
       
       Alle Inhalte sollen nach wie vor kostenlos und werbefrei zugänglich
       bleiben, versichert Sibony. XY ist jetzt ein gemeinnütziger Verein, dadurch
       können einerseits Fördermittel beantragt und andererseits Spenden der
       Leser:innenschaft eingenommen werden. Jede:r kann einmalig oder
       monatlich einen Beitrag zahlen, egal wie hoch. Auf Instagram, Twitter und
       Youtube laden die Redakteur:innen ihre insgesamt 46.000 Follower zum
       Spenden ein. Obwohl die Crowdfunding-Kampagne gezeigt hat, dass viele
       Menschen das Projekt unterstützen, ist es fraglich, wie viele ihrer
       Follower auch zahlende Leser:innen werden.
       
       „Uns ist sehr bewusst, dass der Anfang schwierig sein wird, bis wir Fuß
       gefasst haben“, sagt Belghmaidi. Von Scheitern will Sibony dennoch nichts
       wissen. „Das ist für uns keine Option“, beharrt sie. „Unser Projekt wird
       klappen, denn wir sind zahlreich und hochmotiviert, wir werden Fördergelder
       erhalten und die Leute werden spenden.“ Das ist optimistisch, wenn man es
       mit den Finanzierungsmodellen bereits etablierter Onlinemedien vergleicht.
       Denn selbst netzpolitik.org hat es schwer, sich ausschließlich durch
       Spenden und staatliche Hilfen zu finanzieren – bei doppelt so vielen
       Followern.
       
       Viele LGBTQI*-Menschen berichten von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt.
       Deshalb solle ihr Medium ein erster Schritt für trans Personen sein, sagt
       Sibony. „Wir wollen trans Personen Zugang zu Berufen geben, die ihnen sonst
       verwehrt bleiben.“ Mehr als zehn Personen hätten bereits wegen eines
       Praktikums angefragt.
       
       ## Trans Leben dokumentieren
       
       Was die Bezahlung der Mitarbeiter:innen angeht, bleibt Sibony vage.
       Bei XY sollen trans Menschen für ihre Arbeit vergütet werden. Dennoch werde
       niemand in Vollzeit arbeiten, das könne sich das Medium nicht leisten.
       Stattdessen sollen Gründerinnen und Redaktionsmitglieder wie freie
       Journalist:innen auf Honorarbasis, pro Artikel oder Video, oder
       pauschal pro Arbeitstag vergütet werden. Ein sicherer Ausstieg aus der
       Prekarität ist das zunächst nicht. Höchstwahrscheinlich kann so niemand in
       einer teuren Großstadt wie Paris leben.
       
       Trotzdem sehe sich XY Média als ein solidarisches Medium, betont Sibony.
       „Unter solidarisches Medium verstehen wir, dass die Reichweite von XY dazu
       beitragen kann, weitere Projekte, Crowdfunding-Aktionen, Wohnungssuchen
       oder auch Hilfsgesuche für prekäre Transgender-Personen effizient zu
       verbreiten.“
       
       Über Demos berichten, trans Personen interviewen, filmen und dabei sein,
       das hat noch einen weiteren Grund: Bei XY soll das Leben von trans Menschen
       dokumentiert und archiviert werden – langfristig. „Medien interessiert es
       nicht, wenn sich eine trans Frau umbringt und es eine Mahnwache gibt“, sagt
       Sibony. „Wir wollen an diese Ereignisse in der Geschichte von trans
       Menschen erinnern.“ Würde XY Média nicht darüber berichten, gäbe es von
       diesen Ereignissen keine Spur mehr, meint sie.
       
       Bisher sind ihre Beiträge nur auf Instagram und Youtube zu sehen. Eine
       eigene Webseite ist in Arbeit. „Die Webseite ist sehr kostbar für uns, denn
       wir sind nach wie vor der Zensur-Politik dieser Plattformen ausgeliefert“,
       sagt Sibony. Ziel sei es auch, längere Dokus zu produzieren, ohne dabei in
       die aktivistische Schublade gesteckt zu werden. „Wir wollen auch über
       globale, politische oder wirtschaftliche Themen aus einer trans Perspektive
       berichten“, sagt Belghmaidi. „Nur weil wir trans sind, heißt das noch lange
       nicht, dass wir uns nur mit Trans-Themen befassen können.“
       
       24 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Aenderung-des-Geschlechtseintrags/!5747510
   DIR [2] https://www.youtube.com/channel/UCzTz-esX07-vCj3YUfzas0g
   DIR [3] /Sprache-Sex-und-Gender/!5704601
   DIR [4] /Kolumne-ESC-in-Tel-Aviv-4/!5594670
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julika Kott
       
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